Bremen in den Fünfzigern. „Mein Vater war Kapitän. Immer wenn er kam, gingen wir ins Astoria.“ „Heinz Erhardt fing an: Der Mond, der Mond, ach nee, geht ja nicht, wir haben Neumond. Das war urkomisch.“ „Da waren Modenschauen. Als Schneiderin musste ich einfach hin.“„Mit Nummerngirls.“ „Trude Herrs Schuh flog ins Publikum. Die hatte so viel Temperament!“ Joachim Schlotfeldts Einstiegsfrage im Johanniterhaus, wer denn das Astoria in der Katharinenstraße noch gekannt habe, hat eine wahre Redeflut ausgelöst.
„Wer im Astoria auftrat, hatte eine gute Adresse zu nennen und konnte in ganz Europa auftreten“, beginnt Joachim Schlotfeldt seinen Vortrag in der Fünfziger-Jahre-Reihe des Johanniterhauses in Horn-Lehe, nachdem die erste Aufregung abgeebbt ist. „Claire Walldoff kam aber wegen ihrem Text ins Gefängnis“, ruft’s dazwischen, und: „Borgwards waren Stammgäste!“
Auf der Leinwand erscheint eines der fünf Gästebücher der früheren Künstlerpension von Familie Hüther, Sonnenstraße 10. In dem Privathaus fanden bald nach der Neueröffnung des Varietés Solisten und Gruppen aus aller Welt Unterkunft. „Gut behütet“, das Wortspiel liegt nahe und kommt immer wieder. Die Hüthers haben die Originale unlängst dem Staatsarchiv Bremen überlassen. Der Geschichtsverein Lastoria hatte den Kontakt hergestellt.
Als Staatsarchivleiter Konrad Elmshäuser die Gästebücher an einem Vortragsabend des Vereins in der DKV-Residenz an der Contrescarpe in Empfang nahm, saß Joachim Schlotfeldt im Publikum und konnte aus dem Stand einiges über Gäste aus der Sonnenstraße und ihre weitere berufliche Laufbahn beisteuern. Im Johanniterhaus blätterte der Schwachhauser, der zur Sektion Bremen der Circusfreunde gehört, in den digitalisierten Alben und schilderte die Blütezeit der deutschen Varietés.
Autogrammkarten kleben in den Alben, alle von Künstlern und Künstlerinnen, die von Emil, Wolfgang oder Elisabeth Fritz engagiert worden waren: Die zwei Venards grüßen im Dezember 1952, das Preziosa-Ballett, Charly Wood, der komische Jongleur, Elisabeth und Collins – Elisabeth an der Drehscheibe, Messerwerfer Collins auf dem Seil – und eine Schleuderbretttruppe, die die enorme Bühnenhöhe des Bremer Varietés voll ausgenutzt hat.
„Das Astoria arbeitete eng mit dem Hansa Theater zusammen. Die Künstler hatten Monatsengagements und zogen dann weiter. Charly Wood und Bela Kremo habe ich später im Hansa Theater in Hamburg gesehen“, sagt Joachim Schlotfeldt, der auf bis zu 100 Besuche jährlich in Varieté und Zirkus kommt und dabei einige alte Bekannte trifft. „Kris Kremo, Bela Kremos Sohn, ist heute 60 und immer noch aktiver Gentleman-Jongleur.“
Vieles hat sich geändert in der Welt des Varietés. „Früher gab es häufig einen Artisten und eine hübsche Partnerin“, sagt Joachim Schlotfeldt. „Heute wirkt das altmodisch.“ Doch das Varieté lebt. Auch in Bremen. Joachim Schlotfeldt nennt unter anderem La Strada, das GOP, das Feuerwerk der Turnkunst und die Schaulust. „Ich habe mich gefreut, so viele Gäste zu haben, die das Astoria noch selbst gekannt haben“, sagt er und schließt das Gästebuch.
Einer seiner nächsten Auftritte dürfte am 25. Oktober beim Freimarktumzug sein. Seit 1982 läuft er als Jongleur „Achim 1“ mit. Der 60-Jährige ist eben nicht nur ein Circusfreund und ein Varietékenner, sondern auch ein großer Fan einer der ältesten Bremer Unterhaltungstraditionen.
Joachim Schlotfeldt, Telefon 34 10 06.
Bei Treffen der Circusfreunde im Café Goedeken’s, Berckstraße 4, sind Gäste willkommen.