Borgfeld. Der Schutz von Risikogruppen war in der Pandemie das zentrale Thema – aber die Corona-Maßnahmen führten vor allem bei Kindern und Jugendlichen zu einer erhöhten Belastung. Zu diesem Ergebnis kommen Expertinnen und Experten des Robert-Roch-Instituts (RKI). Grundschulkinder zeigen seither vermehrt sozial-emotionale und motorische Auffälligkeiten. Kerstin Kinner, Schulleiterin am Borgfelder Saatland und die Evolutionspädagogin und Klassenlehrerin Isabell Friedrich schätzen, dass rund 20 Prozent ihrer Schulkinder davon betroffen sind. "Das Gute ist, es lässt sich alles aufarbeiten", sagt Isabell Friedrich. Die beiden Lehrerinnen zeigen im Schulalltag, wie das geht.
Welche Auffälligkeiten zeigen sich bei Kindern?
"Während der Pandemie gab es nur eingeschränkte Bewegungs- und Spielangebote und nur wenige soziale Kontakte. Kinder reagieren besonders sensibel auf die zum Teil drastischen Veränderungen in ihrer Lebenswelt", berichtet Kerstin Kinner. Eine "sehr hohe Stressbelastung in den Familien", sei bis heute zu verzeichnen. "Bewegen und lernen sind eng miteinander verknüpft", ergänzt Isabell Friedrich. Im Lehrerinnen-Team sei aufgefallen, dass Grundschulkinder vermehrt motorische Schwierigkeiten zeigen würden. Diese hätten Auswirkungen auf das Lernen insgesamt. "Das Gleichgewicht der Kinder ist oft stark beeinträchtigt. Manche können nicht auf einem Bein hüpfen oder auf einem Bein stehen. Einige können die Treppe nicht mit beiden Füssen abwechselnd heruntergehen." Übungen über Kreuz seien für viele eine Herausforderung. "Und wenn ich die Körperhälften nicht koordinieren kann, ist auch das Zusammenspiel beider Gehirnhälften blockiert", erklärt Isabell Friedrich. Kerstin Kinner weist auf einen Zusammenhang mit einem erhöhten Medienkonsum während der Pandemie hin.
Wie merken Eltern, dass ihr Kind möglicherweise Unterstützung benötigt?
Manche Kinder zeigen eine auffällige Stifthaltung, sie können nicht still sitzen, haben Berührungsempfindlichkeiten, Gleichgewichtsstörungen, Koordinationsschwierigkeiten oder einen schwachen Muskeltonus, berichten die Lehrerinnen. Auffälligkeiten im Sozialverhalten, emotionale Instabilität oder Trennungsängste könnten ebenfalls auf einen Handlungsbedarf hinweisen.
Wie geht die Schule mit dieser Situation um?
"Grundsätzlich ist es unser Ziel, möglichst viel Bewegung in den Alltag der Kinder zu bringen", erklärt Schulleiterin Kinner. "Viele Lehrkräfte integrieren inzwischen Bewegungssequenzen in den Schulalltag. Morgengrüße, bei denen wir uns recken und strecken und alle Muskeln einmal durchspielen". Es gibt Bewegungspausen mit gezielten Übungen. Nachmittags biete die Schule Yogakurse und "Fit in der Schule" an. Dieses Angebot, das vom Förderverein der Schule mitfinanziert wird, soll nach den Ferien weiter ausgebaut werden. Der Förderverein der Grundschule am Borgfelder Saatland hat gerade eine Spendenaktion gestartet, um Geld für Spiel- und Sportgeräte zu sammeln – obgleich das Bremer Bildungsressort Gelder bereitstelle. Um die Auswirkungen der Pandemie im Schulalltag abzufedern, ist das laut Kerstin Kinner "ein Tropfen auf den heißen Stein."
Wie fängt die Schulbehörde verstärkte Förderbedarfe auf?
"Die Zunahme von Kindern mit sozial-emotionalen Auffälligkeiten ist ein bundesweites Phänomen und spiegelt sich auch in Bremen unter anderem in einer Steigerung der Anträge auf Schulbegleitung wider", berichtet die Sprecherin der Bildungsbehörde, Maike Wiedwald. Über das Aufholprogramm nach Corona, „Schülerinnen stärken“, habe das Ressort Ausgleichsmaßnahmen ermöglicht, die der präventiven Förderung für Schülerinnen mit sozial-emotionalen Auffälligkeiten dienten. Den Grundschulen würden seit dem Schuljahr 2022 Summen zwischen 1.000 und 20.000 Euro für sogenannte „souveräne Verstärkungsmittel" zugewiesen. Am Saatland wird das Budget für ein Inklusionsprojekt für geflüchtete Kinder verwendet.
Was ist für die Zukunft geplant?
Das Bremer Bildungsressort plant laut Maike Wiedwald eine Ausweitung der Schulsozialarbeit. Doppelbesetzungen in Klassenzimmern sollen verstärkt werden. "Neben der Lehrkraft sollte eine weitere pädagogische Mitarbeiterin, in der Regel Erzieherin oder Sozialpädagogin, im Unterricht sein." Diese hätten den Auftrag, im Unterricht zu unterstützen und Bewegungs-, Entspannungs- und Gesprächsangebote für Kinder mit sozial-emotionalen Auffälligkeiten zu ermöglichen. An der Grundschule am Saatland gebe es diese Doppelbesetzungen bislang nicht, berichten die Lehrerinnen. Schulen würden hier von der Behörde nach Sozialindizes bewertet. "Wir haben sechs Stunden pro Woche für neun Klassen, um spezielle Angebote zu unterbreiten. Man kann sich vorstellen, dass das nicht ausreicht", erklärt Schulleiterin Kerstin Kinner.
Wie sieht die Eigeninitiative an der Schule aus?
Die Grundschule habe mithilfe des Fördervereins eine Fahrrad-AG, Leichtathletik-, Fußball- und Yoga-Kurse ins Leben gerufen. Zudem gebe es eine enge Zusammenarbeit mit dem Fußballverein SC Borgfeld. Doch zurzeit sei es "enorm schwierig, Trainerinnen und Trainer für die Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag zu finden", berichtet die Fördervereinsvorsitzende der Grundschule am Borgfelder Saatland, Anneke Monsky. "Wir mussten vielen Kindern absagen." Besonders begehrt seien Yoga-Kurse, Töpfern, Schach und Spanisch. Wer sich als Dozentin oder Trainer für Bewegungsangebote beim Förderverein der Grundschule am Saatland vorstellen will, kann sich an die Fördervereinsvorsitzende unter der Telefonnummer 0179/ 7 55 70 98 wenden – es wird eine Aufwandsentschädigung von 25 Euro pro Stunde bezahlt, heißt es. Auch Schülerinnen, Schüler und Studierende mit Trainerlizenzen können sich melden.