Das Thermometer zeigt sieben Grad an. Gerade warm genug für einen Spaziergang. Drei Mitglieder vom Volk der Roten Waldameisen klettern aus dem Bau und erkunden ihren neuen Lebensraum in einem gläsernen Großbehälter. Die Krabbeltiere sind die Attraktion einer Informationsveranstaltung auf dem Gelände des Cafés „Am Wald“, zu der Heidhof-Revierförster Bernd Wiedenroth eingeladen hat.
Wiedenroth ist Spezialist für die Umsiedlung von Ameisenvölkern. Allein im vergangenen Jahr hat er rund 20 Umzüge organisiert. Zum Beispiel von Gehlenbergen im Landkreis Diepholz nach Brundorf. In Gehlenbergen, einem Ortsteil von Bruchhausen-Vilsen, hatte ein Ameisenstaat eine leer stehende Villa aus dem 18. Jahrhundert okkupiert. Zu Hunderttausenden wuselten Rote Waldameisen an Wänden, Decken und auf den Fußböden des Hauses. Nicht wild durcheinander, sondern auf schnurgeraden „Autobahnen“. Weil der neue Hausbesitzer verständlicherweise wenig Neigung verspürte, die sechsbeinigen Insekten vom Stamme der Formica rufa, so der lateinische Name der Roten Waldameise, als Untermieter zu dulden, trat Bernd Wiedenroth auf den Plan.
In Absprache mit der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Osterholz und deren Genehmigung hob er zusammen mit Helfern der Kreisgruppe Osterholz der Deutschen Ameisen-Schutzwarte (DASW) das Nest der Eindringlinge aus und verfrachtete es in den Heidhof-Forst.
Gefährdete Art
Die Erlaubnis der Verwaltung ist zwingend erforderlich, denn die Rote Waldameise und ihre Territorien sind nach der Bundesartenschutzverordnung besonders geschützt und stehen auf der Liste der gefährdeten Arten in Deutschland. Auf dem Planeten Erde leben nach Expertenschätzungen gut zehn Billionen Ameisen. Die ältesten fossilen Funde stammen aus der Kreidezeit vor rund 100 Millionen Jahren.
Bernd Wiedenroth, seine Frau Antje und Mitglieder der DASW-Kreisgruppe Osterholz haben auf dem Areal des Cafés „Am Wald“ Stellschilder mit Informationen und Fotografien ausgestellt. Ziel sei es, die ehrenamtliche Arbeit der Ameisenschutzwarte bekannt zu machen, erläuterte Wiedenroth die Aktion. Im Mittelpunkt des Interesses stand fraglos das Formicarium mit der angeschlossenen „Arena“.
Diesen Behälter, in dem sie sich mit Futter versorgen und Abfälle entsorgen, erreichen die etwa fünf bis elf Millimeter langen Sechsfüßler über hölzerne Stäbe. Beide Glasbehälter waren während der Informationsschau oben geöffnet, sodass wärmendes Lampenlicht ungehindert eindringen und die Roten zu emsiger Aktivität anregen konnte. Den oberen Rand der gläserner Mietwohnung, der in die vermeintliche Freiheit hätte führen können, aber mieden sie. Wiedenroth hatte ihn mit Paraffinöl bestrichen, dessen Duft auf die Waldameise abstoßend wirkt.
Lange wird die Kolonie allerdings nicht im gläsernen Gefängnis mit dem kleinen morschen Baumstumpf verbleiben. In gut einer Woche soll sie zu ihrem Volk zurückkehren, das kürzlich noch unter einem Haufen alter Bretter in Hüttenbusch lebte und von dort Streifzüge zur Terrasse und den Zimmern eines Hauses unternahm.
Nicht zur Freude der menschlichen Bewohner. Also musste Bernd Wiedenroth mit Helfern anrücken und die Emigration des Ameisenvolkes organisieren. Es lebt jetzt im Waldgebiet Elm bei Meyenburg und wird demnächst den Rest seiner Mitbürger (rund 4000) aus dem Glaskasten begrüßen können.
Das Försterehepaar Wiedenroth hieß am Wochenende auf dem Areal des Restaurants, dessen Minigolfanlage gerade saniert worden ist, viele Besucher willkommen, die sich schon lange für das Leben und Zusammenleben von Ameisen interessieren, wie Ulrich Kassun, Irma und Gerd Vajen, Anke und Hans Bücking unisono erklärten. Sie gehören der hiesigen DASW-Kreisgruppe an und halfen beim Aufbau der Ausstellung mit.
60 Mitglieder stark ist die Osterholzer Fangemeinde der Formica rufa vor Beginn der Informationsveranstaltung gewesen. „Jetzt sind wir ein paar mehr“ freut sich Bernd Wiedenroth über die neuen eingetragenen Mitglieder. Die von dem Revierförster erfuhren, dass Leben auf der Erde ohne den Sauerstoffspender Wald nicht möglich sei. Dessen Existenz werde auch von der Roten Waldameise gesichert.
Ameisen werden als „Landschaftspfleger“ bezeichnet. Sie lockern den Boden auf und ermöglichen es damit den Pflanzen, besser Wurzeln zu schlagen. Zudem wird durch die Umschichtung beim Bau der Gänge fruchtbarer Humus gebildet.
Im 1750 Hektar großen Waldgebiet der Revierförsterei Heidhof, in dem vor allem die Nadelholzvertreter Kiefer, Douglasie, Weißtanne und Fichte und als Laubbäume insbesondere Buchen und Eichen zu Hause sind, leben nach den Worten von Revierförster Bernd Wiedenroth rund 600 Ameisenvölker, bis zu zwei Meter tief in der Erde. Überall dort, wo Baumstämme mit einem gelben A und einer „Hausnummer“ markiert sind.