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Zum Equal Pay Day "Das Tempo ist wirklich langsam"

Es gibt bei den Lohnlücken zwischen Frauen und Männern wenig Bewegung. In Bremen sind die Unterschiede besonders deutlich. Das berichtet die Expertin Wiebke Blanquett. Warum ist das so? Und was tun?
06.03.2024, 05:00 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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Von Lisa Schröder

Frau Blanquett, an diesem Mittwoch ist Equal Pay Day. Der Aktionstag macht auf die Gehaltsunterschiede von Männern und Frauen aufmerksam. Wie groß sind die genau?

Wiebke Blanquett: Die Unterschiede sind noch sehr groß. In Bremen haben die Frauen im vergangenen Jahr 19 Prozent weniger verdient als die Männer. Deutschlandweit liegt der Unterschied bei 18 Prozent.

Bremen steht also sogar leicht schlechter da?

Nicht nur das. Bremen landet im Bundesländervergleich auf dem viertletzten Platz. Bremen hat sich dabei schon etwas verbessert, andere Bundesländer schneiden etwas schlechter ab. Vorher waren wir lange auf dem letzten Platz. In den ostdeutschen Bundesländern sieht es deutlich besser aus. In Brandenburg liegt das sogenannte Gender-Pay-Gap bei vier Prozent.

Wie kommt es bis heute zu den teils krassen Lohnunterschieden?

Frauen arbeiten häufiger in schlechter bezahlten Berufen als Männer. In Bremen sehen wir das ganz deutlich. Viele Männer sind in den gut bezahlten industrienahen Branchen tätig: in der Stahlindustrie, im Automobilbereich sowie der Luft- und Raumfahrt. Dagegen arbeiten viele Frauen im Bereich Gesundheit und Pflege sowie im Einzelhandel. Dort wird weniger gezahlt. Zugleich können wir sehen, dass in Bremen weniger Frauen in Führungspositionen arbeiten mit einem Anteil von 19,3 Prozent. Wir waren da eigentlich schon besser.

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Frauen arbeiten außerdem öfter in Teilzeit.

Richtig. Das hängt natürlich damit zusammen, dass die Frauen mehr Sorgearbeit übernehmen, Angehörige pflegen oder die Kinder betreuen. Sie haben de facto weniger Zeit für die Erwerbsarbeit. Selbst wenn aber alle Faktoren gleich sind – also von der Arbeitszeit bis hin zur Position – liegt der Lohnunterschied in Bremen bei sieben Prozent.

Eine Untersuchung des Statistischen Bundesamts bestätigt gerade das angesprochene sogenannte Gender-Care-Gap für 2022: Frauen leisteten demnach deutlich mehr unbezahlte Arbeit als Männer.

In Bremen ist ein Drittel aller Frauen gar nicht am Erwerbsleben beteiligt. Das ist erschreckend. Und von den Frauen, die am Arbeitsmarkt beteiligt sind, arbeiten nur 49 Prozent in Vollzeit. Hingegen sind es bei den Männern 85 Prozent. Wir haben in Bremen einen Mangel an Kita- und Krippenplätzen. Das muss sich ändern. In der Regel sind es nach wie vor die Frauen, die diese Sorgearbeit übernehmen. Hier muss die Politik dringend etwas verändern und das Betreuungsangebot ausbauen. Es geht aber auch um die Pflege. Wenn das Pflegeangebot professionell ausgebaut ist, kann sich das Gender-Care-Gap verringern, weil die Frauen wieder mehr Zeit haben, am Erwerbsleben teilzuhaben. Das zeigen Studien. 

Gleiches Geld für gleiche Arbeit. Was sollten die Unternehmen tun, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen?

Unternehmen können sich natürlich selbst hinterfragen: Bezahle ich fair? Es gibt einen Entgeltgleichheitscheck. Frauen können als Fachkräfte viel besser gehalten werden, wenn die Bezahlung im Unternehmen gerecht ist. In der Gesellschaft herrschen nach wie vor aber traditionelle Rollenbilder vor – das reicht in die Familien und in die Unternehmen hinein. Schon bei der Einstellung von Frauen und Männern ergeben sich Unterschiede. Tarifverträge sind gut für Frauen. Im Land Bremen profitieren davon jedoch vor allem die Männer in der Industrie.

Was können die Frauen selbst unternehmen, um für sich mehr Gerechtigkeit zu erlangen?

Ich finde es schwierig, die Verantwortung dafür auf die Frauen zu übertragen. Denn es sorgen bestimmte Strukturen dafür, dass sie etwa schwerer in Führung kommen. Im Bereich Bildung schneiden Frauen und Männer noch relativ gleich ab – die Frauen liegen sogar einen Ticken vorne. Bei der Berufswahl wirken dann aber immer noch geschlechtsspezifische Zuschreibungen. Wir brauchen mehr Frauen in der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Berufe in diesen Bereichen sollten für Frauen attraktiver gemacht werden. Dafür müssen sich die Strukturen ändern.

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Wir sehen im Moment viel Bewegung durch Streiks. Menschen setzen sich für ihre Löhne ein. Wäre das nicht etwas?

Frauen sollten auf jeden Fall gemeinsam stark sein. Die Verantwortung für eine Veränderung muss aber auch von der Gesamtgesellschaft anerkannt werden. Es ist ein wichtiger Punkt, die Diskriminierung wahrzunehmen. Bremen macht sich mit der "Landesstrategie für Gendergerechtigkeit im Erwerbsleben und Entgeltgleichheit" auf den Weg. Es gibt erste Erfolge. Dazu gehört das Modellprojekt für Pflegekräfte im St. Joseph-Stift-Bremen. Es sollen Frauen, die ihre Stunden reduziert haben oder komplett aus dem Beruf ausgestiegen sind, wieder zurückgewonnen werden: mit guten Arbeitsbedingungen. Insgesamt kann die Strategie noch mehr Wumms vertragen. Es muss natürlich genug Geld in die Maßnahmen fließen.

Was denken Sie? Wie lange braucht es noch einen Equal Pay Day?

Ich glaube, es braucht ihn noch lange. Wir sehen deutschlandweit in den letzten Jahrzehnten keine großen Verbesserungen beim Gender-Pay-Gap. Das Tempo ist wirklich langsam. Aus unserer Sicht müssen die verschiedenen Ursachen für die Lohnunterschiede angegangen werden. Am Ende geht es darum, dass Frauen eigenständig ihre Existenz sichern können und nicht abhängig von jemand anderem sind. Ein Gender-Pay-Gap im Erwerbsleben schlägt sich bei der Rente mit einem Gender-Pension-Gap nieder. Die Frauen haben eine deutlich niedrigere Rente. Frauen sollten immer für sich selbst sorgen können – unabhängig von einem Arrangement wie der Ehe.

Das Gespräch führte Lisa Schröder.

Zur Person

Wiebke Blanquett

ist in der Politikberatung der Arbeitnehmerkammer Bremen tätig. Zuvor war sie hier als Fachreferentin für den Bereich Gleichstellung und Diversität zuständig. An der Universität Bremen arbeitete Blanquett am Institut für Gender-, Arbeits- und Sozialrecht.

Zur Sache

Lohnlücke zwischen Bremer Frauen und Männern

Dem Statistischen Landesamt Bremen zufolge betrug die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern in Bremen im Jahr 2023 19 Prozent. Das sind umgerechnet 66 Kalendertage, die Frauen unbezahlt arbeiten. Frauen haben in Deutschland im Jahr 2023 im Durchschnitt 21,23 Euro in der Stunde verdient und damit 4,86 Euro weniger als Männer mit 26,09 Euro pro Stunde. Auch in vergleichbaren Beschäftigungsverhältnissen verdienten Frauen sechs Prozent weniger als Männer. Zum Vergleich: 2022 lag die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern in Bremen bei 20 Prozent. Noch immer arbeiten Frauen häufig in Branchen, in denen der Lohn in der Regel niedriger ist, wie beispielsweise im Gesundheitswesen, Einzelhandel, Tourismus, Erziehungswesen oder in der Gastronomie.

Info

An diesem Mittwochabend gibt es in der Arbeitnehmerkammer Bremen eine Diskussion zum Thema "Höchste Zeit für Equal Pay". Dabei sprechen Arbeitssenatorin Claudia Schilling (SPD), die OHB-Vorständin Sabine von der Recke, die Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer Elke Heyduck sowie die Bremer Expertin für Ungleichheit und Glücksforschung Ruth Müntinga. Los geht es um 18 Uhr, eine Anmeldung über www.bpw-bremen.de möglich.

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