Der Friedensbeauftragte der Bremischen Evangelischen Kirche, Martin Warnecke, setzt sich seit den 80er-Jahren mit dem Thema Frieden auseinander. Am Mittwoch hält er in der evangelisch-reformierten Gemeinde Blumenthal einen Vortrag. Kathrin Aldenhoff sprach mit ihm über Kirche und Krieg, die Friedensbotschaft und die deutsche Verantwortung.
Herr Warnecke, Kirche und Krieg – das sind zwei Begriffe, die nicht zusammenpassen wollen. War das vor 100 Jahren noch anders?
Martin Warnecke:
Vor 100 Jahren passten die Begriffe auch schon nicht zusammen. Aber sie wurden passend gemacht. Damals wurden Krieg und Gott in einen positiven Zusammenhang gesetzt. Die Kirche schrie Hurra für den Krieg. Es gab damals einen ausgeprägten Militarismus, die Bevölkerung war bereit zum Krieg. Sie hielten Militär und Krieg für etwas Positives, und die Kirche gab ihren Segen dazu. Wenn man sich das vor dem Hintergrund der biblischen Friedensbotschaft anschaut, ist das widersprüchlich, denn da geht es wirklich um Frieden. Dass Krieg im Namen Gottes oder im Namen Jesu geführt wird, das geht eigentlich gar nicht.
Warum gab die Kirche dann ihren Segen?
Es gab damals eine sehr enge Verbindung zwischen dem Kaiser und den Kirchen, vertreten durch ihre Bischöfe und Pastoren. Diese enge Verbindung hatte zur Folge, dass die Kirche Hurra schrie für den Krieg. Auch die Bevölkerung schrie Hurra. Die Haltung war geprägt durch Nationalismus, Militarismus und Antisemitismus.
Die Kirche hat sich dem vorherrschenden Denken angeschlossen?
Es war eine gegenseitige Befruchtung. Die Kirche hat selbst diesen Militarismus vertreten. Es wurden furchtbare Kriegspredigten gehalten. Wenn man die heute liest, sträuben sich sämtliche Nackenhaare. Wie das eigene Volk, die Nation überhöht wurden, und die anderen Völker abgewertet wurden – das steht so sehr im Gegensatz zur biblischen Botschaft, dass man sich heute fragt: Wie war das damals möglich, dass so etwas von Christen, von den Kirchen propagiert wurde.
Und wie war es möglich?
Es gibt in der Geschichte der christlichen Kirchen seit dem dritten Jahrhundert eine Traditionslinie, die den Krieg der jeweiligen Regierung bejaht. Soweit ich informiert bin, hat es von den evangelischen Kirchen in Deutschland noch nie ein Nein gegeben zu dem Krieg, den die eigene Regierung geführt hat. Sie unterstützten den Ersten und Zweiten Weltkrieg, zumindest die kirchenleitenden Organe und die Mehrheit. Im Grunde ist es bis heute so. Es gibt keine Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die den Afghanistankrieg oder den Jugoslawienkrieg ablehnt. Die einzige kritische Stellungnahme war 1982 vom Reformierten Bund gegen die damalige atomare Aufrüstung. Aber diese klare Haltung hat außer dem Reformierten Bund keine Landeskirche übernommen.
Die Einstellung zum Thema Krieg hat sich doch gewandelt in den letzten 100 Jahren?
Natürlich. In einer Meinungsumfrage sprachen sich kürzlich 82 Prozent der Interviewten gegen weitere Militäreinsätze der Bundeswehr aus. Es gibt mit Pastor Renke Brahms, dem Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche, einen EKD-Friedensbeauftragten, der sich sehr kritisch gegenüber Aufrüstung und Krieg äußert. Und es gibt eine EKD-Denkschrift von 2007 mit dem Titel „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“. Sie spricht von einer vorrangigen Option der Gewaltfreiheit. Das klingt gut, und gleichzeitig benennt die Denkschrift aber immer noch die nachrangige Option. Diese ist dann doch wieder das militärische Eingreifen.
Um gerechten Frieden zu ermöglichen.
So wird es gesagt. Aber das ist ein schwammiger Begriff, und in der Praxis hat das noch nie dazu geführt, dass ganz klar das militärische Handeln abgelehnt wurde.
Wie sollte sich die Kirche positionieren?
Die Kirche sollte sich klar und eindeutig gegen Krieg positionieren, und zwar auch gegen einen Krieg, an dem die Bundeswehr beteiligt ist. Wir erleben zurzeit, dass von der Politik, auch von Herrn Gauck, bei der Bevölkerung um eine größere Akzeptanz für Kriegseinsätze der Bundeswehr geworben wird.
Joachim Gauck ist Pastor.
Ja, Joachim Gauck ist auch Pastor. Es ist für die Kirche sehr beschämend, dass ein Pastor sich in so deutlicher Weise für eine Kriegsbeteiligung der Bundeswehr ausspricht. Das Zu-den-Waffen-Greifen der Deutschen hat in Europa und der Welt schon so viel Schaden angerichtet, dass es heute angemessen ist, dass wir uns als Deutsche nirgendwo mehr militärisch engagieren, sondern nur noch zivil. Ich finde, das ist das einzig angemessene Verhalten, wenn man die Lehren aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wirklich ernst nimmt.
Hat Deutschland nicht durch seine Schuld eine besondere Verantwortung, den Frieden zu bewahren? Menschen davor zu schützen, vertrieben, getötet und unterdrückt zu werden?
Es gibt Situationen, in denen Waffengewalt eingesetzt wird, um Menschenleben zu retten. Allerdings bleibe ich dabei: Aufgrund der deutschen Verantwortung im Ersten und Zweiten Weltkrieg und der furchtbaren Zerstörungen ist für uns Deutsche nur noch eine zivile Option angemessen. Statt Soldaten in alle Welt zu schicken und als weltweit drittgrößter Exporteur von Waffen mit dem Tod zu handeln, wäre es wichtig, den Bereich der zivilen und gewaltfreien Konfliktbearbeitung zu stärken. Auf diesem Gebiet sollten wir uns noch viel mehr engagieren.
Meist entwickelt sich ein Konflikt langsam. Aber erst wenn er eskaliert, wird das Militär als Feuerwehr gerufen. Die kommt dann mit schweren Waffen und schießt. Politik sollte schon im Vorfeld so klug sein, dass es gar nicht zur Eskalation kommt. Dann bereiten wir Frieden vor, anstatt Krieg. Und zeigen, dass wir wirklich gelernt haben aus den Verbrechen vor 100 und vor 75 Jahren. Dazu gehört es auch, wachsam zu sein und deutlich zu widersprechen, wenn menschenfeindliche Einstellungen, wie zum Beispiel der Antisemitismus, wieder laut werden.
Zur Person: Martin Warnecke (60) ist Pastor der Andreas-Gemeinde und seit 15 Jahren Friedensbeauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche. Heute um 19.30 Uhr spricht er in der Evangelisch-Reformierten Kirchengemeinde Blumenthal zum Thema „Himmlische Killer oder Himmlisches Kind?“.