Hannover. In Hannover wächst zurzeit ein 100 Meter hoher Holzturm in den Himmel – als Träger für ein 100 Tonnen schweres Windkraftwerk. Ein weltweit einmaliges Projekt. Mit Holztürmen will die Firma Timber-Tower herkömmlichen Stahlkonstruktionen Konkurrenz machen. Zusammengebaut wird der Turm von Handwerkern aus Waffensen im Kreis Rotenburg.
Als erstes Unternehmen weltweit baut die Firma Timber-Tower in Hannover eine Windkraftanlage mit einem 100 Meter hohen Turm aus Holz. Ende des Sommers soll das 1,5 Megawatt-Kraftwerk den ersten Strom liefern. Bewährt sich der Prototyp, woran auf der Baustelle niemand zweifelt, sollen schon im kommenden Jahr bundesweit zehn Holzanlagen aufgestellt werden – eine davon im Landkreis Nienburg. Sie wird 140 Meter hoch in den Himmel ragen.
Der Holzturm von Hannover bringt es zurzeit auf 50 Meter. In der vergangenen Woche ist er wieder um 15 Meter gewachsen und nun von der Autobahn 2 aus nicht mehr zu übersehen. Wie der typische Turm einer Windkraftanlage sieht die achtkantige Konstruktion mit dem grauen Kunststoffüberzug allerdings nicht aus, zumal ihr im Moment noch der Generatorenaufsatz und die Rotoren fehlen.
Vier Jahre lang haben die Ingenieure von Timber-Tower an den Plänen gearbeitet, die jetzt auf einem Gewerbegrundstück der Universität Hannover umgesetzt werden. Die Hochschule begleitet das Vorhaben, das von dem Pharma-Industriellen Edwin Kohl finanziert wird.
"Die Idee mit dem Baustoff Holz hatten wir schon vor sechs, sieben Jahren", sagt Holger Giebel, einer der beiden Timber-Tower-Geschäftsführer. Damals lieferte das Ingenieurbüro Gregor Prass, aus dem Timber-Tower hervorgegangen ist, Statiken für konventionelle Windkraftwerke. Man kennt sich also in der Branche aus. "Die Stahltürme wurden immer größer und damit auch das Problem, die einzelnen Segmente an ihren Standort zu transportieren", sagt Holger Giebel. "Bei 4,20 Meter ist Schluss, mehr geht nicht unter den Brücken hindurch." Durch die Begrenzung des Turmfußes auf maximal 4,20 Meter sei konstruktionsbedingt auch die Höhe des Stahlturmes begrenzt. Höhere Türme aber seien leistungsstärker – sowohl in windschwachen wie in windstarken Regionen. Holztürme könnten durchaus 200 Meter hoch und höher gebaut werden, sagt Giebel.
Der Holzturm in Hannover hat am Fuß einen Durchmesser von sieben Metern. Zur Spitze verjüngt er sich auf eine Fläche von knapp drei mal drei Metern. Auf die Holzkonstruktion kommt später ein vier Meter hoher Stahlaufsatz, darauf wird eine Windturbine mit herkömmlichen Rotoren montiert. Das 1,5 Megawatt-Kraftwerk liefert der Anlagenbauer Vensys Energy, mit dem Timber- Power eng zusammenarbeitet. Alle Bauteile ließen sich bequem in Standardcontainern und Standardlastwagen transportieren, sagt Giebel, "das ist unser Vorteil." Schwertransporte wie bei Stahlkonstruktionen üblich, seien nicht erforderlich.
Handwerker des Holzbauunternehmens Cordes aus Waffensen (Kreis Rotenburg) schrauben und leimen den Turm zusammen. Sie haben schon am spektakulären Holzdach auf der Expo 2000 in Hannover mitgearbeitet und für den Heidepark in Soltau "Colossos" gebaut, die größte Holzachterbahn der Welt. "Für uns ist der Turmbau eine neue Herausforderung", sagt Ulf Cordes, der Junior-Chef. Und das nicht nur, weil alle Zimmerer sich auf Höhentauglichkeit untersuchen lassen mussten.
Der Turm wächst in 15-Meter-Schritten. Das ist die Länge der sogenannten Lehrgerüste, die Cordes in Waffensen vorproduziert. Sie bilden das Gerippe, an dem der achtkantige Turm in die Höhe gebaut wird. An die Lehrgerüste werden 15 Meter lange und bis zu drei Meter breite Platten aus Fichtenholz angebracht. Sie werden von einem Betrieb in Süddeutschland angefertigt. Die konisch zugeschnittenen Platten bestehen aus mehreren kreuzverleimten Sperrholz-Lagen. Sie sind 30 Zentimeter dick und mehrere Tonnen schwer. Mit einem eigens entwickelten Klebeverfahren werden sie am Turm zusammengeleimt. "Die Klebe- und Verbundtechnik ist das Besondere", sagt Cordes. "Sie gibt dem Turm die Stabilität, sie macht ihn so extrem belastbar." Es sei nicht einfach gewesen, die Behörden von der Konstruktion zu überzeugen, doch nach vielen Tests und dem Bau einer 22 Meter hohen Musteranlage seien alle Hürden genommen. Auch die Frage nach dem Brandschutz sei geklärt.
Timber-Tower garantiert für seine Windkraft-Türme eine Betriebszeit von 40 Jahren. "Stahl ermüdet in der Regel bereits nach 25 Jahren und muss dann ausgetauscht werden", sagt Cordes. "Wenn erst mal alles läuft, werden wir mit unseren Türmen einen Tick unter den Preisen für Stahlkonstruktionen liegen", sagt Holger Giebel. Als Baumaterial werde ausschließlich Holz aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung genommen – bis zu 1000 Kubikmeter pro Turm. Der Bau komme damit der lokalen Bau- und Holzwirtschaft zugute.
"Inzwischen zeigt ganz Holzbau-Deutschland Interesse an unserem Turm", sagt Ulf Cordes. Und nicht nur das: Für morgen haben sich Bundesumweltminister Peter Altmaier und Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister zum Baustellenbesuch angesagt.
Weniger Interesse an dem einmaligen Projekt zeigten seinerzeit die Kommunalpolitiker in Schwanewede. Die Mitglieder des Planungsausschusses fanden die Idee für einen Holzturm zwar ganz interessant. Doch sie lehnten 2010 den Bauantrag ab. Das angepeilte Grundstück liege nicht auf der für Windkraftanlagen vorgesehenen Fläche. Und eine Ausnahme wollten sie nicht machen: "Zu bedenklich."