Sie heißen "Shared Space" oder "Begegnungszonen" und umfassen einen Bereich, in dem alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sind. Mit der Umgestaltung der Sankt-Gotthard-Straße und der Tessiner Straße ist auch die Einrichtung eines innovativen Verkehrskonzeptes geplant – dort soll Bremens erste Shared Space-Zone entstehen. Am Montag gab es für die zahlreichen Interessierten eine Informationsveranstaltung und den Aufruf, sich am Planungsprozess zu beteiligen.
Tenever. Im Schweizer Viertel soll eine neue Philosophie der Straßenraumplanung umgesetzt werden. Der Bereich der Sankt-Gotthard-Straße, zwischen Züricher Straße und Walliser Straße, soll ein Shared Space-Bereich werden – ein Raum, der von allen Verkehrsteilnehmern gleichberechtigt genutzt wird. Sowohl die Baudeputation als auch die Bremer Bürgerschaft haben sich für dieses Modellprojekt ausgesprochen.
"Die Charakteristik dieser Räume und Verkehrsphilosophien ist im Prinzip so einheitlich, dass die gesamte Verkehrsfläche von allen Verkehrsteilnehmern gemeinsam genutzt wird", erklärte Brigitte Pieper, Leiterin des Amtes für Straßen und Verkehr (ASV). So etwas kennt man bisher nur aus Spielstraßen. Auf Verkehrszeichen wird weitestgehend verzichtet: Schilder, Ampeln und Markierungen gibt es kaum. Doch der Bereich wird keineswegs zum rechtsfreien Raum. Es gelte immer noch Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung: gegenseitige Rücksichtnahme. Man darf andere Verkehrsteilnehmer nicht behindern. "Und rechts vor links gilt auch immer noch", sagte Brigitte Pieper.
Vorteil des neuen Systems sind die Rückgewinnung der Straße für alle, Förderung der Rücksichtnahme und der Kommunikation und Verlangsamung des Verkehrs. Aber auch die Schwächen des Systems wurden offen angesprochen: Sehbehinderte Menschen haben auf Grund der geringen Orientierungsmöglichkeiten und des fehlenden Sichtkontaktes Probleme, sich zurechtzufinden. Für Kinder erweise sich der Raum als schwierig, da sie häufig Regeln bräuchten, und für ältere Menschen könne eine hohe Komplexität zum Problem werden. "Darauf müssen wir besonderes Augenmerk haben", sagte Brigitte Pieper.
In Mitte/Östliche Vorstadt und der Neustadt hat man sich gegen das Konzept Shared Space entschieden, die Osterholzer sind dafür. Einigen von ihnen geht es gar nicht schnell genug. Angesichts der Planungs-Workshops mit Bürgerbeteiligung für ein derartiges Konzept im vergangenen Jahr, wurde die Straffung des vom ASV vorgelegten Zeitplanes vorgeschlagen. Das hält Oliver Iversen, Referatsleiter Straßenentwurf beim ASV, aber nicht für machbar, da am Ende des Prozesses ein umsetzbarer Entwurf stehen soll, bei dem alle Gruppen berücksichtigt wurden. Momentan habe man einen eher stilistischen Plan. Dem stimmte auch Professor Jürgen Gerlach von der Bergischen Universität Wuppertal zu. "Sie sollten schon noch ein bisschen im Detail gucken", riet er.
An Praxisbeispielen erläuterte Jürgen Gerlach, der sich mit dem Thema in Forschung, Lehre und Praxis befasst, welche zahlreichen Fragen die Planungswerkstätten beantworten müssen. Wird der Verkehr irgendwie geleitet? Dürfen Fahrradfahrer überall fahren? Wie werden Blinde berücksichtigt? Bis hin zu der Frage: Wie sieht das Pflaster aus? Und auch die Rechtsgrundlage muss geklärt werden, denn ein offizielles "Shared Space"-Schild gibt es nicht.
Die Beispiele, von denen Jürgen Gerlach berichtete, waren vor der Umgestaltung zur Shared Space-Zone keine Bereiche, in denen sich Unfälle häuften – anschließend aber auch nicht. "Das sind tatsächlich in all den Beispielen rücksichtsvolle Verhaltensweisen. Die wurden zum Teil durch den Prozess erzielt, nicht durch die Gestaltung", sagte Jürgen Gerlach. Entscheidend sei die Bürgerbeteiligung gewesen, die auf den besonderen Verkehrsraum aufmerksam gemacht habe.
Zwei Ingenieurbüros sollen das Modellprojekt begleiten und den Prozess dokumentieren, sodass zukünftig daran weitergearbeitet werden kann. Das sind zum einen Henke und Blatt, auf dessen Ideen das Stadtteilzentrum Osterholz basieren soll, und die Verkehrsplaner von BPR.
Für die Planung wünscht sich das ASV einen Prozess mit den Osterholzern. Die Planungswerkstätten, zu denen die Bürger aufgerufen sind, sich kontinuierlich zu beteiligen, treffen sich voraussichtlich alle paar Wochen, dienstags um 18 Uhr. Dafür votierte eine breite Mehrheit.
Der erste Termin ist für Dienstag, 22. Januar, 18 Uhr, in der GSO geplant. Wer sich für die Planungswerkstätten noch in die Teilnehmerliste eintragen will, kann sich an Axel Reschke (ASV) wenden, E-Mail an axel.reschke@asv.bremen.de oder Telefon 3619197.