
Die Saison von 1899 Hoffenheim ist eine Saison der enormen Ausschläge in alle Richtungen. Hoffenheim war die einzige Mannschaft, die den Bayern im letzten Kalenderjahr eine Niederlage beibringen konnte (4:1) - aber eben auch die einzige Mannschaft, die in den letzten zwölf Monaten gegen Schalke ein Spiel verlor (0:4). Ein Team, das in der K.o.-Runde des Europapokals steht, aber auch zu Hause gegen einen Zweitligisten aus dem Pokal flog.
Sebastian Hoeneß ist seit letzten Sommer verantwortlich für diese Mannschaft und vermutlich hätte sich der 38-Jährige sein erstes Jahr in der Bundesliga dann doch etwas ruhiger gewünscht. Die bisherigen Monate waren und sind geprägt von allerhand Widrigkeiten. Verletzungen, Sperren und eine hohe Zahl positiver Corona-Tests und damit Ausfällen wichtiger Spieler sowie Team-Quarantänen torpedierten die Aufbauarbeit, die Hoeneß leisten müsste. Die Doppelbelastung mit der Europa League verstärkt diesen negativen Einfluss wohl obendrein.
Zwischenzeitlich fehlten dem Trainer 13 Spieler gleichzeitig. Das führt auch dazu, dass Hoffenheim schon 29 Akteure eingesetzt hat in dieser Saison. Von den Feldspielern kamen nur die langzeitverletzten Benjamin Hübner und Konstantinos Stafylidis sowie der 18-jährige Georginio Rutter noch nicht zum Einsatz, Rutter stieß allerdings auch erst vor wenigen Wochen zum Team.
Das erklärt das Auf und Ab der Mannschaft, die grundsätzlich mit jedem Gegner auf Augenhöhe agieren kann. Die individuelle Qualität der Einzelspieler dürfte unbestritten hoch sein, dazu hat Hoeneß ein paar sehr interessante junge Spieler im Kader. Die Voraussetzungen des Kaders mit den meisten Legionären der Liga (22) sind ziemlich gut, der Trainer scheint mit seiner Art und seinen Ideen zu passen - und trotzdem spielen die Kraichgauer eine eher enttäuschende Saison.
Die vielen personellen Anpassungen fordern insofern ihren Tribut, da sich bis jetzt keine echte Stammgruppe aus 14, 15 Spielern herausformen konnte. Gegen Werder drohen erneut gleich zehn potenzielle Stammkräfte auszufallen, allen voran Andrej Kramaric. Ohne den Torjäger hat Hoffenheim in dieser Saison noch kein Spiel gewonnen.
Und auch inhaltlich zeigen sich feste Ansätze, um die herum Hoeneß aber immer wieder experimentieren muss. Hoffenheim will im Grundsatz stets hohen Druck aufbauen. In welchen Zonen des Spielfelds dies geschieht, ist aber völlig unterschiedlich. Das mag mit den Anpassungen an die verschiedenen Gegner zu tun haben, zeigt sich aber auch innerhalb der Spiele.
Im Erfolgsfall ist dann von einer enormen Variabilität die Rede, nach erst sechs Siegen aus 21 Spielen und Platz zwölf im Zwischenklassement überwiegt der Eindruck, dass der Mannschaft einfach auch die nötige Konstanz fehlt. 32 erzielte Tore sind ein ordentlicher Wert, 39 Gegentore und damit im Schnitt fast zwei pro Partie aber für eine Mannschaft mit diesen Fähigkeiten und Ansprüchen deutlich zu viele.
Die latente Ineffizienz vor dem gegnerischen Tor und viele individuelle Fehler in der Defensive dokumentierte die Mannschaft wie zum Beweis noch einmal im Europa-League-Spiel am Donnerstag gegen Außenseiter Molde. Hoffenheim war turmhoch überlegen, führte gegen die Norweger bereits mit 3:1, vergab Chance um Chance, verschoss einen Elfmeter und spielte am Ende doch nur 3:3. Als Trost bleibt eine trotzdem vernünftige Ausgangsposition fürs Rückspiel und die Gewissheit, dass die Offensive auch ohne Kramaric funktioniert.
Die Mannschaft spielt unter Hoeneß nicht mehr so sauber im Ballbesitz wie diese noch unter Julian Nagelsmann der Fall war, also mit vielen Steil-Klatsch-Elementen in einem geduldigen Positionsspiel. Was insofern etwas verwundert, da in Sebastian Rudy, Florian Grillitsch oder eine Linie weiter vorne Christoph Baumgartner exzellente Spieler im Zentrum agieren, die eigentlich wie prädestiniert scheinen für Ballbesitzfußball.
Stattdessen soll es über Umschaltmomente nach vorne gehen, in denen Hoffenheim seine Spitzenklasse immer wieder aufblitzen lässt: Auch unter größten Druck kann sich die Mannschaft aus engen Situationen rauslösen und dank der ebenso schnellen wie guten Entscheidungsfindung seiner Spieler nach vorne kommen. Über Konterspieler wie Ilhas Beboau geht es dann rasch vors gegnerische Tor - bis mit dem Torabschluss die Königsdisziplin ansteht. An der die Mannschaft allerdings oft genug scheitert.
Auch deshalb hat sich das System Hoeneß in Hoffenheim noch immer nicht so richtig durchgesetzt, der Trainer scheint immer noch auf der Suche nach dem goldenen Mittelweg. Es zeichnet sich ab, dass Hoffenheim in dieser Saison nicht mehr ins Rennen um die internationalen Plätze wird eingreifen können, dass sich eine Art Übergangs-Saison einreiht in die zuletzt doch sehr erfolgreichen Jahre.
Am grundsätzlichen Geschäftsmodell der Kraichgauer dürfte aber auch diese eine eher schwierige Spielzeit nichts ändern. In den letzten fünf Jahren erzielte kein anderer deutscher Klub ein derart hohes Transferplus wie die TSG, auf rund 90 Millionen Euro wird das Saldo aus Verkäufen und Einkäufen taxiert. Werder hat im selben Zeitraum rund 20 Millionen Euro minus generiert, so berechnet es jedenfalls die Forschungs- und Bildungsorganisation „CIES Football Observatory“.
Deshalb dürfte Hoffenheim auch bedeutend reibungsloser durch die Folgen der Coronakrise kommen als viele andere Klubs des Landes, Werder eingeschlossen. Und Hoffenheim kann es sich wohl leisten, das internationale Geschäft auch mal ein oder zwei Jahre zu verpassen. Dafür hat der Klub mit Sportchef Alex Rosen an der Spitze in der jüngeren Vergangenheit einfach zu viel richtig gemacht. Von diesem Polster zehrt Hoffenheim aktuell und der Plan mit Sebastian Hoeneß: Der kann ja auch immer noch aufgehen.
Bremen ohne Werder - das ist unvorstellbar! Und das Profiteam, das in der Bundesliga um Punkte und Tore kämpft, ist das Herzstück des Vereins. Auf dieser Seite gibt es News, Fotos und Videos rund um die Werder-Profis.