
Hätte er sich doch an seinen Grundsatz gehalten, es ginge ihm heute wohl besser. Vor gut zehn Monaten, als Corona schon die Lebensplanung aller durcheinander wirbelte, verriet Naldo in einem Gespräch mit der Deichstube seine Perspektiven für die Zeit als Fußball-Rentner. „Trainer“, so sagte damals der arbeitslose Profi, wolle er „auf keinen Fall werden, weil es viel zu anstrengend und zeitintensiv ist.“ Und als ob er eine Vorahnung gehabt hätte, was ihm auf der Trainerbank drohen könnte, fügte er an: Es sei doch „schlimmer als die Zeit als Spieler.“ Die Realität hat den Publikumsliebling der Bundesliga, an seinen drei Wirkungsstätten in Bremen, Wolfsburg und Schalke gleichermaßen verehrt und vergöttert, längst eingeholt.
Naldo ist doch Trainer geworden, mit dem Zusatz „Co“ versehen. Als solcher hat er Ende September des vergangenen Jahres bei Schalke 04 angeheuert und handelte entgegen seinen Prinzipien. Nicht schön ist, dass er mit den Königsblauen am Tabellenende steht. Schön ist dagegen, dass ihn der Job am Sonnabend noch einmal ins Weserstadion und zu Werder Bremen führt – zu jenem Klub, bei dem 2005 seine Europa-Karriere begann. 254 Pflichtspiele bestritt er für die Grün-Weißen, für keinen anderen Klub spielte der ehemalige Top-Verteidiger häufiger. Schalke war im Vergleich mit 80 Partien nur eine kurze Episode, ist aber auch die Gegenwart für den gebürtigen Brasilianer. Im Januar 2020 hatte er seinen Vertrag bei der AS Monaco freiwillig aufgelöst und seine Ambitionen, noch zwei Spielzeiten im bezahlten Fußball aktiv zu sein, ließen sich nicht realisieren. Naldo erlag also dem Lockruf seines früheren Arbeitgebers aus Gelsenkirchen: Er nahm das Angebot des kriselnden Revier-Clubs an, in den Trainerstab des neu berufenen Wagner-Nachfolgers Manuel Baum einzutreten.
Damals eine überraschende Entwicklung. Schließlich besitzt der Ex-Profi weder Erfahrung im Trainergeschäft noch eine Expertise in Form einer Ausbildung. Als neuen Co-Trainer präsentierten ihn die Schalker Bosse um Sportvorstand Jochen Schneider, deren Personalentscheidungen seit geraumer Zeit als diskussionswürdig gelten. Der ausdrückliche Auftrag für Naldo: Er sollte als Stimmungsmacher in der Kabine während dieser eher tristen Zeitspanne am Schalker Markt wirken, verantwortlich für die Bereiche Emotionen und Motivation, Mannschaftsklima und Selbstbewusstsein. Eine Rolle, wie er sie von 2016 bis 2019 als Abwehrriese ausgeübt hatte und auch zuletzt bei seinem Engagement in Südfrankreich. Dort habe er als „Führungsspieler für die jungen Spieler“, so hat es Naldo mal erzählt, eine besondere Aufgabe übernommen.
Nun also Schalke. Dass Naldos Bindung zu den Spielern durchaus eng ist, bewiesen die Jubelszenen beim einzigen königsblauen Sieg seit seinem Amtsantritt. Der 38-Jährige war beim 4:0 über 1899 Hoffenheim nach den Toren Teil der Spielertrauben. Aber ihn als „Gute-Laune-Bär“ einzubauen? Beobachter bewerteten diesen Schachzug schon im Herbst als einen untauglichen Versuch, als einen weiteren Verzweiflungsakt in der Reihe der fehlgeschlagenen Personalentscheidungen des Vormanns Schneider, der ums Überleben im Ruhrgebiet kämpft. Die Kritiker behielten Recht. Anfangs tauchte Naldo noch häufig auf, im Übungsbetrieb und am Rande der Spiele. Im Auftrag des drei Köpfe kleineren Chefübungsleiters Baum leitete er schon mal die Trainingseinheiten im Schatten der Arena, während der Partien konnten die TV-Zuschauer sein schon als Spieler geschätztes Engagement bestaunen. Doch inzwischen gilt: Naldo ist zwar noch da, aber als Funktionsträger kaum noch präsent und sichtbar. Nach dem Eklat mit dem längst abgewanderten Routinier Vedad Ibisevic, mit dem er bei einer Übung auf dem Trainingsplatz aneinander geriet, ist Naldo nur noch selten in Erscheinung getreten.
Manuel Baum ist mittlerweile auch schon wieder Vergangenheit, die Episode mit Huub Stevens ebenfalls. Nun führt Christian Gross das Kommando, der vierte Coach in dieser Saison. Dem zuletzt nur in Asien und Afrika tätigen 66 Jahre alten Cheftrainer wurde mit Rainer Widmayer (zuvor schon beim VfB Stuttgart, Hertha BSC Berlin und bei der TSG Hoffenheim in gleicher Funktion tätig) ein neuer, erfahrener Assistent beigeordnet. Dazu noch Matthias Kreutzer und der von der U 17 beförderte Onur Cinel als Co-Trainer. Naldo steht im Schatten dieser Drei.
Es ist nicht die Schuld des tadellosen Sportsmanns („Die Fans haben mich immer respektiert“), der sich wohl oder übel mit seiner Rolle abzufinden hat. Stellung beziehen zu dem Desaster darf er nicht. Eine Anfrage für ein Interview von der Deichstube lehnte die Schalker Mediendirektion in dieser Woche ab. Mit diesem Wortlaut: „Assistenten geben bei uns keine Interviews.“ Naldo ist indes niemand, der den Kopf in den Sand steckt. Aus dem Schalker Umfeld ist zu hören, dass er kämpfen will. Ganz nach diesem Motto: „Auf Schalke gebe ich nicht auf!“
Binnen 48 Stunden musste er sich im vergangenen September entscheiden, um die Offerte Schneiders annehmen zu dürfen. Möglicherweise hat er unter Zeitdruck gehandelt und eine Zusage gegeben, die er inzwischen kräftig bereut. Von allen drei Vereinen, für die der seit Jahren auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzende Brasilianer in der Bundesliga aktiv war, hatte er stets Bremen favorisiert. „Werder wird immer in meinem Herzen bleiben“, so sein Bekenntnis in besagtem Interview in der Phase, als sein Lieblingsclub sich in so argen Abstiegsnöten befand wie sein aktueller Arbeitgeber. „Wenn Werder mich braucht, bin ich bereit.“ Als Spieler wohlgemerkt.
Werder sah keine Möglichkeit. Mit Verweis auf den Verjüngungsprozess formulierte Manager Frank Baumann im letzten Jahr eine deutliche Absage ich Richtung Naldo. Schalke dachte anders. Der Altmeister präsentierte Naldo, machte ihn zum Co-Trainer und sah in ihm ein Instrument, um die arg in Mitleidenschaft gezogene Fan-Seele zu besänftigen.
Bremen ohne Werder - das ist unvorstellbar! Und das Profiteam, das in der Bundesliga um Punkte und Tore kämpft, ist das Herzstück des Vereins. Auf dieser Seite gibt es News, Fotos und Videos rund um die Werder-Profis.