Nord Stream 1 ist eine Gas-Pipeline von Russland durch die Ostsee nach Greifswald. Vor Jahren vereinbarte der russische Konzern Gazprom mit fünf westeuropäischen Energieunternehmen den Bau einer zweiten Pipeline. Osteuropäische EU-Staaten, allen voran Polen, und auch die EU-Kommission sind gegen das Projekt. Warum?
Die EU will – zu Recht – einen Gasbinnenmarkt verwirklichen. Ziel ist Versorgungssicherheit: Wenn die Gasversorgung in einem Land ausfallen sollte, können Gaslieferungen aus anderen EU-Staaten einspringen. Deshalb schreibt die Gasbinnenmarkt-Richtlinie seit 2009 vor: Die Eigentümer von in der EU liegenden Pipelines müssen allen Gaslieferanten diskriminierungsfreien Zugang zu marktgerechten Preisen gewähren. Dies soll und kann den Missbrauch von Marktmacht verhindern.
Gazprom soll andere Anbieter Zugang gewähren
Um Nord Stream 2 zu torpedieren, schlug die EU-Kommission eine kürzlich verabschiedete Änderung der Richtlinie vor. Danach gelten die Vorschriften auch für Gasleitungen zwischen Drittstaaten und der EU. Die Folge: Gazprom muss anderen Gaslieferanten Zugang gewähren. Gazprom zog vor Gericht. Der Ausgang ist offen.
Die Kommission begründet die Bekämpfung von Nord Stream 2 damit, dass die Pipeline die Versorgungssicherheit gefährde. Erstens gerate Europa in zu große Abhängigkeit von russischem Erdgas. Das aber ist falsch. Mit der Pipeline erhöht sich nur die Leitungskapazität. Wer am Ende Gas in die EU liefert, hängt wie bisher von der Nachfrage in Europa ab, und die richtet sich nach dem Preis. Im Gegenteil wird die Versorgungssicherheit sogar erhöht: Wenn eine Pipeline ausfällt – etwa wegen politischer Spannungen zwischen Russland und der Ukraine –, gibt es genug andere Kapazitäten.
Zweitens könne Russland Teile Osteuropas, vor allem Polen, leichter mit der Drohung erpressen, den Gashahn zu zudrehen. Auch das ist falsch. Zwar könnte Russland das tun, ohne die Lieferungen nach Westeuropa zu stören. Nur was bringt das? Im europäischen Gasbinnenmarkt kann das in Greifswald ankommende Gas mit der „Reverse flow“-Technologie nach Polen transportiert werden. Ein russischer Boykott Polens liefe dann ins Leere.
Das wahre Motiv der Polen gegen Nord Stream 2 ist denn auch ein anderes: Bislang kassiert Polen hohe Entgelte für das Gas, das über polnisches Gebiet geleitet werden muss. Die fallen weg für Gas, das durch die Ostsee fließt. Das ist vielleicht schlecht für Polen, aber gut für die Verbraucher in Europa, weil dadurch das Gas billiger wird.
Unser Gastautor
ist Vorsitzender der Stiftung Ordnungspolitik und des Centrums für Europäische Politik in Freiburg im Breisgau.
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