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Der Plausch im GDL-Streiklokal "Lokführer ist eine Berufung"

Besuch im Bremer GDL-Streiklokal: Hier kommen die Gewerkschaftsmitglieder zu Wort und hoffen auf Verständnis, wenn sie von ihren zerfransten Schichtdiensten und nur einem freien von vier Wochenenden berichten.
27.01.2024, 05:00 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Von Florian Schwiegershausen

Freitag gegen elf Uhr in der Kneipe B1 am Bremer Hauptbahnhof. Am Spielautomaten sitzt schon jemand und einer Rentnergruppe schmeckt beim Klönschnack bereits das erste Bier. Am Holztisch an der Seite sitzt Lars Wolter. Er ist GDL-Streikposten und wartet auf die Mitglieder, damit sie sich für ihr Streikgeld in eine Liste eintragen. Um Wolter herum haben sich für einen Plausch weitere GDL-Mitglieder gesetzt. Es sind Lokführer, Zugbegleiter und Beschäftigte aus der Gastronomie.

Ohne Streik hätte Wolter als Lokführer im Fernzug heute dienstfrei. "Lokführer ist eine Berufung – man muss ne kleene Macke haben", sagt der 54-Jährige mit leicht brandenburgischem Zungenschlag und lächelt dabei. Damit meint der gebürtige Stendaler zum einen die Widrigkeiten eines zerfransten Schichtdienstes: "Wenn die anderen aufstehen, gehe ich schlafen. Bei bestimmten Schichten sehe ich weder meine Frau noch meine Kinder." Arbeiten an Weihnachten sei selbstverständlich.

Von vier Wochenenden nur eins frei

Aber von vier Wochenenden habe er nur eins frei – das hänge auch mit dem Personalmangel zusammen. Seinen Februar-Dienstplan hat er gerade erhalten und wird nun sein Privatleben um die Schichten herum bauen. Innerhalb einer Woche können verschiedene Schichtzeiten vorkommen. An einem Tag geht es bis Mitternacht, dann ein Tag frei, danach Arbeitsbeginn morgens in der Früh. Das alles bis zur Rente durchzuhalten, sei so eine Sache. Wolter versucht, sich mit Bewegung und guter Ernährung fit zu halten.

Mit dieser Schilderung möchte Wolter untermauern, warum eine der GDL-Forderungen die 35-Stunden-Woche, eine andere 48 Stunden am Stück frei lautet. Seine Frau sage zu ihm: "Mit dir Termine machen, also das ist echt so 'ne Sache." Die Lebenspartner müssen da viel Verständnis mitbringen. Auch sein Vater war Lokführer. Lars Wolter begann 1991 im Güterverkehr, wechselte 1996 nach Bremen und irgendwann in den Personenverkehr: "Damals hatte man als Lokführer ein viel höheres Ansehen."

"Ich habe Verantwortung für 1000 Fahrgäste"

Was Wolter an der Arbeit mag: "Es ist die Verantwortung - für über 1000 Fahrgäste und 1500 Tonnen, und ich habe mit Technik zu tun." Und wenn während der Fahrt Zeit ist, freut er sich auch darüber: "Über die Sonnenaufgänge und Untergänge, wenn Schnee liegt und man ein paar Rehe sieht." Schön sei es, in den Kölner Hauptbahnhof mit dem Blick auf den Dom einzufahren. Er würde gern überall pünktlich ankommen: "Jede Verspätung bedeutet ja auch für einen selbst späteren Feierabend."

Die sechs Tage Streik seien für den Arbeitskampf notwendig. GDL-Ortsgruppenleiter Stefan Görgens sieht das fehlende Verständnis im Bahnvorstand auch deshalb: "In der Vergangenheit war es ja üblich, Politiker, die man nirgends mehr gebrauchen konnte, in den Bahnvorstand zu entsorgen." Da fehle die Ahnung von der Materie. Er arbeitet als Zugbegleiter im Regionalverkehr und baut gerade 600 Überstunden ab, die sich über Jahre angesammelt haben. Der Rheinländer hat Industriemechaniker für Betriebstechnik gelernt. Doch als ein Bahnausbesserungswerk nach dem anderen geschlossen wurde, sattelte der heute 53-Jährige auf Zugbegleiter um.

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Der GDL-Ortsgruppenleiter sieht, wie die Arbeit auf die Gesundheit schlägt: "Pro Jahr haben wir in unserem Gebiet ein bis drei Kollegen, die noch vor der Rente sterben – oft Herzinfarkte." Er selbst hält sich mit Radfahren, Laufen und Rugby fit und hat das "Eisenbahner-Gen": Schon sein Vater und Großvater waren bei der Bahn. Doch er beobachtet: "Die Pöbeleien von Fahrgästen nehmen zu." So einige brenzlige Situationen habe er schon erlebt.

Guido Maria Kretschmer an Bord getroffen

Seine Kollegin Petra Schnier arbeitet im Fernzug in der Gastronomie. Worüber sie sich ärgert: "Es gibt kaum eine Woche, in der wir nicht eine Übernachtung haben." Diese Zeit bekommen sie nicht als Arbeitszeit angerechnet. Sechs Tage am Stück zu arbeiten, komme ebenso vor. Was sie an der Arbeit mag: "Irgendwo bin ich mein eigener Chef, und ich bin gern in Bewegung." So bringt sie gern den Kaffee aus der Maschine, die ruhig schneller sein könnte, in die Erste Klasse an den Platz. Als kleinen Nebeneffekt treffe man dort bekannte Personen, einmal war es Shopping-Queen-Juror und Modedesigner Guido Maria Kretschmer: "Der ist genauso freundlich und sympathisch wie im Fernsehen."

Doch die Fahrgäste sind laut Görgens derzeit einfach glücklich zu machen: "Die freuen sich momentan darüber, wenn sie weniger als eine Stunde Verspätung haben." Ob sie bald wieder mit der Deutschen Bahn fahren können, hänge von der Einsicht des DB-Vorstands ab. "Der nächste Schritt wäre ein unbefristeter Streik", sagt Görgens und hofft auf weiteres Verständnis der Bahnkunden – dann müsste der GDL-Streikposten hier im B1 noch so einige Male Platz nehmen.

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