Autonomes Fahren Wenn wir Freiheit für Sicherheit aufgeben

Der Autobesitzer von morgen schaut während der Fahrt wohl nicht mehr auf die Straße. Der Mensch entwickelt sich immer mehr zum passiven Wesen, die Technik trifft die Entscheidungen. Doch wie können diese moralisch sein?
30.11.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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Wenn wir Freiheit für Sicherheit aufgeben
Von Ina Bullwinkel

Es ist ein gutes Gefühl, den ersten Gang einzulegen, den Widerstand des Kupplungspedals zu spüren, bis der richtige Moment kommt, um Gas zu geben, hochzuschalten und das Gaspedal tiefer zu treten. Es ist die Macht über eine Maschine. Fahren Autos in ein paar Jahren autonom und entscheiden selbst, bröckelt diese Macht. Geht es nach Verkehrsminister Alexander Dobrindt, finden das alle Menschen gut. Das autonome Fahren soll den Fahrer ablösen und Deutschlands Straßen sicherer machen. Früher oder später.

Schluss mit dem Vibrieren unter dem Fuß, vorbei mit dem guten Gefühl. Der Autobesitzer von morgen guckt womöglich nicht mehr nach vorn, geschweige, dass er ein Lenkrad in den Händen hält. Während der Fahrt soll er lesen, arbeiten, im Internet surfen. Nur nicht auf den Verkehr achten. Er soll entlastet werden, das Steuern übernimmt ein Algorithmus.

Denn der Mensch ist ein Verkehrsrisiko – er kann sich nicht konzentrieren, telefoniert während der Fahrt oder stopft sich bei 200 Stundenkilometern Fritten in den Mund. Von Januar bis August 2017 sind knapp 260.000 Personen bei Verkehrsunfällen verunglückt, mehr als 2000 sind gestorben. Der Mensch ist laut Statistischem Bundesamt schuld an fast 90 Prozent der Unfälle. Maschinen sind doch längst klüger, entscheiden schneller und vermeiden Risiken, die der Mensch gern eingeht.

Wie entscheidet die Maschine im Notfall?

Nur hat eine Maschine kein moralisches Navigationssystem. Menschenwürde ist ihr unbekannt, Rechtsgefühl hat sie nicht und sie vergisst, wenn sie einen Menschen auf dem nicht existenten Gewissen hat. Kann es also richtig sein, einen Algorithmus umgeben von einem Blechkasten ­allein auf die Straßen zu schicken? Die ­Entwickler träumen von einem System, das selbst aus Fehlern lernt, sich Abläufe merkt und neue Situationen richtig einschätzt. Noch ist der Gedanke an ein Auto mit eigenständigem Denksystem befremdlich.

Ein Szenario, das immer wieder genannt wird, wenn es um das autonome Fahren geht, ist die sogenannte Trolley-Situation. Der Algorithmus steht vor einem Dilemma: Entweder er steuert das Auto in eine Gruppe Senioren oder er überfährt ein Kind. Sicherlich keine alltägliche Situation. Trotzdem etwas, für das Programmierer eine Lösung finden müssen.

Aus moralischer Sicht und nach dem Grundgesetz verbietet es sich, Menschenleben gegeneinander aufzurechnen. Ein junger Mensch ist nicht mehr wert als ein alter, eine Frau nicht weniger als ein Mann. „Bei einem Algorithmus für autonome Fahrzeuge wird ein für alle Mal festgelegt, wie er in einer bestimmten Situation entscheidet, während ein Mensch immer spontan reagiert. Es gibt daher den Vorschlag, den Algorithmus in solch einer Situation per Zufall entscheiden zu lassen, um das Dilemma eines Menschen nachzuahmen“, sagt Jura-Professor Christian Armbrüster von der Freien Universität Berlin. Bei der ­Trolley-Situation gibt es kein Richtig und kein Falsch. Zu Beginn entscheidet allerdings ein Programmierer.

Unfallfreies Fahren kann nicht garantiert werden

Beim autonomen ­Fahren gibt es keine Antwort auf dieses ­Dilemma, im Leben eines Menschen auch nicht. Aber: Wer möchte ein Auto kaufen, das für das Leben eines anderen bereitwillig in den Abgrund steuert? Die Ethik des autonomen Fahrens ist komplex. Autobauer und Programmierer können wohl ein sichereres Fahren garantieren, aber kein unfallfreies.

Der Mensch hat einen inneren Antrieb, Probleme zu lösen. Er hat gelernt, Feuer zu machen, um sich zu wärmen und Licht zu machen. Er hat Getreide gesät, um sich und seine Familie zu ernähren. Er hat das Rad erfunden, um schwere Dinge zu transportieren und schließlich sich selbst. Jetzt, im Zeitalter der Digitalisierung, ist er vor allem bequem und sucht Lösungen, für die es weder handwerkliches Geschick noch besonders viel Verstand bedarf. Strom kommt aus der Steckdose, Essen wird per App bestellt und das Auto, das den Gast selbstständig abholt und chauffiert, ist keine Utopie mehr. Soziologen sprechen von Kulturtechniken, die verloren gehen.

„Wenn Technik alltäglich wird, werden sich Alltagserfahrungen als Grundlagen unseres Personenverständnisses verschieben“, sagt der Leiter der Ethikkommission für autonomes Fahren, Udo Di Fabio. Der Mensch verändert sich in seinem Selbstverständnis. Er kann Knöpfe drücken und damit fast jedes Bedürfnis befriedigen. Zu sagen, dass er abstumpft, ginge zu weit. Doch er entwickelt sich zunehmend zu einem passiven Wesen, das „smarte“ Technologien nutzt, anstatt selbst etwas zu schaffen.

Wie viel Freiheit geben wir für mehr Sicherheit auf?

Wie man sich selbst und sein Tun sieht, bestimmt die Werte, nach denen wir leben. Wer sich durch harte Arbeit auf dem Feld seine Kartoffeln selbst verdient, denkt über seine Mahlzeit anders als jemand, der eine Pizza aus dem Karton isst. Wer sich mit Kompass und Landkarte in der Hand orientiert, empfindet den Weg zum Ziel anders als jemand, der mit gesenktem Kopf einer digitalen Stimme folgt. „Man wird überall umsorgt – kann man dann noch so ein Grundrecht wie Freiheit auch als Risiko und Herausforderung erleben?“, fragt Di Fabio. Er befürchtet den Übergang in ein anderes Wertesystem. Trotzdem ist das Versprechen von nahezu unfallfreien Straßen verführerisch. Sicherheit ist ein Wert, den viele mindestens genauso schätzen wie ihre Freiheit.

Aber der Mensch fährt gern zu schnell, nimmt die Kurve lieber etwas knapper und braust auch mal bei Rot über die Ampel. Weil es Spaß macht. Wer möchte das aufgeben und sich Geschwindigkeit und Fahrstil von einem Algorithmus diktieren lassen? Über der Diskussion zum autonomen Fahren schwebt eine Frage: Wie viel Freiheit müssen wir für die Sicherheit aufgeben? Bequemer ist es, während der Fahrt zu schlafen oder Karten zu spielen. Bald werden Autos ihre Kunden vor der Haustür abholen und sich am Ende der Fahrt eigenständig einen Parkplatz suchen. Das Auto mutiert zum Diener – wie schön.

Doch beim Kutschieren wird es vermutlich nicht bleiben. Noch mehr Unfälle ließen sich nur durch vernetztes Fahren vermeiden: Wenn das Auto weiß, dass in zwei Kilometern das Ende eines Staus wartet, wenn der Wagen hinter mir informiert ist, dass ich die nächste Ausfahrt nehme. Eine riesige Datenflut kündigt sich an. Genauso wie mögliche Daten-Leaks. Autohersteller können nicht nur die gefahrenen Strecken nachvollziehen, sondern vermutlich auch, was ansonsten im Auto passiert.

Die Gefahr der Hacker-Angriffe

Kommunizieren Fahrzeuge miteinander, handelt es sich nicht um ein geschlossenes System, das vor Hackerangriffen gefeit wäre. Dass Fahrzeuge als Waffe taugen, haben Terroranschläge deutlich gemacht. Staaten könnten sich ebenso dafür interessieren, wo sich ihre Bürger gerade aufhalten. Diesen Missbrauch der Daten will die Ethikkommission verhindern. Fragt sich nur wie. So wie der Algorithmus nicht für jede Situation programmierbar ist, wird immer ein Risiko bleiben. Ein Risiko, das nicht berechenbar ist. Viele Menschen glauben, dass sie nichts zu verbergen haben – der Haken, um den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zuzustimmen, ist schnell gesetzt. Genauso wie Autofahrer blind dem Piepen ihrer Einparkhilfe vertrauen, werden sie bald die autonome Fahrt auf der Autobahn und schließlich durch die Stadt wagen.

Eines steht fest: Das Narrativ des Autofahrens wird sich komplett umkehren. ­Irgendwann benötigt man zum Autofahren womöglich keinen Führerschein mehr, und die Menschen, die noch Lenkrad und Schalthebel kennen, werden bestaunt. Auch wenn sich das Nicht-selber-fahren-müssen nach gewonnener Freiheit anfühlt, ordnet sich der Autofahrer einer selbstdenkenden Maschine unter, die er vielleicht nicht mehr einfangen kann. Gleichwohl werden sich die Unfallzahlen vermutlich drastisch verringern. „Was war das Autofahren früher gefährlich!“, mag man sich bald in der selbstfahrenden Gondel ­erzählen. Den anderen Autoinsassen, die auf der Nebenspur in derselben Geschwindigkeit und in demselben vorsichtigen Fahrstil transportiert werden, nickt man dann freundlich zu. Das Lenken übernimmt ja die Maschine. Was für ein gutes Gefühl.

Zur Autorin:

Ina Bullwinkel ist Volontärin des WESER-KURIER und hat kein Auto. Am liebsten fährt sie mit dem Rennrad – ganz autonom.

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