Eine neue Anti-Islam-Bewegung bringt in diversen deutschen Städten wöchentlich tausende Anhänger auf die Straße. Politiker der etablierten Parteien sdchwanken zwischen schärfster Verurteilung und teilweiser Anbiederung. Beides ist falsch, denn es verleiht dieser Bewegung eine Bedeutung, die ihr nicht gebührt.
Die größte, schönste und älteste Moschee Dresdens ist gar keine: Die Orientalische Tabak- und Zigarettenfabrik „Yenidze“ wurde 1908 im Stil eines muslimischen Gotteshauses gebaut, das „Minarett“ war ein getarnter Schornstein. In der Barockstadt stieß die „Tabakmoschee“ zu Kaisers Zeiten auf heftige Ablehnung, aber am Ende machten die Sachsen doch ganz pragmatisch ihren Frieden mit dem Bau: 1996 wurde er saniert, mittlerweile ist er nach den Highlights Frauenkirche, Zwinger und Semper-Oper eine kleine Touristen-Attraktion.
Und die echten Moscheen Dresdens? Die Landeshauptstadt mit 535.000 Einwohnern hat genau drei, die von rund 750 Muslimen zum Freitagsgebet besucht werden. Diese drohende „Islamisierung des Abendlandes“ bringt nun Montag für Montag Tausende Bürger auf die Beine, die den Untergang ihres Kontinents und ihrer Kultur nahe wähnen. Spießbürger, Biedermänner und Brandstifter marschieren Seit’ an Seit’, die Reihen mehr oder minder fest geschlossen. Und die Politiker unter der Bundestagskuppel? Ratlos.
Sozialdemokraten wie Justizminister Heiko Maas oder Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger reden von „Nazis in Nadelstreifen“ und einer „Schande für Deutschland“. Die Christdemokraten wiederum verrenken sich beim Spagat: Von der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) will man sich so scharf wie möglich distanzieren, mit den Montagsdemonstranten der obskuren „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) aber auch irgendwie ins Gespräch kommen.
Fragt sich nur: Worüber eigentlich? „Gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden“ heißt es auf den Pegida-Plakaten. Dabei ist es unter wirklich allen demokratischen Parteien unumstritten, dass jede militante Form von Religionsausübung abzulehnen und von der Exekutive zu verfolgen ist. Nein, der Pegida und ihren Ablegern im Süden und Westen der Republik geht es überhaupt nicht um den Kampf gegen den Islamismus – da würden sie ja ein offenes Scheunentor einrennen.
Aufmarsch der Pseudo-Patrioten
Es geht ganz generell gegen Zuwanderung: Ob Arbeitsmigranten, Flüchtlinge oder Asylbewerber: Alle in einen Topf und möglichst schnell aus Deutschland rausgekippt! Das anti-islamische Motiv ist nur der Brandbeschleuniger – in Wahrheit sind katholische Sinti, christlich-orthodoxe Bulgaren oder aramäische Syrer doch genauso wenig gelitten.
Ähnlich funktioniert die Parole „kriminelle Ausländer abschieben“: Eigentlich will man ja auch die nicht-kriminellen – also die überwältigende Mehrheit – loswerden. Juristische Hindernisse, die oft auch einer Abschiebung Straffälliger entgegenstehen, zählen ohnehin nicht. Das Verhältnis der Pegida-Marschierer zum eigenen Rechtsstaat ist also auch gebrochen. Da ist es auf eine perverse Art schon wieder konsequent, dass man in Dresden einem mehrfach vorbestraften, aber immerhin deutschen Einpeitscher nachläuft.
Über was also will man mit solchen Leuten sprechen? Lohnt das überhaupt? Kann oder muss man die wirklich ernst nehmen? Die CSU und der inzwischen ziemlich verkümmerte rechte Flügel der CDU sagen: ja. Denn frei nach Übervater Franz-Josef Strauß darf es rechts von der Union keine demokratische Partei mehr geben. Also fliegt, wer betrügt, und der Rest wird angehalten – pardon: motiviert – auch daheim bei Tee und Tahina bittschön deutsch zu sprechen. Das aber wird die Pseudo-Patrioten zwischen Dresden und Düsseldorf aus den zuvor genannten Gründen kaum bewegen, demnächst wieder ihr Kreuzchen bei einer C-Partei zu machen.
Selbst die AfD weiß nicht so recht, wie sie sich gegenüber diesen Irgendwas-gida-Leuten verhalten soll. Ihr einer Vize Alexander Gauland marschiert schon mal als „natürlicher Verbündeter“ mit. Sein Co-Vize Hans-Olaf Henkel hingegen rät „weiterhin davon ab, dass sich unsere Partei an Demonstrationen von selbsternannten Islamkritikern beteiligt.“ Und Bernd Lucke, der Dritte im Triumvirat, redet ohnehin lieber über den Euro als über den Islam.
Modernisierungsverlierer in billigen Anoraks
Das tut dafür lang und breit AfD-Sprecher Konrad Adam in der renommierten „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Wir erfahren, dass er schon einmal im Topkapi-Palast war, arabische Kalligraphie schön findet und beim Islam noch auf die Phase der Aufklärung wartet. Adam stellt dann jene Fragen, welche sich alle ernsthaften Politiker in Deutschland zur Zuwanderung stellen: „Sind die integrationswillig und integrationsfähig?“ Die entscheidenden Fragen stellt er nicht: Wie machen wir „die“ integrationsfähig? Und was tun wir, wenn „die“ nicht oder nur begrenzt integrationswillig sind, aber auch nicht straffällig werden – so wie viele Chinesen in den USA im 19. und 20. Jahrhundert?
Dafür will Herr Adam nicht, „dass irgendein Mullah darüber befindet, wie ein Dieb zu behandeln ist.“ Na, das will der sozialdemokratische Justizminister Maas ganz gewiss auch nicht. Der wird Herrn Adam auch nicht für einen Nazi in Nadelstreifen halten. Beides – Nazis und Nadelstreifen – scheinen bei Pegida ohnehin eher die Ausnahme zu sein. Es überwiegen deutlich Verunsicherte und bildungsferne Modernisierungsverlierer in billigen Anoraks.
Eine Schande für Deutschland? Ach wo. Erstens nehmen auch diese Leute erst einmal ein Grundrecht wahr. Zweitens gibt es solchen Bodensatz, dessen Ressentiments sich aus Minderwertigkeitskomplexen speisen, in allen hoch ausdifferenzierten Gesellschaften – also auch in allen europäischen Demokratien. Und drittens erscheint diese „Bewegung“ durch mediale Aufgeregtheit viel größer, als sie tatsächlich ist. Mögen es am Montag in Dresden auch 15.000 gewesen sein – dem letzten Drittliga-Spiel des Dynamo Dresden gegen Energie Cottbus schauten mehr als 28.000 zu. Dritte Liga!
Man sollte Pegida, Dügida, Wügida und Konsorten also nicht übertrieben ernst nehmen. Sie sind für unsere Demokratie kaum bedrohlicher als 750 Muslime für das Christentum in Dresden.