
Bei Borussia Dortmund haben sie zuletzt viele neue Dinge gesehen, das bringt so ein radikaler Trainerwechsel vom erfahrenen Lucien Favre zum jungen Edin Terzic mit sich. Die größten Augen machten sie aber rund eine Stunde nach dem Spiel. Der gesamte BVB-Tross war bereits auf dem Weg zum Mannschaftsbus, als Florian Kohfeldt noch auf der Haupttribüne des Weserstadions stand und mit Bremer Sportreportern das Geschehen diskutierte. „Das macht der jetzt ernsthaft noch, um kurz vor Mitternacht?“, fragte ein Dortmunder Funktionär und schüttelte ungläubig den Kopf.
Es waren keine Durchhalteparolen und keinerlei Schönfärberei, die Kohfeldt zu später Stunde noch zu bieten hatte, sondern ernsthafte und zutreffende Gedanken. Natürlich wusste er, dass zum gleichen Zeitpunkt bereits gnadenlose Urteile über ihn gefällt würden, vor allem in dieser „anonymen Scheinwelt im Netz“, wie er das nennt. Die Zahlen lesen sich ja auch schlecht: neun Spiele ohne Sieg, vier Niederlagen in Folge. „Das ist scheiße, da gibt es kein anderes Wort für“, sagte Kohfeldt offen heraus. Aber es ist eben auch richtig, dass Werder mit Spielern in solche Duelle wie nun mit Borussia Dortmund oder zuvor RB Leipzig geht, die gar kein gleichwertiges Rüstzeug mitbringen. Tapfere Werderaner wie Mbom, Groß, Sargent oder Woltemade, auch ein Osako, können sich mit noch so viel Leidenschaft reinhauen – wenn nötig werden sie von Klasse-Fußballern wie Hummels oder Witsel mit einem Achselzucken ausgehebelt.
Betrachtet man das Spiel gegen Dortmund isoliert, hat sich Werder gegen einen viel stärkeren Gegner achtbar geschlagen und fast einen Punkt ergattert. Das Problem ist die lange Serie nicht gewonnener Spiele. Frank Baumann macht hierbei der Spielplan Hoffnung. „Der besteht aus verschiedenen Blöcken“, erklärte Werders Manager am Mittwoch, und zuletzt musste Werder gegen vier Klubs aus dem oberen Drittel antreten: Bayern, Wolfsburg, Leipzig und Dortmund. Nur in München gelang es, mit dem nötigen Spielglück einen Punkt mitzunehmen. „Es ist keine schöne Serie, das wissen wir doch auch“, sagte Baumann, der sich zunehmend mit unrealistischen Erwartungen auseinandersetzen muss und doch zuversichtlich bleibt: „Mit einem Sieg statt eines Unentschiedens würde die Tabelle anders aussehen, dann wären wir in einem Bereich, wo wir uns wohler fühlen. Wir haben letztes Jahr eine sehr komplizierte Saison erlebt und nun mehr junge Spieler dabei. Wir haben schon im Sommer versucht, die Erwartungen realistisch und vernünftig einzuordnen. Natürlich war bei vielen die Hoffnung nach dem guten Saisonstart da, dass wir eine deutlich stabilere Saison spielen. Aber die Leistungen sind trotz aller Probleme, die wir verbessern müssen, stabiler als zu diesem Zeitpunkt der vergangenen Saison.“ Zu den Problemen zählt der Sportchef die Gegentore in Überzahl sowie die Elfmeter, zuletzt drei in drei Spielen, „obwohl es in diesen Szenen keine Torgefahr gab“, wie er kritisiert.
Warum er weiter am Trainer festhalte, wurde Baumann gefragt, angesichts von wieder nur einem Heimsieg in der bisherigen Hinrunde. Er wollte das nicht mehr beantworten, das mache er schließlich seit drei Jahren schon. Die Frage ist obendrein irreführend, weil sie impliziert, dass dieser Kader viel besser Fußball spielen könnte. Doch dafür gab es nie auch nur das kleinste Indiz. Nicht in der Rückrunde, nicht in der Relegation, auch nicht in dieser Hinrunde. Kein Rivale rennt Werder die Bude ein, um nur einen dieser Spieler zu kaufen. Werder und dieser Kader, so scheint es, sind in Coronazeiten eine Schicksalsgemeinschaft. Entweder sie bleiben gemeinsam in der Bundesliga, oder es endet für alle. Ein Klaassen, Pizarro oder Sahin, die für hohes Niveau standen, sind nicht mehr da. Jetzt ist Füllkrug der letzte Unterschiedsspieler, aber ständig verletzt. Rashica steht bisher nur im Verdacht, solche Klasse konstant zeigen zu können.
Kohfeldt weiß das, er sieht es täglich im Training. Die Talente, die nachrücken, sind obendrein nicht so weit, eine wichtige Rolle zu spielen. Der Trainer wirft sich trotzdem schützend vor den Kader, seit Sommer schon, auch wenn ihm das viele als Durchhalteparolen auslegen. Er begreift es als Herausforderung, Werder irgendwie zum Klassenerhalt zu führen, egal, wie einsam es um ihn herum wird. Man könne nicht zaubern, hat Kohfeldt an diesem Spieltag mit Blick auf Werders Qualität gemahnt. „Wenn wir einem Gegner wie Dortmund lästig werden konnten, nehmen wir das mit in unsere nächsten Spiele“, meinte er und verwies auf ein Plus: Obwohl Werder nun im Block gegen die Großen der Liga gespielt hat, weist die Tabelle für Bremen elf Punkte aus und damit mehr, als die Rivalen auf den Abstiegsplätzen haben: „Wir gehen mit einem Vorsprung in die Spiele gegen Mannschaften, die eher mit uns auf Augenhöhe sind. Auch wenn es enger geworden ist, können wir diesen Vorsprung verteidigen oder ausbauen.“ In der Kabine habe er auch nach der Niederlage gegen Dortmund eine Mannschaft voller Leben und Leidenschaft gesehen, und das sei für ihn der große Unterschied zum vergangenen Jahr: „Wir haben in den letzten Wochen nichts hergeschenkt. Wir haben immer im Rahmen unserer Möglichkeiten Leistung gebracht, wenn man das erste Spiel gegen Hertha ausnimmt. Die Jungs wissen, wie schwer diese Wochen waren. Jetzt haben wir Druck. Aber das gehört in der Bundesliga dazu. Das ist nicht unerwartet für uns.“
Er hat mit nichts anderem gerechnet und – das gehört zu einer fairen Betrachtung dazu – nie etwas anderes gesagt. Seine Kritiker und viele Fans erwarteten mehr. Schon das Spiel am Wochenende beim Kellerklub Mainz wird zeigen, ob Kohfeldt einsam weiterkämpfen muss oder diesmal öffentlichkeitswirksam eine Wende gelingt. Dazu braucht es nur einen Bremer Sieg.
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