Bremen will wachsen, möglichst wenig an den Rändern, dafür im Inneren. Damit genügend Wohnungen und Häuser für alle Bedürfnisse entstehen, hat die Stadt in den vergangenen Jahren etliche Baugebiete freigegeben. Einige von denen, auf denen bereits die Bagger angerollt sind, stellen wir in den kommenden Wochen vor. Zum Auftakt: das Mühlenviertel in Horn.
Wer an der Horner Mühle vorbei auf die Fläche des leergeräumten Telekomgeländes schaut, bekommt inzwischen eine Ahnung von der Größe des Quartiers, das dort entsteht: Auf 70 000 Quadratmetern geht es mit Mehrfamilien- und Reihenhäusern voran. Im sogenannten Baufeld 1, das als erstes fertiggestellt werden soll, können im kommenden Jahr in den beiden viergeschossigen Häusern mit Wohnungen und den Reihenhäusern die ersten Eigentümer – oder deren Mieter – einziehen. Im Baufeld 1 entstehen nach Angaben des Bauträgers 112 Einheiten, die geplant und genehmigt sind. Im Baufeld 2 werden es vermutlich 120 bis 130 Einheiten, so Domoplan-Geschäftsführer Ulf Müller. Direkt an der Mühle soll zudem ein besonderes Gebäude entstehen, das die Eingangssituation unterstreicht und auch einen gewissen Gewerbeanteil hat. Außerdem gibt es dort noch weitere Wohnbebauung, so Architekt Albert Jo Meyer.
Viel Bewegung auf dem Baugebiet
Auch die ersten der insgesamt 27 Reihenhäuser, die in vier Reihen auf dem Gelände stehen sollen, wachsen in die Höhe. Insgesamt wird es demnach Wohnraum für mehr als 220 Haushalte im Mühlenviertel geben. Nicht zu vergessen das Gewerbe, das vorwiegend auf der benachbarten Baufläche wachsen soll: ein Verbrauchermarkt mit Büros darüber, auch Praxen und andere Dienstleistungen. Die Straße An der Horner Mühle, die später mitten hineinführen soll, ist bereits da, allerdings noch nicht befahren. Für Tieflader mit Fertigteilen, Betonmischer und andere Baustellenfahrzeuge geht der Weg über den früheren Parkplatz des Geländes bis zu den Rohbauten des lang gestreckten Baus von „Primus 1“ und der ersten Reihenhäuser, die als Stadthäuser angeboten werden.
Der Ausblick vom obersten der insgesamt vier Etagen im Mehrfamilienhaus geht im Norden über ein Regenwasserrückhaltebecken und die Autobahn weit hinaus. Von der durchgehenden Terrasse blicken Besucher gen Süden über das gesamte Baugebiet und die Horner Mühle. Dort ist eine kleine Stadt aus Baufahrzeugen, Containern für Arbeiter und Material- und Werkzeuglager mit viel Bewegung und Arbeitsgeräuschen entstanden. Von der Autobahn indes soll später hinter dreifach verglasten Fenstern kaum etwas zu hören sein, sagt Ulf Müller von der verantwortlichen Baugesellschaft Domoplan. Dass nicht an allen geplanten Gebäuden gleichzeitig gebaut wird, hat nach Müllers Auskunft übrigens seinen Sinn. „Das wäre logistisch gar nicht zu leisten. Sonst kämen sich die Kräne ins Gehege.“
Als Ende 2011 der Vertrag zwischen der Investorengruppe und dem Voreigentümer, der Corpus Sireo für die Deutsche Telekom, unterschrieben wurde, fand das Projekt nahezu überall Fürsprecher. Auch der damalige Horner Ortsamtsleiter Wolfgang Ahrens sprach sich bei der ersten Präsentation für die Pläne aus. „Das ist die letzte große Chance, in Horn etwas zu erschließen“, sagte er damals.
Seit den 90er-Jahren schon standen die einstigen Unterrichtsgebäude, Werkstätten, Büros, Sportgelände, Theater, Aula und Verwaltungseinheiten auf dem Gelände leer, das die Deutsche Bundespost schon in den 60er-Jahren für ihr Ausbildungszentrum für Dienstanfänger, Lehrlinge und Lehrgangsteilnehmer zusammengekauft und bebaut hatte. Es galt im Stadtteil als Schandfleck.
Beiratssprecherin Catharina Hanke sieht die Entwicklung weiterhin „sehr, sehr positiv für den Stadtteil“, sagt sie. Am 24. September würden die Bauträger die nächsten Bauabschnitte in der Beiratssitzung vorstellen. Die Zusammenarbeit laufe gut. Ein Augenmerk hat der Beirat von Beginn an auf das Thema Verkehr gelegt. Wenn mehr als 300 zusätzliche Haushalte zum Stadtteil gehören, noch dazu Praxen, Büros und Einzelhandel Nutzern als Ziel dienen, wird es mehr Verkehr geben. Damit er nicht überhand nimmt, ist der Gewerbebereich zugunsten des Wohnanteils verkleinert, sind außerdem Zuwegungen und Kreuzungsbereich überdacht worden. Mit der Straßenbahnlinie 4 vor der Tür hofft Hanke auf Entlastung durch den öffentlichen Nahverkehr. Doch sie sagt klar: „Mehr Verkehr wird es geben.“
Genug Kita-Plätze?
Auch mehr Kinder. Und damit womöglich die Notwendigkeit für ausreichend große Betreuungs- und Bildungseinrichtungen. „Reichen unsere Kitas und Grundschulen aus?“ frage sich der Beirat, so Hanke. „Da müssen wir ein Auge drauf haben.“ Aus Sicht von Reinhard Viering, Leiter der Abteilung Stadtentwicklung, Stadtplanung in der Baubehörde, ist das Mühlenviertel „ein Glücksfall für die Stadtentwicklung“. Die Lage direkt am Stadtzentrum und an der Straßenbahnlinie hebt er positiv hervor. Zudem werde das Gebiet „die bestehende Nahversorgung ergänzen“. Es gebe eine vernünftige Mischung, allerdings mit der Lage einiger Gebäude nahe der Autobahn sicher auch „Schwierigkeiten zu überwinden“.
Das Mühlenviertel
◼ Größe: 70 000 Quadratmeter
Wohneinheiten: mehr als 220
Art der Bebauung (bislang geplant): vier Mehrfamilienhäuser mit 2-, 3-, und 4-Zimmer-Wohnungen, 27 Stadthäuser in vier Reihen von etwa 158 bis 188 Quadratmetern Größe.
Außerdem: Gewerbe mit Verbrauchermarkt, Praxen, Büros.
Wohnen in der Stadt liegt im Trend
Bauressort sieht veränderte Wünsche von Käufern und Mietern
Wenn Bremen wächst, brauchen mehr Menschen ein Dach über dem Kopf. Aber auch die Zunahme von Ein-Personen-Haushalten in der Hansestadt ist ein Grund, zusätzlich Wohnraum zu schaffen. Bereits im Jahr 2009 sah eine Studie des Hamburger Gewos-Instituts für Bremen bis zum Jahr 2020 einen Mehrbedarf von bis zu 15 000 Wohnungen voraus (wir berichteten mehrfach).
Die Bedürfnisse und Vorstellungen, wie diese Wohnungen aussehen und wo sie gebaut werden könnten, haben sich im Laufe der Jahre verändert, stellt Reinhard Viering fest. Er ist als Abteilungsleiter im Bauressort für Stadtplanung, Stadtentwicklung und Bauordnung verantwortlich. „Den Trend zurück in die Stadt nehmen wir sehr stark wahr“, sagt er. Das Einfamilienhaus am Stadtrand wird – insbesondere von Familien – aber immer noch gesucht. Und umgekehrt: „Banken und Bausparkassen erleben viele Menschen, die ein Einfamilienhaus besitzen und nun eine Wohnung in der Stadt möchten“, gibt Viering Gespräche wieder.
Ein weiteres Kriterium für die Stadtplanung seien die Wünsche der Wohnungssuchenden nach dem Wo: „Viele Bremer wollen in ihren Zusammenhängen bleiben“, sagt Viering. Der Wunsch, im eigenen Stadtteil bleiben zu können – vor allem von Älteren, die sich beispielsweise vom Haus in eine kleine, vielleicht barrierefreie Wohnung verändern wollen – bestimmt demnach einen Teil der Bauplanung und die Suche nach entsprechenden Bauflächen. Dabei erlebt der Geschosswohnungsbau in den vergangenen Jahren eine Art Renaissance. Auch mit Kindern, so Viering, möchten viele Menschen in städtische Quartiere ziehen.
Der Stadtentwickler macht „eine Achse Horn – Schwachhausen – Innenstadt – Findorff – Neustadt“ aus. Eine gute Infrastruktur, Nahversorgung, Schulen, Kitas, Bus- und Bahnverbindungen spielten für viele eine große Rolle. „Danach wird mehr geguckt als noch vor zehn Jahren“, stellt Viering fest. Die Situation auf den Finanzmärkten macht er mit dafür verantwortlich, dass häufiger als früher Menschen auch als Anleger auftreten, Wohnungen an Standorten kaufen und vermieten, an denen sie sich zum Teil später selbst ein Leben vorstellen könnten.
Eine Grundlage für die Wohnungsbaukonzeption ist die Gewos-Studie von 2009 für die Stadtplaner durchaus. „Doch wir haben auch einiges anders gemacht“, versichert Viering. Während das Gutachten von einem Bevölkerungsrückgang in Bremen-Nord ausgeht und deshalb dort keinen Wohnungsneubau empfiehlt, hat das Bauressort auch dort kleinere Baugebiete ausgewiesen, die individuellen Bedürfnissen Rechnung tragen. „Es gibt relativ kleinräumig große Unterschiede“, sagt Viering. Lage und Image spielen eine wichtige Rolle für die Wohnwünsche und -gebiete.
Für den Senat ist bezahlbarer Wohnraum ein Schwerpunkt geworden. Dabei geht es nicht nur um den geförderten Sozialwohnungsbau, sondern auch um günstige Wohnungen und Häuser für junge Familien, für Alleinstehende, Ältere oder Studenten, so der Abteilungsleiter. Auch erinnert er daran, dass nicht nur Arbeitslose förderberechtigt sind, sondern eben auch junge Familien mit geringen Einkommen und mehreren Kindern. Allen diesen Gruppen etwas anbieten zu können, ist „wohnungsbau- und sozialpolitisch, aber auch stadtentwicklungspolitisch ein Anliegen“, betont Viering. Bauflächen, auf denen eine gute Mischung verschiedener Angebote erreicht werden sollen, könnten aus seiner Sicht der Wohnpark Oberneuland werden. Auch die Marcuskaje in der Überseestadt, wo seit dem Spatenstich vor wenigen Wochen Sozialwohnungen und andere entstehen (wir berichteten), ist laut Viering ein Beispiel für eine gewünschte Durchmischung von Quartieren. Gleiches gilt für die Hafenkante hinter dem neuen Überseepark oder die Bunte Berse in der Bersestraße in Gröpelingen.