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Christina Jantz-Hermann über Tierschutz "Manchmal hilft nur schwarzer Humor"

Christina Jantz-Hermann aus Schwanewede ist stellvertretende Ortsamtsleiterin in Vegesack. In Berlin arbeitet die Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion in den Ausschüssen für Ernährung und Landwirtschaft und Recht und Verbraucherschutz mit.
26.04.2016, 00:00 Uhr
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Christina Jantz-Hermann aus Schwanewede arbeitet als Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion in den Ausschüssen für Ernährung und Landwirtschaft und Recht und Verbraucherschutz mit. Patricia Brandt und Michael Brandt sprachen mit ihr über das Thema Tierschutz und Nahrungsmittelindustrie.

Frau Jantz-Herrmann, mögen Sie Fleisch?

Christina Jantz-Hermann: Nein, ich esse vegetarisch. Das habe ich aber auch schon getan, bevor ich Tierschutzbeauftragte der SPD-Fraktion im Bundestag geworden bin.

Vor zwei Jahren haben Sie im Interview angekündigt, etwas gegen die Enthornung junger Kühe und das Kupieren und Kastrieren von Schweinen ohne Betäubung tun zu wollen, auch gegen das Abschneiden von Schnäbeln. Was haben Sie bis jetzt erreichen können?

Es ist schwierig. Was ich sagen muss ist, dass wir aufgrund des Widerstandes der Union auf gesetzlicher Ebene bisher noch nichts erreicht haben bei den von Ihnen genannten Themen. Bundesweit. Was es aber schon gibt, ist eine Vereinbarung mit den Geflügelzüchtern, dass sie auf das Kürzen von Schnäbeln verzichten. Wir werden jetzt zusammen mit dem Landwirtschaftsministerium ganz genau beobachten, ob diese Vereinbarung eingehalten wird.

Handelt es sich um eine freiwillige Verpflichtung?

Ja, weil die Geflügelzüchter gemerkt haben, dass der Druck so groß ist und sie, wenn sie nicht selbst voranschreiten, eine gesetzliche Auflage bekämen.

Der öffentliche Druck auf die Industrie wächst. Steigt auch das Interesse der Verbraucher am Tierschutz?

Ja, das ist ein Thema, das bewegt, und immer mehr Leute lehnen schlechte Haltungsbedingungen ab. Was in der weiteren Konsequenz fehlt ist aber, dass die Konsumenten dies durch ihr Einkaufsverhalten auch deutlich machen. Wenn man Kunden vor der Ladentür fragt, was für Fleisch wollt ihr kaufen? Von welchen Hühnern soll es sein? Dann bekommt man natürlich die Antwort, die Schnäbel sollen nicht gekürzt sein. Und wenn man hinterher guckt, was tatsächlich im Einkaufswagen landet, dann sind es eben doch genau solche Produkte.

Das hieße im Umkehrschluss, man dürfte Abgepacktes aus dem Regal nicht mehr kaufen, weil nicht klar ist, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten wurden.

Das ist eins der Probleme, die Erkennbarkeit, das sogenannte Labeling. Zum anderen gibt es die Initiative des Handels und Bauernverbandes, die Tierwohlinitiative, die den Standard insgesamt ein bisschen anheben will. So kann der Verbraucher zumindest sicher sein, dass das Gros des Fleisches in Ordnung ist.

Weil die Hersteller merken, dass sie sonst Akzeptanzprobleme bekommen?

Richtig, und mittlerweile bemerken es auch die Einzelhändler. Ich habe beispielsweise mit einem Vertreter von Aldi-Süd ein Gespräch in Berlin geführt. Das Unternehmen will eine Offensive starten. Es will gucken, wo das Fleisch herkommt und dies entsprechend bewerben. Das sorgt natürlich auch innerhalb des Marktes für Spannungen. Bisher ist der Verbraucher davon ausgegangen, dass er, wenn er zu Rewe geht, zu Edeka geht, ein potenziell besseres Stück Fleisch bekommt, als wenn er zu Lidl, Aldi und so weiter geht. Wenn Aldi jetzt aber seinen Standard anhebt und das entsprechend bewirbt, dann müssen die anderen natürlich mitziehen. Es sind mehrere Hebel, an denen man ansetzen muss.

Sie haben auch angekündigt, dafür zu sorgen, dass nur noch gesunde Hühner in Schlachtereien gelangen. Was ist aus diesem Plan geworden?

Bei den Schlachthöfen werden die Tiere nach bestimmten Indikatoren beurteilt. Um zu gucken, wie die Hühner gehalten worden sind, werden zum Beispiel die Fußballen angeguckt. Verletzte Ballen sind ein Indikator für schlechte Haltungsbedingungen. Wir sagen, dass das, was bisher passiert, nicht ausreicht. Bei Schweinen muss man beispielsweise auch die Lungen angucken. Bei Schweinen sind die Lungen ein guter Indikator, weil sie aufgrund ihrer Haltungsbedingungen häufig an Atemwegserkrankungen leiden. Wir haben jetzt eine Menge Geld in die Forschung gegeben und mehrere Indikatoren identifiziert. Bei Puten und Hühnern muss man sich eigentlich auch das Gefieder und die Brust angucken. Häufig ist es nämlich so, dass die Tiere so schnell gemästet werden, dass sie vornüber kippen und dadurch Druckstellen an der Brust bekommen.

Und wie lange wird es noch dauern, bis tatsächlich nur noch gesunde Tiere in Schlachtereien ankommen?

Sehr lange. Weil die Tiere mittlerweile unter industriellen Bedingungen produziert werden. Es bedarf deshalb eines Systemwechsels und einer größeren Anstrengung, die Finanzierung umzusteuern.

Der CSU-Agrarminister Schmidt geht davon aus, dass 2017 keine männlichen Küken mehr geschreddert werden. Mithilfe eines wissenschaftlichen Verfahrens soll das Geschlecht schon vor dem Ausbrüten erkannt werden, sodass männliche Küken gar nicht erst schlüpfen. Wie realistisch ist es, dass ab kommendem Jahr keine Küken mehr getötet werden?

Ich hoffe, dass der Minister recht behält. Wir geben sehr viel Geld in diese Forschung. Es ist zwar heute schon technisch möglich, das Geschlecht zu erkennen. Aber man muss das Verfahren so gestalten, dass es industriell einsetzbar ist. Es müssen jährlich 90 bis 100 Millionen Eier untersucht werden. Ich finde aber, dass dieses Verfahren nicht mit der Ideologie aufräumt, die dahintersteckt. Dass nämlich ein Teil der Eier aussortiert wird. Jedes Mal, wenn ich in Berlin am Rednerpult stehe, sage ich immer, das kann nur eine Brückentechnologie sein. Wir reden heute vom Zweinutzungshuhn – was Eier legt und was man mästen kann. Früher war das übrigens mal ein ganz normales Huhn. Ich sehe bei dem Thema auch die ethische und moralische Vorstellung, die wir haben müssen, wie wir mit Lebewesen umgehen, die wir hinterher auf unserem Teller haben.

Jedes sechste Huhn und jede dritte Pute in Deutschland wird mit Antibiotika behandelt. Dürfen wir überhaupt noch Fleisch essen?

Ja, dürfen wir. Ich würde niemals jemandem verbieten, Fleisch zu essen. Aber ich finde, wir müssen Fleisch bewusster konsumieren. Was das Problem mit Antibiotika betrifft: Bisher wurde die Landwirtschaft ein Stück weit stigmatisiert. Wir wissen aber mittlerweile, dass viele resistente Keime in den Ställen aus der Humanmedizin kommen. Von daher wird es jetzt eine Minimierungsstrategie geben von beiden Bereichen zusammen, Landwirtschaft und Humanmedizin. Das Problem hört nicht auf, wenn man Antibiotika verbietet. Und ich finde auch, dass kranke Tiere behandelt werden müssen.

Sie schlagen vor…

Die Haltungsbedingungen müssen den Tieren angepasst werden und nicht umgekehrt. Wenn zum Beispiel Schweine mehr Platz und einen Auslauf ins Freie haben, dann ist das Erkrankungsrisiko geringer. Antibiotika nur zu verbieten, greift zu kurz. Genauso ist es leider Praxis, die Schwänze bei Schweinen abzuschneiden. Diese fressen sich die Tiere gegenseitig ab, wenn sie dicht gedrängt auf engem Raum leben. Ein bloßes Verbot macht keinen Sinn. Es müssen stattdessen mehr Platz und Beschäftigung für die Schweine her. Dann muss man sich aber auch überlegen, wie man das Ganze finanziert, weil man nicht möchte, dass alle Bauern ihre Betriebe aufgeben müssen. Denn der Schweinepreis verfällt sowieso schon.

Der Verbraucher will aber günstig einkaufen.

Die Verbraucher kaufen günstiger, weil man ihnen suggeriert, dass es gute Ware ist. Von daher bin ich ein Fan davon, in der Ladentheke auszuweisen, um was für Fleisch es sich handelt. Wir hätten aber auch die Möglichkeit, umzusteuern, und die Landwirte nicht mehr nach Fläche, sondern nach Leistung etwa unter Tierschutzaspekten zu subventionieren. Das ist aber auch ein Ringen mit dem Koalitionspartner. Denn hier hält der Bauernverband wirklich dagegen.

Geht Tier-, Umwelt und Naturschutz also letztlich doch nur gegen Landwirte?

Es geht auch mit. Interesse ist schon da. Und: Wir brauchen die Landwirtschaft ja auch einfach.

Das alte Bild – geschützte Fläche kann landwirtschaftlich nicht genutzt werden – scheint aber noch in den Köpfen vieler Landwirte zu sein. In Ihrem Wahlkreis Osterholz fühlen sich die Landwirte gerade erheblich eingeschränkt, weil 10 000 Hektar Fläche als Natur- und Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen werden sollen.

Es hilft, darüber zu reden. Klarzustellen, was haben wir an EU-Vorgaben und welche Möglichkeiten der Bewirtschaftung habt ihr Landwirte dann auch weiterhin. Auf der anderen Seite muss man sich auch ehrlich anhören, wenn etwas schiefläuft. Das beste Beispiel war der Entwurf zum Raumordnungsprogramm zur Renaturierung des Moores, wo einfach der Entwurf überdreht war – zulasten der Landwirte.

Fragen zur geplanten Neuzulassung des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat mögen Sie offensichtlich nicht so gerne beantworten. Im Internetportal abgeordnetenwatch.de haben Sie kritische Fragen eines Bürgers mit Verweis auf den Wahlkreis nicht beantwortet. Wie stehen Sie zur Neuzulassung eines Mittels, das eventuell Krebs erregend wirkt?

Es ist häufig so, dass Bürger viele Politiker gleichzeitig anschreiben, deshalb haben wir die Verabredung innerhalb meiner Fraktion, dass nur einer die Frage beantwortet. Und zwar der, aus dessen Wahlkreis der Fragensteller stammt. Glyphosat ist aber, ohne Frage, ein ganz schwieriges Thema. Es wird gerade bei solchen Themen viel Angst geschürt. Wenn wir uns angucken, was das Bundesamt für Risikobewertung dazu gesagt hat, ist es so, dass die nachgewiesenen Mengen unterhalb der Grenzwerte liegen. Bei der Frage der EU-weiten Neuzulassung sind wir noch in der Diskussion. Es zeichnet sich hinter den Kulissen ein Weg ab. Wir wissen, die Landwirtschaft braucht so ein Mittel, aber wir können es nicht für weitere 15 Jahre zulassen, sondern vielleicht nur noch für fünf Jahre.

Obwohl auch die Weltgesundheitsorganisation WHO vor dem Mittel warnt?

Ja, man muss aber sehen, dass es auch an der WHO-Studie Kritik gibt. Und wir kommen schwerlich an dem Gutachten des Bundesinstituts vorbei.

Wissenschaftler schlagen Alarm, dass Mikroplastik Lebensmittel verunreinigt. Das Bundesumweltamt hat dazu erklärt, Forschungsaufträge zum Thema vergeben zu haben. Dauert das nicht alles viel zu lang?

Ja, das dauert, manchmal hat man auch das Gefühl, es dauert zu lange. Aber aus einem Affekt heraus, etwas zu verbieten, finde ich falsch. Mit den Mikroplastiken haben wir ein wirkliches Problem. Das taucht nicht nur erst jetzt im Honig auf. Manchmal helfen wir uns mir schwarzem Humor. Von daher scherzen wir im Landwirtschafts- und Ernährungsausschuss auch manchmal, dass wir eigentlich gar nichts mehr essen dürfen.

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