
Werder hatte sich zwei Grundordnungen für die schwierig vorhersehbaren Berliner zurechtgelegt. Eine Fünferkette mit Kevin Vogt als zentralem Innenverteidiger, sollte die Hertha ebenfalls im 3-5-2 angreifen. Und eine Viererkette, falls die Berliner ihrerseits mit einer Viererkette beginnen sollten. In der Vorbereitung auf die Partie waren sowohl die Anordnung, als auch Ausrichtung und Personal der Gastgeber für Werder schwer einzuschätzen, mit dem Anpfiff setzte Florian Kohfeldt aber gegen Berlins flaches 4-4-2 dann auf ein 4-3-3, mit Vogt als Sechser vor der Abwehr und Josh Sargent in der Doppelrolle als Mittelstürmer und Zehner.
Werder zeigte in der ersten Viertelstunde den besten Fußball seit Langem - nicht nur wegen der zwei schnellen Tore. Die Mannschaft verteidigte etwas anders als zuletzt, die beiden Flügelangreifer Leo Bittencourt und Milot Rashica attackierten Herthas Innenverteidiger von außen nach innen, lenkten den Ball also ins Zentrum. Dort deckte der tiefer postierte Sargent den tieferen der beiden Sechser, in der Regel Santiago Ascacibar. Die Achter Maximilian Eggestein und Davy Klaassen kümmerten sich um den zweiten Sechser und sowie das Anlaufen der Außenverteidiger. Damit konnten Werders Außenverteidiger tief stehen und sich um die Berliner Achter kümmern. Vogt hatte die wichtige Aufgabe, im Dunstkreis von Matheus Cunha zu bleiben.
Werder zog tatsächlich von der ersten Sekunde an ein starkes Pressing auf, alle Abläufe griffen ineinander, Berlin musste früh viele lange Bälle spielen oder verlor den Ball auf dem flachen Weg im Mittelfeld. So entstand das 0:1, das in seiner finalen Phase aber einen wichtigen Unterschied zu den Offensivbemühungen der vorherigen Werder-Spiele zeigte. Rashica gab der Umschaltaktion sofort Tiefe, zog seinen Gegenspieler mit und machte so erst die Schussbahn für Sargent frei.
Auch das zweite Tor war eine Blaupause aus besseren Bremer Offensivzeiten: Ein mutiger Innenverteidiger (Milos Veljkovic) dribbelte an, drei Spieler besetzten den Raum zwischen den beiden Berliner Viererketten, weshalb sich die Bremer Abwehr im Zentrum zusammenziehen musste, der rechte Außenverteidiger rückte weit ein. Veljkovics Diagonalball fand Rashica, der sich außen abgesetzt hatte. Werders Spieler liefen den Angriff zu Ende, es entstand eine Drei-gegen-Drei-Situation im Strafraum, die gute Bremer Präsenz und Klaassens energisches Nachrücken führten letztlich zum Tor.
Starkes Pressing, durchdachte Offensivaktionen im letzten Drittel, eine Prise Mut und die totale Effizienz - es passte alles in den ersten zehn, 15 Minuten. Mit dem Ball blieben einige andere positive Sequenzen hängen, Ludwig Augustinssons Einrücken in die Halbspur, das Ausweichen von Klaassen, der Tiefenpass auf Augustinsson, die dadurch erzeugte Dynamik. Oder die gut abgestimmten Laufwege von Sargent und Bittencourt: Der eine kam kurz, der andere steuerte sofort die Tiefe an (und dabei auch ein paar Mal ins Abseits). Werder zeigte einige gute Elemente „seines“ Fußballs. Allerdings, und das muss einordnend auch erwähnt sein, gegen einen bis dato bodenlos schlechten Gegner.
Berlins Spieler irrten gegen den Ball nur hinterher und waren mit dem Ball unstrukturiert und ohne erkennbaren Plan unterwegs. Die Hertha wirkte wie eine Ansammlung an Spielern, die sich eben erst zufällig getroffen hatten und einfach mal drauflos spielten. Da Werder aber nach rund 15 Minuten in allen Bereichen immer noch ein Stückchen schwächer wurde und Hertha sich vom Schock der Gegentore erholt hatte, wurde es ganz langsam besser. Alex Nouri stellte zudem ein bisschen um: Marvin Plattenhardt rückte höher nach vorne, Hertha agiert im Ballbesitz ab der 20. Minute dann doch im 3-5-2.
Über die linke Seite fanden die Gastgeber langsam ins Spiel, ohne aber gefährlich zu werden. Plattenhardt blieb in einer zweigeteilten Position: mit Ball der Flügelverteidiger, ohne Ball der Außenverteidiger. Die etwas asymmetrische Anordnung und Plattenhardts gutes Nachschieben bereiteten Werder Probleme auf der rechten Abwehrseite. Schlimmer aber war noch der eine oder andere Alleingang von Spielern, die sich aus den Abläufen herausnahmen und auf eigene Faust Dinge versuchten, sowohl mit als auch gegen den Ball. Das brachte Werders bis dato sicheres Konstrukt in Bedrängnis.
Kohfeldt reagierte mit der Umstellung auf eine Fünferkette, zog dafür Vogt zurück und beorderte Eggestein und Klaassen ein bisschen tiefer auf die Doppel-Sechs. Vermutlich auch, um gegen das Pärchen Plattenhardt/Maximilian Mittelstädt auf der eigenen rechten Seite mit Theo Gebre Selassie und einem Sechser beziehungsweise dem rechten Halbverteidiger besser abzusichern. Ohne Vogt als direkten Gegenspieler holte sich der sehr präsente Cunha die Bälle tiefer ab und machte sofort Druck aufs gegnerische Tor. Dazu bewegten sich die Sechser Vladimir Darida und Ascacibar besser aufeinander abgestimmt und die Hertha konnte nun öfter über einen der beiden aufbauen und nicht nur lange Bälle nach vorne schlagen.
Gleichzeitig stellte Werder sein Offensivspiel als Mannschaft ein oder war bei den wenigen guten Ansätzen viel zu ungenau. Der Mut ging immer mehr verloren, im Zweifel wurden jetzt sogar nach Ballgewinnen Rückpässe gespielt, statt wie zu Beginn der Partie nach vorne und in die Tiefe zu gehen. Die Sechser hatten einen weiteren Weg, um nachzurücken. Sargent oder Bittencourt boten sich zwar immer noch gut im Zehnerraum an, wurden aber wegen der schlechten Passqualität nicht mehr gefunden oder verstolperten den Ball mit einem schlechten ersten Kontakt. Dazu kamen noch ein paar ziemlich schlechte Entscheidungen bei Kontern (Rashica, Bittencourt) und schon war sie wieder da: die Bremer Harmlosigkeit im Offensivspiel.
Zwangsläufig hatte die Hertha mehr Ballbesitz, wusste damit aber immer noch nicht richtig viel anzufangen. Plattenhardt und Marius Wolf flankten zu früh, Krzysztof Piatek war im Zentrum abgemeldet, Werders Innenverteidiger in der Luft nicht zu bezwingen. Lediglich Cunhas Dribblings und Abschlüsse sorgten für Gefahr - und dann eben in schlechtester Bremer Tradition ein Standard. Der Anschlusstreffer vor der Pause war trotz der besser werdenden Hertha überraschend.
Zur zweiten Halbzeit stellte Kohfeldt um auf ein 4-3-3, Vogt spielte fortan wieder auf der Sechs. Nouri ließ Darida deutlich höher agieren und hatte in Aascacibar nur noch einen klaren Sechser als Absicherung. Die Hybridversion aus Dreierkette mit und Viererkette gegen den Ball blieb bestehen. Durch Daridas Aufrücken konnte Cunha auch wieder näher am gegnerischen Tor agieren. Berlin stellte Werder nun mit klarer Manndeckung zu. Trotzdem kam Werder erneut besser aus der Kabine. Die Mannschaft rückte wieder höher auf, kam so besser ins Gegenpressing und hatte längere Ballbesitzzeiten. Aber auch diese gute Phase war nach rund zehn Minuten wie abgeschnitten.
Werders Passspiel wurde immer schlampiger, die Angriffe endeten nach spätestens vier, fünf Stationen. Und sobald Berlin Cunha irgendwie ins Spiel brachte, wurde es heikel für die Gäste. Werder schlug in der Phase unter Druck jeden Ball nur noch weg, statt mit Ruhe die abgesprochenen Zonen zu besetzen und anzuspielen. Die Quittung für diese sehr schlechte Bremer Phase folgte prompt mit dem Ausgleich. Kohfeldt stellte mit Marco Friedls Einwechslung kurz danach (für Bittencourt) auf Dreierkette hinten um und funktionierte Augustinsson zu einer Art Flügelangreifer um. Die Partie wurde umkämpfter, es gab mehr Zweikämpfe und Fouls und damit zwangsläufig auch mehr Unterbrechungen.
Werder fand nicht mehr so richtig zurück zu seinem Spiel aus der Anfangsphase, Berlin zog sich gegen Ende der Partie immer weiter zurück und setzte nur noch auf lange Bälle direkt in die Spitze auf den starken Cunha, der sich in zahllosen Zweikämpfen aufrieb. Richtig gefährlich wurde es für beide Mannschaften aus dem freien Spiel heraus nur noch in Ansätzen, dafür hatten beide in Umschaltmomenten und nach Standards noch Gelegenheiten. Kohfeldts letzte Patrone mit Claudio Pizarro und der Umstellung auf drei Angreifer mit dem nach vorne gezogenen Eggestein saß auch nicht mehr, weil die Hertha am Ende mit fünf Spielern die letzte Linie sicherte.
Deshalb blieb es beim aus Bremer Sicht unbefriedigenden Ergebnis. Das Remis fühlt sich nach der Aussicht auf drei Punkte und einer 2:0-Führung wie eine Niederlage an und könnte im Kontext der vergangenen Spiele und der Ergebnisse der Konkurrenz noch richtig schmerzhaft werden. Aber: Leistungstechnisch war in Phasen ein Fortschritt zu erkennen. Es gibt wieder mehr Versatzstücke des Bremer Offensivfußballs, Vogt auf der Sechs ist eine gute Idee, die Defensive funktioniert ordentlich. Das Trainerteam muss nun ganz schnell einen Weg finden, diese guten Ansätze zusammenzubringen und vor allen Dingen 90 Minuten lang abrufbar zu machen - und nicht nur 20 oder 30 Minuten. Wobei die Umsetzung in letzter Konsequenz natürlich eine Aufgabe der Mannschaft ist.
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