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Focke-Museum zeigt den Zyklus "Exodus" von Sebastião Salgado Epos von Flucht und Vertreibung

Bremen. Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht: Vor Krieg und Zerstörung, vor Verfolgung und wirtschaftlicher Not. Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado hat ihre Schicksale festgehalten.
25.07.2014, 00:00 Uhr
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Epos von Flucht und Vertreibung
Von Alexandra Albrecht

Bremen. Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht: Vor Krieg und Zerstörung, vor Verfolgung und wirtschaftlicher Not. Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado hat ihre Schicksale festgehalten. Rund 300 Arbeiten aus dem Zyklus „Exodus“ sind jetzt im Focke-Museum zu sehen.

Alle zwei Jahre widmet das Focke-Museum seine Sommerausstellung der Fotografie, dieses Mal entschied man sich für Sebastião Salgado. Anders als viele seiner Kollegen arbeitet der Brasilianer nicht im Auftrag von Zeitschriften und Agenturen, er wählt sich selber Themen, die er jahrelang verfolgt und dann zur Veröffentlichung anbietet. Am bekanntesten ist sein Zyklus „Workers“, der dokumentiert, unter welch unmenschlichen Bedingungen Arbeiter ihr Geld verdienen. Die Fotografien zeigen höllenähnliche Szenerien aus einer indonesischen Schwefelmine, die Qualen brasilianischer Bergleute und Kämpfe mit dem Feuer beim Löschen kuwaitischer Ölquellen. Salgado setzte Licht- und Schatteneffekte häufig so gekonnt ein, dass das Elend auf seinen Aufnahmen verstörend dekorativ aussieht. Das ist in dem Zyklus „Exodus“ anders; er ist stärker auf das eigentliche Motiv fokussiert, ohne dass bildästhetische Ansprüche an Aufbau und Komposition aufgegeben wurden.

„Exodus“ ist eine Wanderausstellung, die Salgados Frau Lélia Wanick Salgado zusammengestellt hat, und die schon drei Millionen Menschen gesehen haben. Die 300 Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind vor 20 Jahren entstanden, in Europa, Afrika, Amerika und Asien. Das Schlimmste ist, dass man diese erschreckenden Szenen heutzutage andernorts genau so wieder aufnehmen könnte: Das Elend von Flucht und Vertreibung sieht immer gleich aus. Karin Walter hat bei der Hängung solche Parallelen herausgearbeitet: Auf einer Fotografie geht eine Familie in Kroatien auf eine Ruine zu, in der sie vielleicht einmal gelebt hat. Daneben zeigt eine Aufnahme Menschen in Afghanistan vor einer Trümmerkulisse, die wiederum an die Bilder aus Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Entkräftete Greise, Frauen, die unter Zeltbahnen notdürftig vor dem Regen Schutz suchen, Mütter, die ihre Kinder im Arm halten, Jugendliche ohne Beine oder Arme, Trümmerlandschaften, Notlager – ob in Ruanda, Vietnam oder im ehemaligen Jugoslawien, die Bilder ähneln sich. An viele Katastrophen erinnert man sich schon kaum noch, etwa an die afrikanischen Flüchtlinge, die über das Meer nach Gibraltar kamen.

Salgado beschäftigt sich nicht nur mit den Folgen von Krieg und Vertreibung, er beobachtet auch die Wirtschaftsflüchtlinge, die in Lateinamerika und in Asien in die Städte ziehen, um dort ihr Auskommen zu finden und häufig als Bauarbeiter auf den Baustellen der Megacitys landen. Es sind die Kinder, die am meisten unter der Armut leiden: Ein Waisenhaus in São Paulo sammelt Kleinkinder, die von ihren Eltern verstoßen wurden, von der Straße auf. Hier gelang Salgado eines seiner stärksten Bilder: Auf dem Dach eines Hauses krabbeln die Kleinen nun vor der Skyline der Metropole herum, die sinnbildlich für ihr Elend steht. Aus Indien hat Salgado, der etwa 100 Länder bereist hat, Aufnahmen mitgebracht, die von völlig überlasteten Straßen und Verkehrssystemen erzählen: Massen drängen sich auf den Bahnsteigen der Bahnhöfe, an den Zügen hängen Trauben von Menschen. Durch einen Slum läuft eine mannshohe Trinkwasserleitung, auf der sich die Bewohner wie auf einem Steg bewegen. Sie bekommen kein frisches Wasser, es ist für die Reichenviertel vorgesehen.

So schwer erträglich viele Szenen sind, so anrührend endet die Ausstellung. Immer wieder hat der Brasilianer Kinder porträtiert. Ernst schauen sie in seine Kamera, man ahnt, was sie schon an Leid gesehen haben. Und doch verraten ihre Gesichter eine Kraft und Kindlichkeit, die Hoffnung macht. Nach der Arbeit an „Exodus“ war der Fotograf selber so deprimiert von den Schrecken und Grausamkeiten, die Menschen anderen Menschen antun, dass er sich ein neues Thema suchte: die Schönheit der Natur. Die Arbeiten aus dem Zyklus „Genesis“ sind in Deutschland noch nicht ausgestellt worden, sie liegen im Focke-Museum aber in einem Sumo-Fotoband des Taschen-Verlages aus. Im Oktober läuft ein in Cannes bereits gefeierter Dokumentarfilm von Wim Wenders über den Fotografen in den deutschen Kinos an.

Die Ausstellung „Exodus“ von Sebastião

Salgado ist ab Sonnabend, 26. Juli, bis zum

26. Oktober im Focke-Museum zu sehen.

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