
Der Grat zwischen Variabilität und Hilflosigkeit ist manchmal sehr schmal, das gilt auch für Trainer in der Bundesliga. Die dauerhafte Rotation in der Grundformationen kann Zeichen einer Stärke sein, wenn man mehr als einen Plan A beherrscht und sich dem Gegner anpassen kann, ohne dabei seine eigenen Stärken in den Hintergrund zu rücken. Nicht selten sind es aber auch ebenso verzweifelte wie letztlich nutzlose Rettungsversuche. Beim SC Freiburg und dessen Trainer Christian Streich ist das anders.
In Freiburg steht eine unter Umständen auch etwas unorthodoxe Flexibilität ganz oben auf der Agenda. Der Klub begreift sich zu Recht als ungewöhnlichen Standort in der Bundesliga und Streich transportiert diesen Grundsatz in eigentlich jeder Saison wieder in seine Mannschaften. Freiburg steht derzeit auf Rang drei, trotzdem begreift sich Streich in jedem Spiel als Außenseiter - und lässt entsprechend auf den scheinbar übermächtigen Gegner austarierten Fußball spielen. Es gibt nur wenige Mannschaften in der Liga, die den Spagat zwischen eigener Philosophie und Anpassung an den Gegner so gut hinbekommen wie Freiburg.
Die Elemente im Freiburger Offensivspiel lesen sich wie ein Ausriss aus dem Trainerhandbuch: andribbeln, verlagern, überladen, durchschieben, Tiefe suchen, Dynamiken erzeugen, manchmal auch lange Bälle in die Spitze, der Kampf um den zweiten Ball. Streich nutzt so ziemlich alles, was an Werkzeugen zu greifen ist, und bastelt daraus eine in sich stimmige und auf den Gegner zugeschnittene Strategie - innerhalb der er aber auch an immer gleichen Grundsätzen festhält. Freiburg greift gerne in einem 3-4-3 an und nutzt zum Durchbruch der ersten Pressinglinie des Gegners ganz klassische Mittel.
Ein Sechser bleibt tief und bietet sich im Rücken der gegnerischen Angreifer an, während die Flügelverteidiger hochschieben und der andere Sechser die Verbindung herstellt zum Markenkern des Freiburger Angriffsspiels: den drei recht eng beieinanderstehenden Angreifern. Die Flügelverteidiger sind die heimlichen Spielmacher in Freiburgs Spiel, im Prinzip führt jeder Angriff über sie. Entweder mit einem direkten Anspiel des Halbverteidigers oder, wenn der Gegner auf eine Seite gelockt wurde, mit der schnellen Verlagerung über den zentralen Innenverteidiger auf die dann ballfern aufgerissene Seite.
Viele andere Mannschaften würden so oft wie möglich durchs Zentrum spielen wollen, Freiburg nutzt den auf den ersten Blick eher schlechten Standort des Flügelverteidigers direkt an der Seitenlinie aber für einen einstudierten Spielzug. Über ein diagonales Zuspiel auf den am höchsten postierten Mitspieler soll eine Ablage auf den nachrückenden Mittelfeldspieler erfolgen: So kommt der SCF mit Dynamik ins letzte Drittel und nutzt den Geschwindigkeitsvorsprung zum Durchbruch.
Oder es wird zum Flügel durchgeschoben, um mit einer kurzfristig erzeugten Überzahl und den klassischen Dreieckskombinationen dann die Situation aufzulösen. Hier ist eine sehr flüssige Rotation zu sehen, die abgesichert wird von einem Sechser, der in der Regel immer tiefer bleibt. Freiburg operiert am Flügel oft mit dem klassischen Hinterlaufen, um die dynamischem Flügelverteidiger in Szene zu setzen und dann zu flanken. Dazu kommt das eher selten gebrauchte, aber sauber ausgeführt ungeheuer effektive Vorderlaufen, um mit einem Tiefenpass zwischen Innenverteidiger und Außenverteidiger durch die Halbspur an die Grundlinie zu kommen.
Funktionieren diese Kombinationen am Boden nicht, baut der Gegner zu viel Druck auf oder will Freiburg einfach mal etwas ganz anderes einstreuen, ist die Mannschaft auch pragmatisch genug, einfach einen stumpfen langen Ball in die Spitze zu spielen, um dann mit den drei Angreifern entweder mit einer Verlängerung in die Tiefe zu kommen, den Ball festzumachen oder aber mit ordentlich Mannstärke den Ball zu jagen. Diese verschiedenen Stilmittel sind wie kleine Nadelstiche für den Gegner, der zwar ungefähr weiß, wie Freiburg spielen will - aber dann doch immer mal wieder überrascht wird von einer völlig neuen Idee.
Gegen den Ball bleibt Freiburg dagegen vergleichsweise berechenbar. Oberste Spielerpflicht ist das Schließen des Zentrums für den Gegner. Im 5-2-3 kann die Mannschaft in allen Höhen anlaufen und verteidigen, gegen besonders spielstarke Mannschaften zur Not auch am und um den eigenen Strafraum herum. Nicht nur dann wird die von anderen Teams bevorzugte Balljagd übers ganze Feld eher sporadisch eingesetzt, vielmehr verteidigt Freiburg gerne und viel aus der Ordnung heraus.
Als Grundlage dafür dient der massive Zentrumsblock mit mindestens einem (eher allen drei) Angreifern, den beiden Sechsern und dem Innenverteidiger-Trio dahinter. Oft bleibt dem Gegner gar nichts anderes übrig, als über die Außen anzugreifen - und mindestens zwei Spieler zur Absicherung abzustellen, denn ein Freiburger Stürmer bleibt in der Regel weit vorne postiert stehen, um für einen schnellen Umschaltmoment zu sorgen.
So viel auch einstudiert ist unter Streich, der manche Abläufe tatsächlich wie vom Reißbrett einschleifen lässt und ungeheuer viele, sehr markante Stilmittel nutzt, so viel geht im Freiburger Spiel auch bisweilen schief. Es ist ein bisschen „Trial and Error“, es wird mal ausprobiert und dann wieder verworfen, was der Mannschaft das eine oder andere Mal etwas die Konstanz raubt.
Spiele mit Freiburger Beteiligung können echte Langweiler sein, weil der pragmatische Ansatz alles andere überlagert. Aber eben auch wilde Spektakel, wenn Streich die Schleusen öffnet. Das bringt eine gewisse Unwucht mit sich, die dann mit einem anderen Problem gepaart zu eigenartigen Ergebnissen führen kann: Freiburgs Kaderqualität ist eher im unteren Drittel der Liga anzusiedeln. Natürlich sind interessante und mittlerweile sogar einige Nationalspieler darunter, ein guter Teil der Truppe steckt aber mitten in einer gerade erst begonnenen Entwicklung in der Bundesliga. Lienhart, Schlotterbeck, Koch, Tempelmann, Höler, Kwon, Sallai, selbst Haberer und Waldschmidt sind noch lange nicht fertig gereift und sie machen (natürlich) Fehler.
Die Leistungsschwankungen zeigen sich innerhalb der Spiele und von Spiel zu Spiel, einem Sieg über Titelkandidat Leipzig folgt dann etwa die nun schon zweite Niederlage in Folge gegen Kellerkind FC Union - die unter anderem auch noch einmal zum Vorschein brachte, welche Probleme Freiburg mit Mannschaften bekommt, die den Ball selbst nicht besonders lange und oft haben wollen und aus einer tiefer stehenden Defensive heraus kontern wollen.
Das Freiburger Pressing bleibt wie zum Beweis auch eher ambivalent: Es gibt verschiedene Ansätze in verschiedenen Spielzonen, manchmal ist die Mannschaft brutal griffig, dann plötzlich wieder schludrig in der Umsetzung und damit angreifbar.
Eine fast schon traditionelle Spezialität der Breisgauer sind die Offensiv-Standards. In den letzten Spielzeiten war Freiburg immer ganz mit vorne dabei, wenn es um Tore nach ruhenden Bällen ging - was zum einen mit den vielen verschiedenen Varianten in der Ausführung zu tun hat, aber auch mit den jeweiligen Schützen. Linksfuß Christian Günter und Rückkehrer Jonathan Schmid wären wohl bei jeder anderen Mannschaft in der Bundesliga gesetzt als Standardspezialisten, beim SC nimmt diese Rolle in der Regel aber Vincenzo Grifo ein. Der italienische Nationalspieler dürfte einer der gefährlichsten Spieler der Liga bei Ecken und Freistößen sein.
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