
Den größten Schreck bekamen die Abwehrspieler von Union Berlin, als sie im leeren und deshalb stillen Weserstadion plötzlich von ihrem eigenen Trainer angeschrien wurden: In seinem rustikal klingenden Dialekt monierte der Schweizer Urs Fischer das Stellungsspiel nach einem Bremer Einwurf im Mittelfeld, einer völlig ungefährlichen Szene sehr weit weg vom Berliner Tor. Es wirkte fast, als wollte er seinen Abwehrspielern signalisieren: Ich sehe auch euch, auch wenn ihr an diesem Spiel kaum teilnehmen müsst.
Man kann sich das erneut äußerst triste Heimspiel von Werder noch so oft ansehen, man findet bei dieser 0:2-Niederlage kaum mal eine Szene, in der ein Berliner Abwehrspieler in höchster Not einen Ball blocken oder grätschen musste, es gibt keine verbissenen Kopfballduelle, keine engen Laufduelle. Und so sprach Werders Trainer Florian Kohfeldt dem Gegner ein Lob aus, das gleichzeitig die eigene Mannschaft angemessen zurechtstutzte: „Union hat es top gemacht, aber die hätten nicht einmal so gut sein müssen, wie sie waren. Denn wir haben nichts dagegen gesetzt.“
Es gab sicherlich keinen auch nur halbwegs guten Mannschaftsteil bei Werder, aber es gab einen, der gar nicht vorhanden war in diesem Heimspiel: der Angriff. Josh Sargent etwa, wie schon seit Wochen als vorderster Stürmer aufgeboten, schoss nur ein einziges Mal in Richtung Tor, und wie deutlich er das Ziel dabei verfehlte, war fast noch schlimmer als die Halbherzigkeit, mit der er das machte. Leonardo Bittencourt kam auch auf einen Torschuss, der ging nicht vorbei, sondern drüber. Romano Schmid stand bei seinem einzigen ernsthaften Schuss im Abseits, von Osako kam nichts, wie so oft. So ruhte die Hoffnung auf den erstmals seit Monaten wieder anwesenden Niclas Füllkrug und Davie Selke, die nach ihren Verletzungen aber nur zu kürzeren Einsätzen in der zweiten Halbzeit zur Verfügung standen, als der Gegner schon längst souverän mit 2:0 führte. Selke kam noch zu einer Zufalls-Chance und Berlins Torhüter Andreas Luthe dadurch in den seltenen Genuss, den Ball mal in die Hände zu nehmen.
Das war es auch schon mit der Werder-Offensive, die gegen diese im Prinzip durchschnittliche Berliner Bundesligamannschaft vor allem dadurch auffiel, dass sie körperlich nicht mithalten konnte. Unions Defensivspieler waren in den direkten Duellen größer, robuster, schneller und präsenter – und in Person von Innenverteidiger Robin Knoche sogar kreativer. Dessen Pass in die Tiefe vor dem ersten Tor haben Werder-Fans von ihrer Mannschaft schon sehr lange nicht mehr gesehen.
„Wir haben im Offensivspiel nicht ein Mal auch nur im Ansatz dahin gefunden, wo wir hinkommen wollten“, klagte Florian Kohfeldt nach dem Spiel. Erklärungen dafür hatte er nicht. „Ich muss das ergründen. Das Abschlusstraining war top – und dann haben sie heute so gespielt. Ich bin nicht bereit, auch nur im Ansatz eine Erklärung oder Entschuldigung zu suchen. Es gab und gibt keine Entschuldigung. Es war einfach nur schlecht.“ Allein die offensichtlich unterschiedlichen physischen Voraussetzungen wollte Werders Trainer als Erklärung nicht akzeptieren, denn: „Wir haben auch ein paar Jungs dabei, die mal einen Zweikampf gewinnen können. Den müssen wir dann aber auch mal gewinnen. Heute ging es teilweise gar nicht darum, Zweikämpfe zu gewinnen, weil wir gar nicht in die Zweikämpfe gekommen sind. Auch das ist keine Ausrede.“ Das galt sicher auch für Abwehr und Mittelfeld, aber in geradezu erschreckender Weise auch für Werders so genannte Offensive.
So ruhen alle Hoffnungen nun weiter auf den Rückkehren Füllkrug und Selke, die den jüngsten Hoffnungsträger und Siegtorschützen aus dem Mainz-Spiel, den 19-jährigen Eren Dinkci, wieder aus dem Kader verdrängten. Werders Abwehrspieler Marco Friedl weiß aus eigener Erfahrung, was gute Stürmer ausmacht. „Man hat gesehen, wie wichtig Davie und Fülle sind, weil so vorne Robustheit dazukommt und das brauchen wir“, sagte Friedl nach der Niederlage gegen Union, „deshalb ist es sehr wichtig, dass die beiden gesund sind und auch fit bleiben.“
Auch Kohfeldt ist natürlich froh, dass die beiden erfahrenen Angreifer wieder dabei sind, „weil sie uns ein anderes Mittel geben in unserem Spiel. Wir müssen ehrlicherweise sagen, dass wir das brauchen werden, damit wir auch mal den ein oder anderen Ball aus dem Halbfeld oder nach einer Flanke da vorne reinspielen können.“ Da vorne in den Strafraum nämlich, wo man Werderaner in vielen Bundesligaspielen zuletzt vergeblich suchte.
Denn über gelungene Spielzüge, schnelle Kombinationen oder kreative Pässe wird dieses Werder auch in den kommenden Wochen eher nicht zum Torerfolg kommen. „Wir haben nicht die Ressourcen, uns darauf zu verlassen, dass uns irgendwas dauerhaft über ein spielerisches Element rettet“, räumt Kohfedt offen ein. Und so wurde Werder von zwei Berliner Angreifern abgeschossen, die in nur einem Spiel mehr Wucht, Tempo und Leidenschaft zeigten, als alle Bremer Offensivspieler in den letzten Wochen zusammen: Taiwo Awoniyi und Sheraldo Becker. Max Kruse spielte verletzungsbedingt bei Union nicht einmal mit. Gefühlt liegen damit Welten zwischen den Offensivabteilungen von Werder und Union.
Bremen ohne Werder - das ist unvorstellbar! Und das Profiteam, das in der Bundesliga um Punkte und Tore kämpft, ist das Herzstück des Vereins. Auf dieser Seite gibt es News, Fotos und Videos rund um die Werder-Profis.