Nirgendwo wird so viel fair gehandelter Kaffee getrunken, wie in Deutschland: Knapp vier Prozent der hierzulande verkauften Bohnen wurden unter kontrollierten Arbeitsbedingungen produziert. Damit ist Fair-Trade-Kaffee zwar immer noch ein Nischenprodukt – aber eines, das es längst nicht mehr nur in Eine-Welt-Läden gibt, sondern das auch in den Regalen von Discountern und Supermärkten steht und damit zunehmend in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Ein Millionengeschäft, das auf einen Begriff fußt, der rechtlich nicht geschützt ist. Was fair ist, und was nicht, legen die Anbieter der Siegel in einem Kriterienkatalog selbst fest.
2015 wurden allein in Deutschland mehr als 16.400 Tonnen fair gehandelter Kaffee verkauft – fast doppelt so viel wie vor fünf Jahren. Eines der bekanntesten ist das Fairtrade-Label des Dachverbands Fairtrade Labelling Organizations International. Die Siegelinitiative hat Standards definiert, nach denen die mehr als 730.000 an das System angeschlossenen Kleinbauern weltweit Kaffee anbauen müssen. Die Bauern verpflichten sich zum Beispiel, einen fairen Lohn zu zahlen sowie Zwangs- und Kinderarbeit zu verhindern. Dafür erhalten sie im Gegenzug unter anderem einen festen Mindestpreis und Prämien für ihren Kaffee und können sich so gegen die stark schwankenden Weltmarktpreise absichern.
Ist das Fairtrade-Siegel nur eine Marketing-Masche?
Aber: Immer häufiger wird kritisiert, dass der von Fairtrade gezahlte Mindestpreis zu gering sei. Und auch Entwicklungsökonomen, etwa von der University of San Francisco, bemängeln, dass Fairtrade-Kaffee eines der ineffektivsten Mittel gegen Armutsbekämpfung sei. Dadurch, dass mittlerweile auch große Industrieunternehmen für ihren Günstigkaffee das Label nutzen, verliert es zudem zunehmend an Glaubwürdigkeit. Ist das Fairtrade-Siegel am Ende also nichts weiter als nur eine riesige Masche der Marketingstrategen? Ein Geschäft mit naiven Menschen, die glauben, beim Kaffeetrinken die Welt verbessern zu können?
„Nein“, sagt Jonas Lorenz entschieden. Er arbeitet unter anderem für die Bremer Spezialitäten-Kaffeerösterei Cross Coffee. Das Thema fairer Handel begleitet ihn seit Jahren, seine beiden Studien-Abschlussarbeiten hat er dazu verfasst. „Klar gibt es Schwächen. Aber ich denke, dass die Erwartungen, die mittlerweile an den fairen Handel gestellt werden, überzogen sind.“ Den Ärmsten der Armen könne zwar auch fair gehandelter Kaffee nicht helfen, weil diese nicht die Mittel haben, die Standards zu erfüllen. Kleinbauern jedoch, mit Familienplantagen zum Beispiel, erhalten dadurch mehr als nur die Möglichkeit, höhere Summen für ihre Bohnen zu erzielen. „Sie lernen viel über den Weltmarkt, werden als Unternehmer weiter ausgebildet und können so Stück für Stück wachsen.“ Ganze Regionen haben sich so bereits entwickelt. Und weil im fairen Handel demokratische Mitbestimmung besteht, würden auch diese in den globalen Süden getragen. „Wer als Verbraucher die Wahl hat zwischen fair gehandeltem und ganz normalem Kaffee, der sollte sich für Ersteres entscheiden“, empfiehlt Lorenz.
Kaffee aus fairem Handel steht nicht automatisch für gute Qualität
Denn der Druck auf die 25 Millionen Kaffeebauern weltweit steigt. Gründe dafür gibt es viele. Die zunehmende Spekulation auf Rohstoffe ist einer von ihnen, die globale Überproduktion von Robusta-Bohnen und der Klimawandel sind weitere. „Die Lage spitzt sich immer weiter zu, der Weltmarktpreis ist niedriger, als in den 80er-Jahren“, gibt Lorenz zu bedenken. Nur fünf große Handelsfirmen wickeln mit über 55 Prozent mehr als die Hälfte des weltweiten Kaffeegeschäfts ab – und erzeugen damit einen enormen Preisdruck. Für einen Großteil der Kaffeebauern ist das existenzbedrohend. „Da kann es schon helfen, wenn über den fairen Handel mehr Geld bei ihnen ankommt.“ Wie viel das sein kann, zeigt ein Blick auf die Entwicklung der durchschnittlichen Fairtrade-Prämie pro Kaffee-Bauer: Lag diese 2012/13 noch bei 13 Euro, stand sie ein Jahr später bereits bei 68 Euro – ein Plus von 423 Prozent.
Was viele missverstehen: Kaffees aus fairem Handel stehen nicht automatisch auch für eine besondere Qualität der Bohnen, wie sie etwa Spezialitätenkaffees garantieren – diese wird zum Beispiel beim Fairtrade-Label nicht eingefordert, weil es hier vor allem um die Einhaltung sozialer Standards geht. Wer zu besonders hochwertigen Spezialitätenkaffees aus kleinen Röstereien greift, findet aus diesem Grund auf den Verpackungen in der Regel keine Fair-Trade-Siegel. Stattdessen ist oft ein anderer Hinweis abgedruckt: „Direct Trade“.
Firmen investieren in Bildungsprojekte
War ein allgemeingültiges Siegel als Nachweis für eine sozialverträgliche Produktion lange Zeit Kaufgrund genug, wollen es die Verbraucher mittlerweile genauer wissen: Der Trend geht zur maximalen Transparenz. Und die können Kaffeefirmen nur gewährleisten, wenn sie persönlich Kontakt zu den Kleinbauern haben, die ihren Kaffee pflanzen und ernten. Sie handeln mit ihnen individuelle Preise aus, stehen im ständigen Austausch, kaufen direkt und ohne Zwischenhändler. Und zahlen für das Kilogramm Bohnen oft das Vierfache des Marktpreises – auch, weil es sich in der Regel um Spezialitätenkaffee handelt. Die Bauern verdienen im direkten Handel also mehr an ihrer Ware. Ob sie das auch an ihre Mitarbeiter weitergeben, wird nicht so genau überprüft wie etwa im fairen Handel. „Grundsätzlich kann man davon aber ausgehen, weil es sich oft um Familienbetriebe handelt“, sagt Lorenz. Vor Ort merke man zudem schnell, wie vertrauenswürdig der Partner ist.
Apropos Vertrauen: das muss besonders ausgeprägt sein. Wer als Händler nicht will, dass ihm seine Zulieferer weglaufen, weil sie woanders ein paar Cent mehr für ihren Kaffee erhalten, muss die Beziehung pflegen. „Da kann es auch mal vorkommen, dass die Kaffeefirma sich vor Ort auch um die speziellen Bedürfnisse der Bauern kümmert“, sagt Lorenz. Nicht selten wird darüber hinaus in Bildungsprojekte und Ähnliches investiert. „So können auch durch Direct Trade Infrastrukturen und gesellschaftlicher Wandel entstehen.“
Dass mittlerweile einige Kooperativen auf so hohem Niveau Kaffee anbauen, lässt sich auf das Engagement der Fair-Handels-Bewegung zurückführen, sagt Lorenz. „Für viele war das die Grundlage für die Weiterentwicklung.“ Und am Ende gehe es vielen Verbrauchern ja vor allem darum, mit ihrem Kaffeegenuss auch Gutes zu tun. Ob die Bohne Fair- oder Direct-Trade ist, hänge dann nur noch von dem persönlichen Geschmack und dem eigenen Geldbeutel ab.