
Nachdem Werder-Profi Theodor Gebre Selassie einige Wochen immer weniger gespielt hat, geht es für ihn wieder bergauf. Im Interview spricht er über seine Motivation auf dem Weg zurück in die Stammelf.
Herr Gebre Selassie, ich möchte mit Ihnen gern über eine Verwandlung sprechen. Sie ahnen, worauf ich hinauswill?
Theo Gebre Selassie: (grinst) Nein, ich habe keine Idee.
Es geht um Ihre Verwandlung. Eben noch waren Sie ein Reservist und galten als Auslaufmodell. Und jetzt haben Sie von Werders Superserie kaum eine Minute verpasst. Wie haben Sie das hinbekommen?
Diese Sachen, die in der Zeitung standen, dass ich nicht mehr gebraucht werde und so weiter, das war nicht in meinem Kopf. Vom Trainer habe ich auch das Signal bekommen, dass jeder Spieler noch wichtig werden wird in der Saison.
Das reicht dann? Sie waren fast durchweg Stammspieler und auf einmal haben Sie über Wochen erst wenig und dann gar nicht mehr gespielt.
Natürlich war das keine einfache Zeit. Aber so ist der Profifußball eben. Man muss das einfach so annehmen, wie es kommt.
Wie ist es denn aus Ihrer Sicht dazu gekommen, dass Sie nicht mehr erste Wahl waren?
Ich war mir vielleicht zu sicher, dass ich ja Stammspieler bin. Ich hatte zwei Jahre lang jedes Spiel gespielt. Dann hatten wir als Team keine guten Ergebnisse, wir haben fünf Spiele hintereinander verloren. Da ist es verständlich, wenn der Trainer etwas anderes probieren will. Dann hat er etwas probiert, und wir haben vier Spiele nicht verloren. Da gab’s dann andersherum keinen Grund zu wechseln.
Und das konnten Sie so für sich akzeptieren?
Es war nicht leicht. Jeder will doch spielen. Ich hätte kein Verständnis für Spieler, die damit glücklich wären, nur dabei zu sein. Das wäre für mich nicht normal. Aber als Profi muss man es auch akzeptieren, wenn man nicht in die Startelf kommt. Man muss weiterarbeiten. Weitertrainieren. Bis man dran ist.
Haben Sie sich gesagt: Ich muss etwas verändern?
Ich habe versucht, im Training noch mehr Gas zu geben.
Das sagt sich immer so leicht . . .
. . . klar, man ist nicht glücklich. Man kommt nach Hause vom Spiel und hat gar nicht gespielt. Das Kind (Gebre Selassies Sohn ist knapp drei Jahre alt, d. Red.) fragt: Wo war Papa?
Was haben Sie gesagt?
Na ja, nach zwei, drei Spielen hat er es begriffen, dass Papa wieder auf der Bank gesessen hat. Er ist natürlich am glücklichsten, wenn er Papa auf dem Platz sieht, das ist für mich eine sehr große Motivation. Es ist so ein geiles Gefühl, wenn man spielt oder sogar ein Tor macht. Und wenn dann das Kind kommt, und sagt: Super, super, Papa hat ein Tor gemacht! Der Kleine ist total fußballverrückt und spielt zu Hause mit jedem Legostein Fußball.
Die Reaktion, sich im Training noch mehr anzustrengen als vorher, ist Ihnen leicht gefallen?
Ich bin es gewohnt, mit Dingen umzugehen, die nicht so einfach laufen. In Tschechien war es nicht so einfach, sich durchzusetzen im Profibereich. Das hilft, wenn man sich erinnert, wie man das durchgestanden hat.
Die Phase auf der Werder-Bank war gar nicht ihre schwierigste Phase als Profi?
Nein. Überhaupt nicht. Ich habe ja nur vier Spiele gar nicht gespielt.
Haben Sie in dieser Phase viele Gespräche gesucht? Oder wollten sie extra in Ruhe gelassen werden?
Natürlich habe ich zum Beispiel mit Zladdi gesprochen (befreundeter Mannschaftskollege Zlatko Junuzovic, d. Red.). Aber ich bin nicht so der Typ, der dann ganz viele Gespräche mit allen möglichen Menschen braucht. Ich wusste, wie die Situation war und warum der Trainer was gemacht hat. Er war damals doch auch selbst unter großem Druck.
Das heißt, Sie wurden nicht zum Dauergast beim Mentaltrainer?
Nein, gar nicht. Ich habe komplettes Verständnis, wenn jemand so etwas braucht. Aber ich bin nicht so ein Typ. Ich weiß, was für mich wichtig ist. Ich weiß einfach, dass ich nie den Mut und den Glauben an mich selbst verlieren darf. Der Mentaltrainer würde mir quasi Sachen sagen, die mir sowieso klar sind. Im Gegenteil: Es würde mich eher stören, wenn mir das jemand noch mal sagt. Ich weiß es doch selbst.
Liegt das an diesen Erfahrungen, die Sie als junger Spieler in Tschechien gemacht haben?
Jede schwierige Situation hilft, die man übersteht. Irgendwann wird das einem helfen. Ich war zum Beispiel in Tschechien oft der einzige dunkelhäutige Spieler auf dem Platz. Diese Rufe von den Fans der Gegner: Das habe ich eben auch durchgestanden und es verarbeitet. Ich habe gelernt, damit zu leben und die Rufe zu ignorieren. Und so etwas hat mich dann auch stark gemacht.
Haben Sie sich als Bankdrücker auch sagen können: Mensch, ich hab doch einen begehrten Job, eine gesunde Familie, und ich verdiene gutes Geld! Mir geht’s doch gut?
Ja, Sie haben recht. Meine Familie ist gesund, und das ist das Wichtigste. Warum soll ich anfangen zu meckern, wenn ich vier Spiele nicht spiele?
Als Sie dann wieder eingesetzt wurden, gab es in Augsburg eine peinliche 2:3-Niederlage. Kamen Zweifel auf, dass Sie sich wieder in die Stammelf spielen können?
Die Niederlage in Augsburg war natürlich bitter. Aber für mich persönlich war es nicht so schlecht . . .
. . . Sie haben ein Tor erzielt . . .
. . . nicht wegen des Tors. Ich habe wieder einen Einsatz bekommen, von Anfang an, auf der linken Seite (Gebre Selassie ist eigentlich Spezialist für die rechte Seite, d. Red.). Ich konnte auch mir selbst zeigen: Ich schaffe das! Ich spiele in der Bundesliga!
Kurz danach kam quasi Ihr Comeback als Stammspieler. Parallel begann Werders tolle Serie. Denken Sie: Ja, ich hab’s allen gezeigt?
Nein. Wir haben hart gearbeitet dafür, und ich selbst auch. Und alle diese Artikel, in denen gestanden haben soll, dass meine Zeit bei Werder vorbei sein soll, die habe ich nicht gelesen. Was wird wohl in der Zeitung stehen, wenn es nicht optimal läuft? Das weiß ich selbst. Soll ich mich da noch mehr bestrafen, indem ich das lese?
Lesen Sie denn jetzt wieder Zeitung?
Na ja, nicht viel. Aber jetzt lege ich sie nicht gleich weg. Jetzt ist es ein bisschen angenehmer, ich kann schon mal schauen, was drin steht.
Was sind für Sie die Gründe, warum es eben auch bei Ihnen wieder so gut läuft?
Ich glaube, das System passt richtig gut zu mir. Und wir spielen als Mannschaft auch viel, viel besser jetzt. Wir helfen uns gegenseitig auf dem Platz. Das ist schon ein großer Unterschied zu vorher. Etwas mehr Glück als vorher haben wir auch.
Im neuen System mit Dreierkette spielen Sie mehr im Mittelfeld und offensiver als vorher, als klassischer Rechtsverteidiger. Das mögen Sie mehr?
Ja, für mich ist das neue System auf jeden Fall besser. Das habe ich ja schon damals gesagt, als ich unter Robin Dutt (Werder-Trainer 2013 und 2014, d. Red.) im Mittelfeld statt in der Abwehr gespielt habe. Ich kann da mehr ins Risiko gehen. Weil ich weiß: Hinter mir sind noch genügend Spieler.
Herr Gebre Selassie, Ihr Vertrag läuft im Sommer 2018 aus. Würden Sie gern länger in Bremen bleiben?
Gerne. Aber da muss natürlich alles passen.
Langzeit-Werderaner Theo Gebre Selassie?
Ich bin jetzt bereits fünf Jahre hier. Das ist eher nicht normal, so lange in einem Verein zu sein. Ich fühle mich gut hier in diesem Verein, in dieser Stadt. Die Familie fühlt sich auch gut. Die Liga ist super. Es gibt da keine Gründe, etwas zu ändern.
Sie sind jetzt 30 und damit in einem fortgeschrittenen Fußball-Alter . . .
. . . ja, wenn ich auf dem Platz sehe, die Jungen, die sind viel, viel besser als ich, gegen die habe ich keine Chance, dann würde ich vielleicht etwas anderes sagen. Aber diesen Eindruck habe ich nicht. Ich kann mir das vorstellen, bis zum Ende der Karriere hier bei Werder zu bleiben. Aber wie gesagt: Es muss alles passen. Im Fußball geht alles immer sehr schnell, auch ein Wechsel.
Hatten Sie in der Winterpause Wechselgedanken?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde: keine. Ich hatte viermal nicht gespielt. Damit ist man nicht zufrieden. Wenn es so weitergegangen wäre, wäre ein Wechsel vielleicht besser für mich gewesen.
Jetzt kann man sagen: Wenn es so weitergeht, spielen Sie nächste Saison Europacup. Erstmals in Ihrer Werder-Zeit. Wie groß ist Ihre Sehnsucht nach Europa denn?
Na, erst mal müssen wir noch ein paar Punkte machen. Dann können wir darüber reden. Ich mag es nicht, über solche Sachen zu reden, die möglich und auch nicht so weit weg, aber eben erst mal noch nicht da sind. Ich würde erst mal gerne die Abstiegsgefahr beseitigen und dann nach oben schauen.
Eine politisch korrekte Antwort . . .
. . . ja, sehr diplomatisch, oder? (lacht). Ich will einfach nicht über Sachen reden, die nicht sicher sind. Wir können rein theoretisch jetzt auch alle Spiele verlieren. Und was dann?
Es kann aber auch passieren, dass Sie am Sonnabend beim FC Ingolstadt gewinnen. Dann müssten wir über den Europacup reden.
Ja. Das wäre doch schön.
Das Gespräch führte Olaf Dorow.
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