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Briefmarken-Tauschtreffen am Dienstag Die Briefmarken-Börsianer

Einige Sammler bevorzugen postfrische Briefmarken, damit die Bilder nicht beschädigt werden. Andere sagen, dass Marken ohne Stempel keinen Wert haben. Philatelie ist kompliziert und eine Wissenschaft für sich.
10.04.2016, 00:00 Uhr
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Die Briefmarken-Börsianer
Von Jürgen Hinrichs

Einige Sammler bevorzugen postfrische Briefmarken, damit die Bilder nicht beschädigt werden. Andere sagen, dass Marken ohne Stempel keinen Wert haben. Philatelie ist kompliziert und eine Wissenschaft für sich.

Da sind sie genau, auf den Zacken genau, oder sind es Zähne? Kein Zacken oder Zahn darf fehlen, und wie viele es sind, auch das ist wichtig, liest man am Zähnungsschlüssel ab. Dann noch die Gummierung, das Wasserzeichen und der Stempel oder eben keiner, Geschmackssache. Es gibt Sammler, die verlegen sich auf postfrische Briefmarken, weil sie das Bild nicht beschädigt sehen wollen. Andere sagen, dass die Marke ohne Stempel nichts ist, gar nichts, ein Muster ohne Wert. Die Sache ist kompliziert, „eine Wissenschaft“, sagt Heino Stuckenschmidt.

Der 82-Jährige, ein ehemaliger Bilanzbuchhalter, sitzt am Tisch und schaut sich Alben an. Vielleicht ist ja etwas dabei, was ihm noch fehlt, gut möglich, denn die allermeisten an diesem Abend, eigentlich alle, haben sich auf Marken aus Deutschland und dem nahen Ausland spezialisiert und Stuckenschmidt eben auch. Lauter Männer, alte Männer, die einem Hobby frönen, das tot ist, meint man, aber dann zuckt es doch noch.

Stuckenschmidt hat seine Sammlung vom Vater geerbt: „Er war in einem großen Verlag beschäftigt und bekam Post aus der ganzen Welt.“ Mit der Welt ist das aber so eine Sache, sie ist groß, und wie soll man dann je etwas komplett bekommen? „Alles, was Übersee war, habe ich weggetauscht“, erzählt der Sammler. Stattdessen: BRD, DDR und Österreich. Und Israel. „Ich war mal dort und habe ein bisschen was mitgebracht, so fing das an.“ Ihm gefiel, dass die Marken mit Sprüchen aus der Bibel verziert waren. „Ich konnte immer nachschauen, an welchen Stellen diese Sprüche stehen.“ Israel, sagt er, ist schwierig, „die rücken manche Marken nicht heraus“. Doch was ist das Schönste für einen Sammler? Das Schwierige natürlich.

Das Tauschtreffen in der Begegnungsstätte des Deutschen Roten Kreuz in der Wachmannstraße findet einmal im Monat statt. Dann kommen sie mit ihren großen Tüten oder den Rollkoffern und packen aus, was hier wie eine Währung ist, „die Aktie des kleinen Mannes“, sagt Stuckenschmidt. Zurzeit ist sie im Keller, ganz tief, „zu viele Marken, zu wenige Sammler“. Aber wer weiß? Und Preziosen gibt es ja trotzdem, man muss sie nur finden. Manfred Böhnke, der mit am Tisch sitzt, erzählt von einer Marke, die einem Malheur entsprungen ist: „Was glauben Sie, was so etwas wert ist!“ Es ist die Geschichte von der Gscheidle-Marke, sie geht so: Die Deutsche Post lässt aus Anlass der Olympischen Spiele in Moskau eine Briefmarke drucken, muss die gesamte Auflage wegen des Boykotts der Spiele aber wieder vernichten. Dumm nur, dass drei Bögen vergessen werden, deponiert beim damaligen Postminister. Kurt Gscheidle hat sie in seinem Schreibtisch verstaut, und als Frau und Sohn sich später daran bedienen, nicht ahnend, was sie da tun, und mit den Marken fröhlich Briefe frankieren, ist es passiert. Der Gscheidle-Irrtum, wie die Fachleute den Vorfall nennen, sorgt bis heute für Höchstpreise. Eine der Marken ist vor sechs Jahren für 85 000 Euro versteigert worden.

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Böhnke lacht – die Marke vom Minister, so ein Ding aber auch. Zum Sammeln ist der 79-Jährige durch Zufall gekommen. „Unser Sohn zog aus und hat nicht alles mitgenommen. Da lagen zwei Alben herum, nun sind es 100.“ Spaß macht ihm das Unvollständige. „Wenn ich eine Sammlung voll habe, interessiert sie mich nicht mehr.“ Spaß macht ihm auch, dass er etwas lernt: „Wer ist das auf der Marke? Ich weiß es nicht, keine Ahnung. Wer ist Pina Bausch?“ Böhnke hält mit der Pinzette eine Briefmarke hoch. „Ballett sagen Sie? Okay, danke.“

Es sind wenige an diesem Abend, keine zehn, sie geben und nehmen, wie’s passt, sie tauschen und haben Vertrauen: „Schauen Sie sich mein Album ruhig zu Hause an, wir treffen uns beim nächsten Mal wieder.“ Ein paar, die gar nicht mehr hochgucken, so vertieft sind sie. Höchste Konzentration: Zacken, Gummierung, Wasserzeichen, der Stempel oder eben auch keiner.

Börsen wie diese gibt es auch woanders in der Stadt, aber das ist auch schon alles, denn organisiert sind die Briefmarkensammler in Bremen nicht mehr. Der letzte Verein hat sich im vergangenen Jahr aufgelöst. Gut vertreten sind sie nur noch im Umland, in Delmenhorst, Brinkum, Schwanewede, Osterholz-Scharmbeck, Ritterhude, Syke, Bassum und Beverstedt. In Bremen gibt es dafür aber immerhin drei Briefmarkengeschäfte.

Der Bund Deutscher Philatelisten zählt in seinen Reihen rund 38 000 Sammler. „Wer sich zu Hause im stillen Kämmerlein mit Briefmarken befasst, kann ich Ihnen natürlich nicht sagen“, erklärt Verbandspräsident Uwe Decker. Sicher sei, dass es im Ganzen weniger Sammler sind als zum Beispiel in den 1980er-Jahren. Verzagen will Decker deswegen aber nicht. Er setzt auf die Jugend und dabei speziell auf die Schulen.

„Wir haben eine Vielzahl von Arbeitsheften aufgelegt, auch in elektronischer Form“, sagt der Boss der Briefmarkensammler. Das ist dann wie bei Manfred Böhnke, der durch sein Hobby erfahren hat, wer Pina Bausch ist. Die Schüler gehen mit ihren Lehrern nach allen Regeln der didaktischen und pädagogischen Kunst anhand von Briefmarken ihre Themen durch.

Es müssen für den Unterricht keine alten Marken sein, von Sammlerhand und aus vergilbten Alben. Denn auch wenn heute oft nur mit dem Stempel frankiert wird und vieles, das meiste, ohnehin per Mail auf die Reise geht, ist an Nachschub kein Mangel. „Die Deutsche Post druckt jedes Jahr etwa 2,8 Milliarden Briefmarken“, weiß Decker, „ist das wenig?“ Unternehmen, die per Post Werbung machten, würden mit den Marken eine viel größere Aufmerksamkeit erreichen, „und das wissen die auch“.

Die Sammler können also immer wieder neu eine Serie aufbauen, sie kaufen die frischen Marken, geben Geld dafür aus, dürfen aber nicht darauf hoffen, ihren Einsatz irgendwann wieder herauszubekommen oder gar einen Gewinn zu machen. „Zu viele Marken, zu wenige Sammler“, hatte Heino Stuckenschmidt gesagt.

Der Mann ist jetzt durch mit den Alben der anderen, nichts dabei, was ihn frohlocken ließ. Keine Marken zum Beispiel aus der Sammlung Berlin. „Zwei fehlen mir noch, dann ist sie komplett“, sagt Stuckenschmidt. Zwei von 879. Schwierig. Und was ist das Schönste für einen Sammler. Das Schwierige natürlich.

Das nächste Briefmarken-Tauschtreffen in der DRK-Begegnungsstätte (Wachmannstraße 9a) findet am Dienstag, 11. April, 19 Uhr, statt.

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