Eigentlich ist das Wohngeld, das über die Kreis- und die Stadtverwaltung ausgezahlt wird, für die kommunalen Behörden ein durchlaufender Posten: Die Mittel stammen je zur Hälfte vom Bund und vom Land. Gleichwohl geht das Ganze seit der Wohngeldreform vom 1. Januar 2023 für Rat- und Kreishaus zusätzlich ins Geld. Für einen jeweils sechsstelligen Euro-Betrag ist das Personal verstärkt worden. Trotzdem kommt es zu längeren Bearbeitungszeiten. Wenn auch nicht in dem Ausmaß wie in dem Fall Ende Januar, bei dem eine Münchnerin mehr als 20 Monate auf ihren Bescheid warten musste. André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, erklärte dazu, die Reform bedeute weiter "eine enorme Kraftanstrengung für die kommunalen Wohngeldstellen".
Auch Betroffene berichten vom abschreckenden Effekt einer überbordenden Bürokratie mit unerträglichen Warteschleifen. Das Internet-Portal www.gegen-hartz.de rät inzwischen dazu, den Wohngeldstellen Beine zu machen, indem beim Jobcenter ein Bürgergeldantrag auf ergänzende Leistungen gestellt wird. Einen Verbündeten haben Bedürftige und Kommunen inzwischen im Vorsitzenden der Bauministerkonferenz der Länder, dem bayrischen Staatsminister Christian Bernreiter (CSU). Der wird mit den Worten zitiert: "Es braucht dringend Vereinfachungen und Entbürokratisierung beim Wohngeld."
"Keine deutliche Verzögerung"
Die Flut aussichtsloser Anträge, praktisch alle in Papierform, dazu komplizierte Berechnungsverfahren zur Höhe des Mietzuschusses, der gestiegene Beratungsbedarf, der Nachbearbeitungsaufwand bei den Vorschusszahlungen, welche im Zweifel zurückgefordert werden: Zu diesen Kritikpunkten hatte die Redaktion die Osterholzer Kreisverwaltung befragt und um eine Lage-Einschätzung des Verwaltungsalltags gebeten. Was andernorts mehr als nur ein Problem ist: Für die Wohngeldbehörde im Kreishaus scheint es keinen Reformbedarf bei der Wohngeldreform zu geben. Zumindest sei "eine deutliche Verzögerung bei der Antragsbearbeitung" nicht zu verzeichnen, heißt es in dem knappen Antwortschreiben, das Landkreis-Sprecherin Sabine Schäfer der Redaktion nach acht Arbeitstagen geschickt hat.
Es sei der rechtzeitigen Stellenaufstockung und dem "sehr engagierten Einsatz" der Sachbearbeiterinnen zu verdanken, dass man die zugesagte Bearbeitungszeit von höchstens 30 Tagen im vorigen Jahr eingehalten habe. Im ersten Quartal 2023 hatte es bei jedem zehnten Antrag auch schon mal länger gedauert. Allerdings läuft die Servicegarantie ohnehin erst ab dem Tag, an dem die Antragsunterlagen vollständig im Kreishaus vorliegen. Wie lange es bis dahin dauert, ist nicht bekannt. Schäfer zufolge ist die Zahl der Wohngeld-Anträge, die im vergangenen Jahr über einen Landkreis-Schreibtisch gegangen sind, gegenüber 2022 um fast zwei Drittel auf 1458 Fälle gestiegen.
Der Ruf nach Digitalisierung
Noch deutlicher stieg im selben Zeitraum die Auszahlungssumme. Das hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass mit der Reform auch ein sogenanntes Wohngeld-Plus für Geringverdiener eingeführt wurde, deren Einkommen knapp oberhalb der Grundsicherung liegt. Der Landkreis Osterholz überwies im Vorjahr insgesamt 3,683 Millionen Euro – das entspricht beinahe dem Zweieinhalbfachen der Summe aus dem Jahr 2022, als 1,532 Millionen Euro ausgezahlt wurden.
Eine politische Forderung, wie sie der Kommunalverbandschef André Berghegger Ende Januar mit seinem Ruf nach mehr sozialem Wohnungsbau und bezahlbaren Mieten erhoben hat, ist der Kreisverwaltung nicht zu entlocken. „Verfahrens- und Prozessabläufe müssen weiter optimiert, also durchgängig digitalisiert und aufeinander abgestimmt werden", hatte Berghegger, einst Bürgermeister von Melle, außerdem gefordert. Die Kreisbehörde indes teilt zur Frage nach dem Fehlen digitaler Zugangswege zunächst lediglich mit, sie bearbeite digitale und analoge Wege der Antragstellung im Wohngeldbereich gleichrangig.
Landkreis wartet aufs Land
Auf Nachfrage wird zwei weitere Arbeitstage später deutlich, was der digitale Weg im Klartext bedeutet, nämlich Beantragung in Form eines PDF-Dokuments. Das amtliche Formular muss man daheim herunterladen, ausfüllen, ausdrucken, unterschreiben und wieder einscannen, um es per E-Mail einzureichen. Der Datei-Inhalt wiederum wird im Kreishaus dann von Hand ins landeseinheitliche Wohngeldprogramm eingetragen.
Solange es dafür keine Schnittstelle gebe – Niedersachsen hat die Einführung ungefähr zur Jahresmitte angekündigt –, müsse es bei diesem Verfahren bleiben, sagt Sabine Schäfer. Weitere Unterlagen und Dialoge könnten immerhin schon heute auch den E-Mail-Kanal nehmen; zudem gebe es einen Online-Rechner zur Abschätzung des eigenen Wohngeld-Anspruchs.
Doch auch die niedersächsische Digitallösung soll, wenn sie denn verlässlich funktioniert, nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer bundesweit einheitlichen, digitalen Wohnantragstellung sein. Stellvertretend für die 15 anderen Bundesländer ist Schleswig-Holstein seit vier Jahren damit befasst, die Plattform zu entwickeln und zu verbreiten. Sie wird inzwischen auch in einigen anderen Ländern (Hessen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt) erprobt. Doch wie die Umsetzung in den Kommunen finanziert wird, ist weiterhin umstritten.