
Der vierte Auswärtspunkt, den Werder Bremen in nunmehr 19 Bundesligaspielen der Saison holte, war zweifellos der am stärksten bejubelte. Denn er wurde zu einem Zeitpunkt erkämpft, als wohl keiner der Bremer Spieler selbst damit gerechnet hatte: In der 85. und 89. der 90 Minuten verwandelte Werder einen schier aussichtslosen O:2-Rückstand vor 58 000 Zuschauem im Hamburger Volksparkstadion durch Tore von Möhlmann und Reinders noch zum letztlich verdienten 2:2. Dieses unverhoffte Unentschieden bewog Trainer Wolfgang Weber noch auf dem Platz zu einer fast philosophischen Erkenntnis: „Wer niemals aufsteckt, wird meist belohnt. Das sollte unser Motto für die gesamten nächsten schweren Wochen sein." Strahlend präsentierte sich der Trainer inmitten seiner jubelnden und ob des unverhofften Punktgewinns noch recht verblüfft wirkenden Schützlinge.
Hamburger SV: Kargus, Nogly, Kaltz, Buljan, Hidien, Memering, Hartwig, Magath, Berti, Hrubesch, Keegan.
Werder Bremen: Burdenski, Roentved, Kamp (75. Linz), Geils, Konschal, Hiller, Röber, Bracht, Reinders, Wunder (59. Möhlmann), Dreßel.
Schiedsrichter: Klauser (Vatterstetten).
Tore: 1:0 Kaltz (14., Foulelfmeter), 2:0 Hartwig (46.), 2:1 Möhlmann (83.), 2:2 Reinders (89.)
Zuschauer: 38 000.
Werders Rechtsaußen war der Pechvogel der ersten 45 Minuten. Denn er hatte ebenso beträchtlichen Anteil daran, daß der HSV zur Pause 1:0 führte, wie er es versäumte, für Werder den Ausgleich zu erzielen. Das erste Mißgeschick unterlief dem Rechtsaußen in der 14. Minute, als er völlig unbedrängt einen Abwurf seines Torwartes Burdenski aufnahm, sich den Ball dann jedoch so ungünstig vorlegte, daß Magath ihn erhielt, frei auf das Bremer Tor zulaufen und mit einem präzisen Paß Keegan einsetzen konnte. Keegan drang in den Strafraum ein, machte eine Körpertäuschung und prallte dabei mit Röber zusammen. Zwar hob der Bremer gleich zum Zeichen seiner Unschuld beide Hände, doch Keegan lag am Boden und Schiedsrichter Klauser fackelte nicht lange: Elfmeter für den HSV! Kaltz verwandelte den Strafstoß unhaltbar, Burdenski hechtete in die falsche Ecke. Das war wie gesagt in der 14. Minute.
Werder erholte sich von diesem Schock überraschend gut und mischte in der Folgezeit kräftig mit. Zehn Minuten später wäre der Ausgleich möglich gewesen, wenn nicht zuerst der Pfosten den Dreßel-Schuß aufgehalten hätte, anschließend Reinders bei dem Abpraller so lange zögerte, daß der Hamburger Nogly ihm den Ball vom Fuß spitzeln konnte. Wiederum zehn Minuten später rettete zum zweiten Male das Holz für die Hamburger. Dreßel war erneut am linken Flügel davongezogen, Paß, und ein Scharfschuß von Bracht, der sicherlich ins Tor gegangen wäre, wurde von Nogly mit langem Schritt an die Latte gelenkt, und von da sprang das Leder ins Feld zurück.
Alles in allem boten die ersten 45 Minuten guten Fußball, in denen sich Werder keineswegs in der eigenen Abwehr versteckte. Im Gegenteil: Vor allem zwischen der 30. und 40. Minute mußte sich der HSV Pfiffe seiner Anhänger dafür gefallen lassen, daß die Bremer immer wieder gefährlich im gegnerischenStrafraum auftauchten. Auf der Gegenseite wurde es für Werder nur dann gefährlich, wenn sich Kevin Keegan, Europas Fußballer des' Jahres, einschaltete. Obwohl Röber dem Engländer fast immer auf Schritt und Tritt folgte, konnte er dennoch nicht verhindern, daß dieser seine Mitspieler bediente. Glück für Werder, daß zu diesem Zeitpunkt Geils in dem Zweikampf mit Hrubesch ebenso weitgehend erfolgreich blieb wie Konschal gegen Memering.
Werders rechter Verteidiger fand sogar noch häufig Zeit, über den Flügel nach vorne zu stürmen und gefährliche Flanken in den Strafraum zu schlagen. Dort allerdings war Mittelstürmer Wunder meist allein auf weiter Flur, so daß er sich nicht gegen den fast einen Kopf größeren Nogly und den bulligen Buljan durchsetzen konnte, übrigens Wunder: Werders Mittelstürmer war von der ersten Minute an dabei. Von der am Sonnabend erlittenen Rückenverletzung spürte er nichts mehr. „Ich fühle mich wunderbar", wunderte sich Wunder vor dem Anpfiff, was dann auch Trainer und Vereinsarzt gewundert haben dürfte.
Nach knapp einer Stunde machte sich dann aber bei Klaus Wunder wohl doch die Verletzung bemerkbar. Er wurde gegen Benno Möhlmann ausgewechselt. Zu diesem Zeitpunkt, es stand bereits 0:2, dachte Trainer Weber wohl schon an die nächste schwere Aufgabe am Sonnabend in Frankfurt. Ein schwerer Schnitzer, ähnlich dem vor dem 0:1, hatte den Hamburgern die 2:0-Führung erlaubt. Denn kein Bremer griff ein, als Berti einen Eckball eine Minute nach dem Seitenwechsel von der linken Seite schlug, so daß Jimmy Hartwig im Torraum den Ball mit dem Stiefelabsatz verlangern konnte. Burdenski kam zwar im Hechtsprung noch an das Leder, der Schiedsrichter wollte weiterspielen lassen, doch der Linienrichter hob die Fahne. Er hatte den Ball bereits hinter der Linie gesehen.
Jetzt schien alles für einen deutlichen Hamburger Sieg zu sprechen. Nun rollte Angriff auf Angriff auf das Bremer Tor. Doch so überlegen die Hamburger in den ersten 20 Minuten nach der Pause auch waren, so gering blieben ihre Chancen. Das lag vor allem an den beiden überragenden Bremer Feldspielern, an Libero Per Roentved und Karl-Heinz Geils, die immer zur Stelle waren, wenn es kritisch zu werden drohte. Geils schaltete sein Gebenüber Hrubesch dabei so deutlich aus, daß sich der HSV-Star sogar Pfiffe der enttäuschten Zuschauer gefallen lassen mußte.
Ebenso wie Roentved fand Werders Vorstopper immer wieder Gelegenheit, sich in den Angriff einzuschalten, was letztlich wesentlich dazu beitrug, daß Werder in der Schlußphase noch zum Unentschieden kam. Bei dieser Punkteteilung leistete zunächst Torwart Kargus Hilfe. Er stand zu weit vor dem Tor, als Möhlmann in der 83. Minute aus 25 Metern abzog. Von der Latte schlug der Ball zum 1:2 ins Netz. Und nun wurden die Hamburger nervös, die Bremer setzten alles auf eine Karte. In den letzten Minuten erhielten dabei die Gastgeber von den Rängen keineswegs Unterstützung, im Gegenteil: Ein Pfeifkonzert der mit einem glatten Sieg rechnenden Zuschauer ließ die Hektik in der Hintermannschaft des HSV immer größer werden, und prompt passierte es eine Minute vor dem Abpfiff. Bracht flankte den Ball von der linken Seite zur Mitte, Reinders flog in den Torraum, und Kargus blieb wie erstarrt auf der Linie stehen, als der lange Bremer den Ball zum Ausgleich einköpfte. Eine Minute später der Schlußpfiff. Das Pfeifkonzert der enttäuschten Zuschauer schlug über den jubelnden Bremern zusammen.
Star des Spiels allerdings war der kleine Engländer Kevin Keegan, der vor dem Spiel noch ausgezeichnet worden war, er lieferte eine Partie, die allein das Eintrittsgeld wert war. Jürgen Röber, der bis zur Erschöpfung kämpfte, konnte einem leid tun. Immer wieder wurde er von Keegan genarrt, und wenn er doch einmal glaubte, den Ball erkämpft zu haben, schaffte es der Engländer immer noch, zumindest einen Freistoß für den HSV herauszuholen. „Der stärkste Fußballer, gegen den ich jemals in meinem Leben gespielt habe", konnte Röber hinterher nur noch voller Bewunderung staunen.
Zu den Pluspunkten in der Bremer Mannschaft gehörten neben Roentved und Geils vor allem der offensivstarke Konschal und der fehlerlos agierende Burdenski. Im Mittelfeld gingen die meisten Aktionen von Bracht aus, der allerdings dabei seinen Kontrahenten Hartwig oftmals aus den Augen lassen mußte.
Licht und Schatten wechselten bei Dreßel und Reinders ab, wobei der 19jährige Dreßel immerhin das Kompliment für sich verbuchen konnte, den Offensivdrang von Nationalverteidiger Kaltz im Keim erstickt zu haben.
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