Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Mhallamiye auch in Bremen im Fokus Familienclans im Abseits

Bremen. Ein brutaler Baustellenüberfall in der Neustadt hat erneut die Gruppe der Mhallamiye in Deutschland den Fokus gerückt. Hierbei handelt es sich um Großfamilien mit kurdisch-libanesischem Hintergrund. Auf ihr Konto gehen zahlreiche Straftaten.
18.08.2013, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Familienclans im Abseits
Von Ralf Michel

Bremen. Vor Kurzem wurden in Bremen vier Bauarbeiter von einer 30-köpfigen Gruppe attackiert. Die Arbeiter wurden mit Schlägen und Tritten verletzt, einer sogar mit einem Messer. Die Täter stammen aus der Gruppe der Mhallamiye, in Bremen lebende Großfamilien mit kurdisch-libanesischem Hintergrund. Fast zeitgleich sagte Berlins Innensenator Frank Henkel den kriminellen Clans den Kampf an. Mit aller Härte werde man vorgehen. In Bremen versucht man das auch. Mit weniger markigen Worten, dafür schon seit vier Jahren.

Bremen gilt seit Anfang der 1980er Jahre neben Berlin und Essen als eine der Hochburgen der Mhallamiye in Deutschland. 2600 Personen in mehr als 30 Familienclans umfasst die Gruppe in Bremen, berüchtigt ist dabei vor allem die Familie M., auf deren Konto insbesondere in den Jahren 2006 bis 2009 mehrere Gewalttaten gingen, die über die Stadtgrenzen hinaus für Schlagzeilen sorgten.

Bremens Polizei reagierte mit speziellen Einsatzkonzepten. Im Fokus standen dabei die sogenannten Top-Täter, Menschen, die mehrfach im Jahr durch kriminelle Taten auffielen oder auch durch einzelne, aber besonders schwere Straftaten. Anfang 2010 wurde die "Informationssammelstelle ethnischer Clans" eingerichtet. Gut die Hälfte der 2600 Mhallamiye ist inzwischen polizeilich bekannt, das heißt, die Betroffenen wurden mindestens einmal im Zusammenhang mit einer Straftat erfasst. Als Top-Täter gelten etwa 60 Personen, wovon rund 20 im Jahr polizeilich auftauchen, erklärt der Leiter der Bremer Kriminalpolizei, Andreas Weber.

Insgesamt ist die Zahl der Straftaten der Mhallamiye aber leicht rückläufig, von 854 im Jahr 2009 auf 816 im vergangenen Jahr. 2013 bestätigt bislang diesen Trend, für das erste Halbjahr stehen 348 Taten zu Buche. "Zumindest ist festzustellen, dass es nicht mehr geworden ist", resümiert Weber diese Entwicklung. Zugleich weist er aber darauf hin, dass die Zahl der Straftaten der Mhallamiye im Vergleich viermal so hoch ist wie die der anderen Migranten und der Deutschen. Unverändert ist seit 2009 die Zahl sogenannter Risikofamilien. "Echte Probleme haben wir mit elf der über 30 Großfamilien."

Eine besondere Qualität stellt laut Weber die Abschottung der Familien gegenüber der Gesellschaft, in der sie leben, dar. Viele würden die staatliche Ordnung nicht anerkennen. Umso wichtiger sei es, konsequent, schnell und niedrigschwellig zu reagieren, um zu verdeutlichen, dass das Gewaltmonopol allein beim Staat liegt. "Für uns ein Schwerpunkt, hier investieren wir mehr Arbeit als im Normalfall." So wurde für den Vorfall auf der Baustelle sofort eine Ermittlungsgruppe zusammengestellt. Der Täterkreis habe auch schnell eingeschränkt werden können. Nun aber gelte es, die einzelnen Tatbeiträge zuzuordnen und vor allem: beweisbar zu machen. Wer hat getreten, wer geschlagen, wer mit dem Messer zugestochen?

Beteiligt waren Mitglieder aus mehreren Clans. Dies sei nichts Neues, sagt Holger Münch, Staatsrat der Innenbehörde. Das sich nach einer vermeintlichen Ehrverletzung zusammentelefoniert wird, um ein Drohpotenzial aufzubauen, kenne die Polizei von vielen Einsätzen. "Was neu ist, ist, dass aus so einer verbalen Streitigkeit heraus Gewalt angewendet wird bis hin zum Messereinsatz." Deshalb werde man nach Klärung der Täterfrage vor Ort in die Familien hineinwirken, damit das so nicht wieder vorkommt.

Denkbar, dass die Polizei diesmal den einen oder anderen Stein aus der Mauer des Schweigens herausbrechen kann, mit der sich die Clans in der Regel abschotten. Denn der Vorfall werde auch innerhalb der Familien geächtet, erklärt die freie Journalistin Beate Krafft-Schöning, die ein Vertrauensverhältnis zur Familie M. aufgebaut hat und sich in einer Vermittlerrolle zwischen Polizei und Clan sieht. Die Mhallamiye seien längst nicht eine so geschlossene Gesellschaft, wie behauptet würde. "Nicht jeder will etwas mit seinen kriminellen Verwandten zu tun haben." Entsprechend groß sei die Sorge, jetzt wieder verstärkt von den anderen Bürgern ausgegrenzt zu werden. "Der Überfall auf die Bauarbeiter bedeutet einen Imageschaden für alle Mhallamiye."

Auch Andreas Weber warnt vor Pauschalisierungen bei der Beurteilung der Mhallamiye. In der Gemengelage von mehr als 30 Clans gelte es sehr genau zu differenzieren. Und auch der Ruf allein nach polizeilichen Maßnahmen reiche nicht aus, um die Probleme zu lösen, betont der Kripo-Chef. Wenn man es zum Beispiel schaffe, dass die Kinder der Familien in den Kindergarten und anschließend in die Schule gingen, sei schon viel gewonnen. "Damit sie eine Chance sehen, anders in der Gesellschaft durchzukommen, als durch Straftaten."

Mehr zum Thema lesen Sie im KURIER AM SONNTAG.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)