Sinn der Portraitmalerei sei es ausdrücklich nicht, eigene Gefühle über den Pinselstrich zum Ausdruck zu bringen, erklärt Claudia Mertens. Vielmehr gehe es darum, die Stimmung des Gegenübers einzufangen und auf Papier oder Leinwand festzuhalten. Jahr für Jahr hatte sich die Achimerin eine Teilnahme an den jährlich wiederkehrenden Kunstsommer-Kursen an der Hochschule für Künste im Sozialen (HKS) in Ottersberg vorgenommen, den sprichwörtlichen Dreh jedoch nicht bekommen. Diesmal habe es jedoch geklappt, und sie sei froh über die Grundlagen, die Kursleiterin Josefine Henning in lockerer Form und zwischen Kaffee und Kuchen vermittele. Begonnen werde mit Zeichnen, erst später käme dann Farbe ins Spiel. „13 Teilnehmer, vielfach im Rentenalter und mit Lust und Zeit auf Neues, haben am Montag damit begonnen, erste Schritte auf unbekanntes Terrain zu wagen“, beschreibt Henning derweil die Gehversuche ihrer Schützlinge im Kurs "Faszination Mensch".
Aber auch Wiederholungstäter, die schon mehr als zehn Jahre dabei sind, verfolgen zunächst die Erläuterungen zur Herstellung der benötigten Farben. „Ei-Tempera zum Beispiel besteht aus wasserverdünntem Eigelb, Farbpigmenten, Terpentinöl, Dammarfirnis und Wasser; eine schnell trocknende Mischung mit hoher Leuchtkraft und Brillanz, die ich persönlich der Acrylfarbe vorziehe“, so die Expertin; jeder in der Gruppe habe jedoch die Wahl. Später gehe es darum, eine Zeichnung zu fertigen, locker zu werden und „den Strich zu befreien“. Nicht gefragt sei eine detailgetreue Darstellung des Gegenübers, denn dafür gebe es ja die Fotografie. Sie setze vielmehr auf Kreativität, darauf, dass während des Gestaltungsprozesses Emotionalität und Gefühle für den Moment transportiert würden; „die Bilder dürfen schräg daherkommen, sollen berühren, jedoch niemals gefällig sein“. Gelegentlich kämen auch Frauen oder Männer ins Haus, die über ihr Tun Erfahrungen und Erlebnisse verarbeiten möchten, so Henning.
Lebendig und ideenreich
Allen Kursen an der HKS gemein ist, dass keinerlei Vorkenntnisse erwartet würden, und auch, dass gerade die Teilnehmer, die sich für unbegabt halten, oft die besten Ideen hätten, berichtet Josefine Henning von ihren Erfahrungen. Nach Abschluss ihres fünfjährigen Studiums an der Ottersberger Hochschule war sie in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen worden, hat ihren Hauptwirkungskreis inzwischen jedoch nach Essen verlegt. Von dort aus pendelt die 31-Jährige, ist präsent auf Ausstellungen im In- und Ausland und „liebt den Kunstsommer an der Wümme“, wie sie sagt.

Kursleiterin Josefine Henning (links) im Austausch mit Teilnehmerin Hilde Kohake.
Neben der Portraitmalerei werden in dem weitläufigen Gebäude auch Ton- und Holzarbeiten in Angriff genommen, es wird abstrakt oder nach eigenen Vorstellungen gemalt, und im Kinderkurs geht es lebendig und ideenreich zu. So gilt es dort, Tag für Tag Aufgaben zu lösen, die jeweils einem Thema zugeordnet sind. Im vergangenen Jahr seien das die vier Elemente gewesen, erinnert sich Henning; da wurde gebastelt, gemalt und gespielt, während die Eltern in anderen Teilen des Gebäudes zeitgleich ihren künstlerischen Neigungen und Fähigkeiten nachgehen konnten. „Eine tolle Art der Kinderbetreuung, die natürlich auch von außen angenommen wird.“
Am Ende der kreativen Woche steht, wie in jedem Jahr, ein Rundgang der Teilnehmer durch alle Räume. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, Einblicke in die Arbeiten aller Kunstschaffenden zu gewinnen. Beworben werden die einzelnen Kurse über die Website der Hochschule, über Flyer und mittlerweile auch über Facebook und Instagram, und wie immer finden sich schon jetzt Interessierte für die Angebote des kommenden Jahres.