Vizepräsidentin des BDI im Gespräch "Ein exzellenter Rohstoff"

Im Interview sagt die Vizepräsidentin des Bundesverbands der deutschen Industrie, Ingeborg Neumann, dass nachhaltige Mode allen Vorurteilen zum Trotz, chic und bezahlbar sei.
20.03.2018, 06:00 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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Von Silke Hellwig

Frau Neumann, zu den in Ihrem Verband organisierten Unternehmen zählen mehr als 1400 vorwiegend mittelständische deutsche Textilunternehmen. Welche Rolle spielt für diese Firmen die Baumwoll-Faser?

Ingeborg Neumann: Baumwolle ist ein exzellenter Rohstoff – nachhaltig und natürlich. Baumwolle ist bei uns vor allem im Wäschebereich stark: von der Unterwäsche bis zur Bettwäsche. Unsere Kunden schätzen Baumwolle oder Mischfasern mit Baumwolle sehr. Teilweise wird auch noch in Deutschland verarbeitet. Ganz anders sieht es auf dem Feld von Funktionstextilien und Berufskleidung aus. Hier geht es um hoch innovative Fasern, die Feuerwehrleute schützen, oder Tec-Textilien im Sportbereich, die schnell trocknen oder bereits einen Sonnenschutz eingebaut haben. Auch in der Medizin, etwa bei Wundverbänden, im Fahrzeugbau oder bei Bauteilen in der Luft- und Raumfahrt, kommen hoch innovative technische Textilfasern zum Einsatz. Aufgrund dieses Fortschritts hat sich hier der Marktanteil in den vergangenen Jahren stark erhöht, und dennoch liegt Baumwolle bei einen Anteil von 25 Prozent.

Ist es grundsätzlich schwieriger, mit Baumwolle zu produzieren?

Die Produktion von Kunstfasern ist unabhängig vom Wetter und benötigt kein Ackerland. Damit sind Kunstfasern, wenn Sie so wollen, für uns einfacher herzustellen. Aus unserem täglichen Leben ist Baumwolle dennoch nicht wegzudenken. In vielen Ländern unserer Erde ist sie einer der wichtigsten Rohstoffe. Dabei gibt es starke Unterschiede in den verschiedenen Anbaugebieten. In Indien, noch vor China die größte Baumwollnation, bestimmen Kleinbauern das Bild. In den USA, drittgrößter Produzent, aber größter Exporteur, erfolgt der Anbau nach modernsten Methoden.

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Afrika haben Sie nicht genannt. Hat es afrikanische Baumwolle in der deutschen Textilindustrie schwerer als die Baumwolle aus anderen Nationen?

DIE afrikanische Baumwolle gibt es nicht. In etwa 30 von 54 Ländern auf dem afrikanischen Kontinent wird Baumwolle angebaut. Aus ganz Afrika kommen rund sechs bis sieben Prozent der weltweiten Produktion. Dabei gibt es auch dort ganz hervorragende Qualitäten. Aus Nordafrika, aus Ägypten, kommt sogar eine der besten Baumwollen. Richtig ist, dass der Klimawandel und fehlende Infrastruktur vor allem in Subsahara-Afrika auf Qualität und Erlöse für die Kleinbauern drücken. Richtig ist aber auch, dass es gerade deutsche Initiativen sind, die sich auf den Weg gemacht haben, dies zu ändern. Das setzt bei der Beratung der Bauern vor Ort an und geht über die gesamte textile Wertschöpfungskette.

Wie hoch ist der Anteil der afrikanischen Baumwolle, die in den Unternehmen Ihres Verbandes verarbeitet wird?

Dazu gibt es keine Zahlen. Wir wissen allerdings von vielen einzelnen Unternehmen, dass sie sich beim nachhaltigen Anbau von Baumwolle in Afrika engagieren: zum Beispiel bei der Berufs- und Schutzbekleidung oder bei Bettwäsche. Es gibt Unternehmen, die einzelne Produktionslinien zurückverfolgen können. Hier stehen wir noch ganz am Anfang, auch wenn unsere Unternehmen bereits nachhaltige zertifizierte Baumwolle aus verschiedenen Regionen Afrikas nutzen.

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Ihr Verband wirbt damit, dass die sozialen und ökologischen Standards der deutschen Textil- und Modeindustrie zu den höchsten weltweit zählen. Das außergewöhnlich hohe Niveau der Arbeitsbedingungen sowie der umweltbewusste Umgang der Branche mit Ressourcen seien international vorbildlich. Inwiefern?

Unsere Unternehmen sind innovativ und nachhaltig. 16 Forschungsinstitute arbeiten jeden Tag daran, dass wir international spitze sind und bei der Produktion weniger Energie verbrauchen und die Umwelt schonen. Mode-Einkäufer für deutsche Marken sind schon längst nicht mehr in der Welt unterwegs, um die billigsten Stückpreise zu verhandeln. Da stehen andere Kriterien im Vordergrund, wie der Arbeitsschutz oder die Gebäudesicherheit und vieles mehr. Schauen Sie sich die Produkte unserer Mittelständler an, gehen Sie in die Produktionsstätten, in denen Vliese oder Garne hergestellt werden. Schauen Sie sich an, was Outdoor-Hersteller inzwischen upcyclen: Da gibt es hochmoderne Sportjacken aus Plastikmüll und Fischernetzen, Funktionskleidung aus Kaffeesatz und vieles mehr.

Wie passt das zum großen kommerziellen Erfolg von Textildiscountern wie Primark oder KiK?

Auch diese Unternehmen passen sich Trends an und arbeiten an Nachhaltigkeitsstandards. Ob wir es hören wollen oder nicht: Viel entscheidet sich am Ende über den Preis, und Nachhaltigkeit hat ihren Preis. Die Wahl trifft der Verbraucher. Unsere Industrie stellt jede Menge Textilien aus nachhaltig produzierter Baumwolle her, chic, in tollem Design und voll im Trend.

Textilriesen wie H & M stellen im Netz die Nachhaltigkeit ihrer Produkte heraus. Überzeugt Sie das?

Mich überzeugt alles, was Unternehmerinnen und Unternehmer mit großer Leidenschaft und ebenso großem Verantwortungsbewusstsein jeden Tag gestalten. Die deutsche Textilindustrie hat einen ihrer größten Umbrüche hinter sich und sich mit ihren innovativen Produkten zu einem der leistungsfähigsten Industriezweige in Deutschland entwickelt. Im vergangenen Jahr konnten wir daraus erneut wieder mehr Arbeitsplätze schaffen. Made in Germany steht für höchste Qualität. Dass der Massenmarkt der Bekleidung nie komplett zu Made in Germany zurückkehren wird, ist eine Realität des 21. Jahrhunderts.

Was hat es mit der Fashion Sustain und dem Greenshowroom auf der Fashion Week in Berlin auf sich?

Beide Messen im Rahmen der Fashion Week zeigen nachhaltige Mode und Bekleidung sowie innovative Ideen rund um Nachhaltigkeit in der Produktion. Da können Sie beispielsweise sehen, wie Leder gegerbt wird, nicht mit chemischen Substanzen, sondern mit dem, was bei der Produktion von Olivenöl als natürlicher Abfall übrig bleibt. Und Sie können sich ein Bild davon machen, dass nachhaltige Mode chic und bezahlbar ist. Unternehmer, die oft als Start-up begonnen haben, zeigen inzwischen ihre erfolgreichen Kollektionen, das reicht von Handtaschen und Geldbeuteln bis hin zu Business-Kleidung. Nachhaltigkeit ist schon lange aus der modischen Nische herausgekommen.

Was müsste Ihrer Meinung nach – vonseiten der Politik, Ihrer Branche und/oder Verbrauchern – für Baumwollfarmer in Afrika getan werden, um die Situation für alle Beteiligten zu verbessern?

Der beste Weg für die afrikanischen Baumwollfarmer ist, wenn sich in Afrika selbst eine nennenswerte Verarbeitungsindustrie entwickelt. Hier könnten deutsche Unternehmen in der Tat interessante Partner sein. Dafür sind aber in vielen afrikanischen Staaten noch nicht die nötigen Voraussetzungen geschaffen, das reicht von den rechtlichen Rahmenbedingungen bis hin zum Kampf gegen Korruption. Hier braucht es endlich eine kraftvolle und wirkungsvolle Afrikapolitik der Bundesregierung, aber auch der gesamten EU. Außerdem brauchen Unternehmen eine bessere Risiko-Absicherung, wenn sie in Afrika investieren. Den Verbrauchern kann ich das große Angebot unserer deutschen Textilunternehmen ans Herz legen, die in vielfältiger Weise Baumwolle aus Afrika verarbeiten und damit auch ganz offensiv in die Vermarktung gehen. Sie sehen also, es gibt eine ganze Menge, was jeder von uns an seiner Stelle für die Baumwollfarmer in Afrika tun kann. Dazu tragen auch Konferenzen wie die des WESER-KURIER und der Bremer Baumwollbörse bei – frei nach dem afrikanischen Sprichwort: „Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren, die nächstbeste Zeit ist jetzt.“

Das Interview führte Silke Hellwig.

Zur Person:

Ingeborg Neumann ist seit 2013 Präsidentin des Gesamtverbands Textil + Mode. Außerdem ist die Berliner Unternehmerin Vizepräsidentin des Bundesverbands der deutschen Industrie.

Alles rund um die WK-Konferenz "Sustain" lesen Sie unter www.weser-kurier.de/sustain

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