Kaum jemand in Bremen, der diesen Laden nicht kennt. „Wilh. Holtorf“ steht über dem Eingang, Lebensmittel seit 1874. Das Feinkostgeschäft im Ostertor hat seine Ursprünge in der Kolonialzeit, und deshalb trägt es diese Bezeichnung: Kolonialwarenladen, der letzte in Deutschland – und nun in Gefahr. Laden und Haus, beides denkmalgeschützt, sollen verkauft werden. Was das für die Zukunft dieses Kleinods bedeutet, ist noch völlig ungewiss.
Bremen. Die Eier, sagt Irmtraud Schwiering, und weiß auch nicht so recht, warum es gerade die Eier sind. Mit den Eiern macht sie ein gutes Geschäft, sie sind offenbar etwas Besonderes oder werden wenigstens so angesehen. Ein Selbstgänger ist auch die Kochwurst und das Müsli natürlich, nach Wunsch gemischt.
Irmtraud Schwiering ist Inhaberin des letzten Kolonialwarenladens in Deutschland, sie behütet ein Kleinod, das längst unter Denkmalschutz steht, aber trotzdem bedroht ist. Das Feinkostgeschäft Wilh. Holtorf am Ostertorsteinweg soll zusammen mit dem Gebäude, in dem es sich befindet, verkauft werden. Völlig unklar dabei, ob der mehr als 100 Jahre alte Laden in seinem Originalzustand erhalten bleibt. Und schon gar, ob weiter Lebensmittel verkauft werden – die Eier, das Müsli, die Kochwurst und vieles mehr.
Ein Abgang mit Ansage
Vor zehn Jahren hatte das Ehepaar Schwiering angekündigt, nach zehn Jahren in Rente gehen zu wollen. Dann starb der Mann, die Frau machte den Laden weiter, und nun ist es so weit. „Ich will aufhören“, sagt Irmtraud Schwiering. Nicht sofort, aber auf Sicht, und deshalb sucht die 62-Jährige seit einem halben Jahr nach einem Käufer für das Geschäft und das Haus, beides soll in einer Hand bleiben, so wünscht sie sich das.
Einfach ist das nicht. Ein riesiges Haus mit 13 Zimmern und das Geschäft unten drin – an sich und in dieser Lage ein heiß begehrtes Objekt. Weil die Immobilie aber geschützt ist und nur unter Auflagen verändert werden darf, scheuen die Investoren das Risiko.
Kaufen würden sie eine Bremer Institution, denn längst hat das Feinkostgeschäft Eingang in die Reiseführer gefunden. „Wir merken immer, wenn wieder ein Bus vorgefahren ist“, sagt die Inhaberin. Gäste, die zur Besichtigung kommen, manchmal tatsächlich nur gucken und dann staunen, dass es so etwas überhaupt noch gibt. Die schwere Theke aus Eichenholz, auf der früher mit Reichsmark bezahlt wurde, mit D-Mark später und heute mit Euro. Die raumhohen Regale, in denen penibel aufgereiht Konserven, Gläser und Flaschen stehen. Die Schubladen mit der losen Ware – Getreide, Bohnen, Linsen, Rosinen, getrocknetes Obst und was es sonst so gibt. Die alten Waagen, zwei davon, oder ein Schneidebrett für den Käse, das auch schon museal ist.
Die Fliesen auf dem Boden sind von Villeroy&Boch, jede Kachel noch im Original. Jugendstil, so wie die vier Lampen an der Decke, die ursprünglich in einem Schloss in Spanien hingen. „Es hat Jahre gedauert, bis ein Freund sie für uns gefunden hatte“, erzählt Irmtraud Schwiering. Licht war natürlich trotzdem da, nachdem im Krieg die alten Gaslampen kaputt gegangen waren. Neonlicht, aber nur für den Übergang, das verstand sich von selbst.
Eine Kundin kommt rein und verlangt nach den Zutaten für ihr Müsli: „Weizen, Gerste, Roggen und Haferflocken, bitte, jeweils 250 Gramm.“ Dann nimmt sie noch 500 Gramm von den dunklen Aprikosen und 250 Gramm Pflaumen ohne Stein, die Frau sagt „S-tein“, wie die Norddeutschen es heute nur noch selten tun. Sie war auf Reisen, erzählt sie, aber das Müsli dort, nein, kein Vergleich.
Ein Laden, der wie ein Museum aussieht, aber mitnichten eines ist. Das macht den Schatz noch mal richtig rar, der Landesdenkmalpfleger weiß das. „Das Geschäft hat mit Sicherheit einen außergewöhnlichen Rang“, sagt Georg Skalecki. So eine historische Ladeneinrichtung sei etwas „ganz, ganz Seltenes“. Gleichzeitig sieht auch Skalecki die Schwierigkeiten, etwas erhalten zu wollen, ohne die Interessen der Eigentümerin zu berücksichtigen. „Ein Abwägungsprozess“, sagt er, „wir werden uns dabei flexibel zeigen.“ Denkbar sei zum Beispiel, einen Teil der Einrichtung auszubauen, um den Weg für eine neue Nutzung des Ladens freizumachen. „Das muss ja nicht auf dem Müll landen, sondern könnte im Focke-Museum gezeigt werden.“
Irmtraud Schwiering ist offen für so eine Lösung, fände es aber schade, wenn die Einrichtung nicht zusammen bleibt: „Dann ist der Charakter weg.“ Am besten, meint sie, die Stadt kümmert sich. Irgendwie, sie weiß es nicht. „Oder Hachez macht hier einen Verkaufsraum auf.“ Das Haus verkaufen, den Laden dicht machen und eines Tages feststellen, dass nichts mehr ist wie es war – „das kann ja nicht Sinn der Sache sein“.