Ende Juni 2016, Hamburg, unweit des Hauptbahnhofs. Ahmad Ahadi lässt sich zufrieden auf die Rückbank seines Cabrios fallen. Ein gelungener Drehtag. „Die Reaktionen waren heute mal wieder ultralustig, Mann", sagt Ahadi, schwarzer Anzug, Fliegerbrille, Zahnpastalächeln, glucksend in die Kamera.
Das Ergebnis findet sich zwei Wochen später auf Youtube. Ein Video, fünf Minuten lang. Es heißt „Bomben Prank!!“ und zeigt, wie sich Ahadi mit einer schwarzen Sporttasche einer Reihe Wartender vor einem Bank-Automaten nährt. Wie er ihnen die Tasche plötzlich vor die Füße wirft und in künstlich-gebrochenem Deutsch schreit: „30 Sekunden habt ihr alle Zeit, rennt lieber, wenn euer Leben was wert ist.“
Die verhuschte Aufnahme dokumentiert auch, wie zwei Frauen aufschrecken und flüchten, wie sich andere irritiert abwenden. Sie alle sind längst weg, als Ahmad Ahadi auflöst: alles nur Spaß, kleiner Streich. Doch keine Bombe, „just a prank“, haha!
Sieben Monate auf Bewährung
Ahmad Ahadi, 23, besser bekannt als ApoRed, kann von sich behaupten, Berufs-Youtuber zu sein. Pranks, übersetzt Streiche, gehörten bislang zu seinem Portfolio. Die Panik der anderen in eigene Klicks münzen: Für ihn funktionierte das. Rund 270 Millionen Mal wurden seine Videos aufgerufen. Seit einer Weile aber verzichtet er auf Streiche. Aktuell beschränkt sich Ahmad Ahadi weitgehend darauf, teure Turnschuhe und 180-Euro-Shirts in die Kamera zu halten. Nicht ohne Grund: Gerade wurde er verurteilt. Sieben Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung.
Der Videomacher hatte sich im Oktober vor dem Amtsgericht Hamburg wegen seines vermeintlichen Bomben-Streichs verantworten müssen. Opfer der Aktion hatten geklagt. Drei von ihnen schilderten vor Gericht, wie sehr sie das Erlebte belastet habe, ihnen teils noch immer zusetze. Sie erzählten vom „Gefühl, zu denken, dass das Leben gleich vorbei sein wird“. Ahmad Ahadi räumte ein, die Aktion sei „kindisch“ und „sehr, sehr dumm“ gewesen. Genau genommen trieb sie bloß eine fatale Logik auf die Spitze, die seit einer Weile auf Youtube herrscht.
Pranks auf Youtube: Noch größerer Schock, noch mehr Panik
„Je polarisierender und krasser der Streich ist, desto wahrscheinlicher ist, dass er geteilt wird“, sagt Dominik Rudolph. Der Kommunikationswissenschaftler ist Geschäftsführer des Zentrums für Informationsverarbeitung an der Universität Münster und hat zu Youtube promoviert. Er versteht die Youtube-Streiche als Meme, als Internetphänomen. Ständig dachten sich die Filmemacher neue Spielarten der Streiche aus. Mal die Schwangerschaft, mal der Heiratsantrag, dann der eigene Tod – lässt sich alles irgendwie vortäuschen, prima Prank-Material also. Immer wenn eine dieser bestimmten Varianten besonders gut ankomme, finde sie Nachahmer, sagt Rudolph. Die Nachahmer seien sich aber bewusst, dass ihre Adaption nur beachtet werde, wenn es ihnen gelinge, das Original zu übertreffen. Also: noch größerer Schock, noch mehr Panik bei den Hereingelegten – oder keine Klicks. „So entsteht ein Wettbewerb, bei dem Grenzen überschritten werden“, sagt Rudolph.
Streiche spielen sich Menschen schon ewig. Es gibt sie zum Aprilanfang, zum Abitur, zu Halloween. Klingel- oder Telefonstreiche hat vermutlich so ziemlich jeder irgendwann mal gemacht. Kinder wachsen mit den Späßen von Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ auf. Im Fernsehen lacht man über die Streiche des Moderatoren-Duos Joko und Klaas und die Show „Verstehen sie Spaß?“.
Die Pranks auf Youtube aber sind anders. Ihre Protagonisten sind nicht bloß Max und Moritz 2.0 oder die Guido Cantz‘ des Internets. Auf Youtube wandelt sich das Wesen des Streichs. Anno 2017 endet er oft nicht mehr da, wo die Persönlichkeits- und Intimsphäre anderer beginnt. Und das liegt auch an der Plattform.
Kommunikationswissenschaftler: „Auch die Youtube-Community kennt Grenzen“
„Auf Youtube brechen die Kontrollinstanzen weg“, sagt Kommunikationswissenschaftler Dominik Rudolph. Welcher Streich veröffentlicht wird, entschieden keine Institutionen oder Redaktionen wie etwa beim klassischen Fernsehen, sondern meist jugendliche Youtuber im Alleingang, sagt Rudolph. „Im Youtube-Zeitalter gibt keine Gatekeeper des Streichs mehr.“ Der Wettstreit um die verrücktesten Pranks passiert ungefiltert. Legitim scheint, was Klicks bringt.
Etwa, dass sich Youtuber Leon Machère, 25, fast eine halbe Milliarde Kanalaufrufe, mit Blaulicht auf seinem Privatauto durch Hamburg fahren lässt und sich als Polizist ausgibt. Dass er filmt, wie er als vermeintlicher Beamter mit einem Megafon Passanten anspricht, Personenkontrollen vornimmt und seine Opfer unter anderem zu Liegestützen nötigt – oder dazu, sich auszuziehen. Oder etwa, dass Machère aufnimmt, wie er sich gemeinsam mit Ahmad Ahadi, alias ApoRed, nachts, nach Ladenschluss, ohne Erlaubnis in einem Ikea, einem McDonald’s und einem Cinemaxx-Kino aufhält.
Die Frage ist immer die gleiche, offline und online: Wie wird der Hereingelegte wohl reagieren? Die Youtube-Pranks leben wie alle Streiche von der Neugier aufs Verhalten der Opfer. Von der Schadenfreude der Beobachter. „Aber auch die Youtube-Community kennt Grenzen“, sagt Dominik Rudolph. „Da sitzen Jugendliche, aber keine Millionen von Sadisten vor den Bildschirmen.“
Pranks, bei denen Kinder oder alte Menschen vorgeführt würden, kämen bei den Zuschauern weniger gut an. Und das könnten sie ausdrücken, sagt Rudolph. Die Sanktionsmechanismen reichten vom Ignorieren des Videomachers bis hin zum Shitstorm, dem Entrüstungssturm in den Kommentarspalten der Plattform. Und selbst wenn sich die Community nicht weiter an den Grenzüberschreitungen ihrer Youtuber störe, wie etwa bei Machère oder Ahadi, bliebe da ja noch das Gesetz, sagt Rudolph.
Und da gilt grundsätzlich: „Ein Youtuber macht sich schuldig, wenn er die Rechte eines anderen mit seinem Streich verletzt“, sagt Eberhard Reinecke, Kölner Anwalt für Medien- und Urheberrecht. Die Videomacher müssten mit einer Strafe rechnen, wenn ihre Filme etwa Körperverletzung oder Hausfriedensbuch zeigten.
Prank-Opfer können Anzeige erstatten
Dabei werde nicht unbedingt das Persönlichkeitsrecht von jedem verletzt, der in einem Prank-Video zu sehen sei. Passanten, die zufällig durchs Bild liefen und nicht hereingelegt würden, seien „eher nicht geschützt“, glaubt Reinecke. Anders verhält es sich bei den unmittelbaren Opfern des Pranks. Sie müssen vom Videomacher informiert werden, dass sie im Clip zu sehen sein werden. „Ohne die dokumentierte Zustimmung der Beteiligten darf das Video nicht mit klar erkennbaren Gesichtern hochgeladen werden.“ Geschieht dies dennoch, kann das juristische Folgen haben. Es liege an den Betroffenen, Anzeige zu erstatten und auf Unterlassung zu klagen, sagt Jurist Eberhard Reinecke. Theoretisch sei sogar denkbar, dass die Opfer des Pranks einen Teil des Geldes erstreiten könnten, das die Macher mit dem Video durch Klicks und Werbung verdient hatten.
Für dramatische Folgen müssen Streiche dabei nicht mal rechtliche Grenzen überschreiten, wie die Prank-Sparte der vorgetäuschten Selbstmorde zeigt. US-amerikanische Jugendliche, die ihren Eltern mit viel Kunstblut weismachen wollen, sie hätten sich das Leben genommen, ernten schon mal eine halbe Million Aufrufe. Im US-Bundesstaat Michigan endete ein solcher Netzstreich in einer Tragödie. Ein Elfjähriger nahm sich das Leben, weil seine Freundin ihm online ihren Suizid vorgetäuscht hatte.