Ruhe in der Natur, das schätzen Zehntausende Angler in Niedersachsen an ihrem Hobby. Nur: Um die nötige Ruhe ist es derzeit schlecht bestellt, die Angler sind sauer auf Behörden und Politik. Denn bald könnte Schluss mit dem Angeln sein.
Ruhe in der Natur, das schätzen Zehntausende Angler in Niedersachsen an ihrem Hobby. Nur: Um die nötige Ruhe ist es derzeit schlecht bestellt, die Angler sind sauer auf Behörden und Politik. Ihr Verband spricht von einem „Schlag ins Gesicht“. Die Gegenseite sieht dagegen einen Sturm im Wasserglas und beruhigt.
Die Angler fürchten: Wenn es so kommt, wie es die Behörden schon schwarz auf weiß empfehlen, dann könnte in Niedersachsen Schluss sein mit dem Angeln an Hunderten Fließgewässer-Kilometern – von Teilen der Ems über die Leine bei Hannover bis hin zur Elbe. Mehr noch: Auch an Seen drohen Verbote, Taucher und Kanufahrer müssten ebenfalls bangen.
In bestimmten, besonders naturnahen Fluss- und Bachstrecken soll im EU-weiten Schutznetz Natura 2000 kein Fischen mehr erlaubt sein. Das träfe die Hobby-Angler. Zudem soll ihnen auch an bestimmten Seen in Schutzgebieten das Nachtangeln und Fischeanfüttern untersagt werden. Der Anglerverband Niedersachsen (AVN) spricht von „hochgradig bedrohlichen Verbotsszenarien“. AVN-Präsident Werner Klasing schlägt Alarm: Eine 1:1-Umsetzung der Empfehlungen, die den Kreisen Planungsarbeit erleichtern soll, würde „das Aus zahlreicher kleiner Angelvereine in Niedersachsen bedeuten“.
Klasing hält die für Angler relevanten Empfehlungen aus dem Papier für fachlich nicht haltbar und fragt: „Warum wird so plötzlich ein derart massiver Druck auf die Angler ausgeübt?“ Das Papier müsse weg. „Natur- und Artenschutz und das Angeln schließen sich nicht aus – ganz im Gegenteil“, sagt er. Was ihn besonders auf die Palme bringt: Die Angler hätten oftmals mit ihrer Arbeit das Ausweisen von Schutzgebieten überhaupt erst ermöglicht. Nun seien sie der Buhmann.
So setzten allein in der Leine Angler in den vergangenen 15 Jahren ehrenamtlich eine Million Lachse aus. In Bächen wurden Kiesbetten angelegt, in denen der ausgestorbene Fisch wieder laichen soll.
„Angeln ist aktiver Naturschutz“, sagt Robert Arlinghaus vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Er forscht an der Nahtstelle der sozialen, ökonomischen und biologischen Dimensionen der Angelfischerei. „Statt die Angler zu beschränken, sollte der Schulterschluss angestrebt werden, weil Angler wichtige Alliierte beim Gewässerschutz sind“, sagt Arlinghaus.
Nach seiner Überzeugung hält das Arbeitspapier keiner Überprüfung stand. So sei etwa das Anfütterungsverbot wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen, und es sei generell schwer nachvollziehbar, einzelne Nutzergruppen in Naturschutzgebieten selektiv einzuschränken.
Kern des Streits ist die 22-seitige „Arbeitshilfe Natura 2000“. Sie kommt von Experten der Naturschutzverwaltungen in den Landkreisen und von Fachleuten des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Von dort heißt es, es gehe nur um ein grundsätzliches Gerüst, das durch eine Einzelfallprüfung vor Ort ergänzt werden müsse. In der Regel dürfe aber das Freizeitangeln wohl kaum stören.
Bei der Planung hätten die Angler mehrere Möglichkeiten, sich einzubringen und die individuellen Schutzvorgaben mitzubestimmen. Aus dem Ministerium heißt es, das Land empfehle vor Erlass neuer Satzungen eine sorgfältige Beratung auch mit den örtlichen Fischereiverbänden. Von einem pauschalen Nachtangel- oder Fütterungsverbot könne keine Rede sein.
Als kommunaler Spitzenverband gibt der Niedersächsische Landkreistag NLT das Papier heraus. Dessen Chef Hubert Meyer warnt vor einer Überbewertung. Die Arbeitshilfe habe empfehlenden Charakter, sie sei nicht in Stein gemeißelt und offen für Anpassungen. „Das Engagement von Anglern und ihren Verbänden für den Naturschutz ist dem NLT bekannt und wird als wertvoll angesehen“, sagt Meyer. Dennoch könne es je nach Einzelfall bei bestimmten Natura-2000-Gebieten nötig sein, „dass eine eingeschränkte fischereiliche Nutzung angezeigt ist“.
Das Papier zielt auch auf die Kanufahrer ab, die nur noch in engen Zeitfenstern aufs Wasser sollen. Der Landes-Kanu-Verband LKV reagiert bestürzt: „Pauschale tageszeitliche Festlegungen, die sich nicht an den konkreten Besonderheiten der Lebensräume von Flora und Fauna des jeweiligen Gewässers orientieren, sind aus Sicht des LKV Niedersachsen rechtlich sehr fragwürdig“, schreiben LKV-Präsident Albert Emmerich und sein Kollege Ulrich Clausing vom Deutschen Kanu-Verband. Sport genieße in Niedersachsen Verfassungsrang, was mit den pauschalen Verboten völlig missachtet werde. „Es ist auch nicht verständlich, warum der Niedersächsische Landkreistag ein Papier ohne Einbindung der Betroffenen erarbeitet“, argumentieren die beiden.
Auch sie appellieren, das NLT-Papier zurückzuziehen und gemeinsam mit Betroffenen an Formulierungen zu arbeiten, die gleichermaßen Belange von Naturschutz und Natursport berücksichtigen. Auch Taucher sind betroffen. Ihr Sport soll in den Schutzgebieten nicht mehr möglich sein, lautet im Behördendeutsch die „allgemeine Festsetzung“.