Bremen. Eigentlich fing das Jahr ganz normal an für Mansur Faqiryar. Der 27-Jährige stand im Tor des VfB Oldenburg, und der belegte am Ende der vergangenen Saison den zehnten Platz in der Regionalliga Nord. Danach aber ging es Schlag auf Schlag.
Im August stand Faqiryar im Tor, als die afghanische Nationalmannschaft gegen Pakistan zum ersten Länderspiel auf heimischem Boden seit zehn Jahren antrat. Einen Monat später gewann er mit Afghanistan den Südasien-Pokal (2:0 im Finale gegen Indien), auch dank seiner zwei gehaltenen Strafstöße im Halbfinale gegen Nepal (1:0).
Danach wurde Mansur Faqiryar, der Kabul bereits im Alter von einem Jahr in Richtung Bremen verlassen hatte, als Nationalheld gefeiert – und erhielt wie die Teamkollegen von Präsident Hamid Karsai ein eigenes Apartment in der Hauptstadt. Stefan Freye sprach mit dem Torhüter über ein bewegtes Jahr.
Herr Faqiryar: Sie befinden sich gerade auf dem Weg nach Afghanistan. Was wird Sie in Kabul erwarten?
Mansur Faqiryar: Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Ich freue mich einfach wieder auf Afghanistan, meine Landsleute und meine Familie. In Afghanistan leben viele Verwandte und Bekannte, unter anderen meine geliebte Großmutter, diverse Tanten und Onkel.
In Norddeutschland sind Sie Leistungsträger beim VfB Oldenburg, und nach einer tollen Hinrunde in der Regionalliga können Sie sich sicher sehen lassen in unserer Region. Aber Kabul scheint doch eine ganz andere Erfahrung, eine Art Kulturschock im positiven Sinn. Wie gehen Sie damit um?
Wie jeder andere damit auch umgehen würde, ich habe es genossen und genieße es auch jetzt. Ich weiß, dass das Fußballerleben aus verschiedensten Gründen sehr schnell vorbei sein kann. Die Erfahrungen und Erlebnisse, die ich erleben durfte, kann mir jedoch keiner mehr nehmen. Diese Freude nach unseren Erfolgen, den Stolz meiner Landsleute – dafür danke ich dem Allmächtigen.
Kann jemand in Deutschland überhaupt nachvollziehen, welche Bedeutung die Erfolge der Nationalmannschaft in Afghanistan haben?
An dieser Stelle muss ich ein großes Dankeschön an alle aussprechen. Ich hätte nicht erwartet, dass unser Sieg ein solch globales Echo erzeugen kann. Insbesondere hierzulande. Viele Gesprächspartner verglichen unseren Sieg mit dem WM-Sieg der Deutschen Nationalmannschaft 1954 in Bern. Wir sind, in Anführungsstrichen, nur Südasienmeister, deswegen ist der Vergleich etwas übertrieben. Aber wenn dies bedeuten würde, dass Afghanistan den gleichen wirtschaftlichen Aufschwung erleben darf, wie die Bundesrepublik, kann ich damit gut leben.
Sie treten mit drei, vier weiteren Spielern aus der 4. und 5. Liga Deutschlands an. Wie setzt sich das Team ansonsten zusammen?
Der größte Teil des Teams sind Einheimische. Dazu gesellen sich in der Regel ein Norweger, zwei US-Amerikaner, wovon einer gerade–- mit zwei weiteren Afghanen – beim FC Mumbai in Indien spielt. Der Anteil von Spielern aus dem Ausland steigt stetig.
Und wie haben Sie dann vor rund einem Jahr als Mannschaft zusammengefunden?
Mit dem Zusammenfinden ist das eine Sache für sich. Die komplette Mannschaft trifft sich in der Regel einige Tage vor Spielen und Turnieren direkt am Austragungsort. Viel Zeit zum Einspielen bleibt da nicht. Es geht in erster Linie darum, die Reisestrapazen abzuschütteln, die örtlichen Bedingungen anzunehmen und Fußball zu spielen.
Welches Ziel hat die Nationalelf Afghanistans? Kann diese Mannschaft die Erfolge dieses Jahres noch toppen?
Sich stetig zu verbessern. Sportlich kann man sicherlich größere Erfolge erzielen. Ob man jedoch die Erlebnisse und Erfahrungen im zwischenmenschlichen Bereich übertreffen kann, wage ich zu bezweifeln.
Auch mit dem VfB Oldenburg wird es wohl schwierig, die starken Leistungen und den zweiten Platz nach der Hinrunde der Regionalliga noch zu überbieten?
De facto sind wir in der Tabelle Zweiter. Besser wäre nur der Platz an der Sonne. Ich werde aber nicht so vermessen sein, die Meisterschaft als Ziel auszugeben. Für uns wäre es schon ein großer Erfolg, unsere Leistungen der Hinrunde zu bestätigen. Wir denken von Spiel zu Spiel und sind damit gut gefahren.
Neben Leistungsträgern wie Ihnen, Addy Waku-Menga oder Nils Laabs gilt Trainer Alex Nouri als ein Erfolgsfaktor des VfB. Wie hat er aus dem VfB ein Spitzenteam geformt?
Sicherlich hatte der eine mehr, der andere weniger Einsatzzeiten, entscheidend für unseren Erfolg ist jedoch unser Teamgeist, der Zusammenhalt der Truppe. Dazu zählt der gesamte Kader inklusive Trainer.
Täuscht der Eindruck oder hat dieser junge Trainer Ihr Team auch durch seinen Enthusiasmus angesteckt?
Ich habe das Glück, mit ihm arbeiten zu dürfen, und sehe sein Engagement und seinen Ehrgeiz. Sie sind in der Tat ansteckend. Er hat eine eindeutige Philosophie und ist sehr detailbewusst. Viel wichtiger finde ich allerdings, dass er es Woche für Woche schafft, die richtigen Worte zu wählen, um die Ziele des Teams und den Teamgedanken immer in den Vordergrund zu stellen, dabei aber trotzdem jeden anzusprechen.
Insofern ist der VfB ein Beispiel dafür, was alles drin ist mit dem nötigen Teamgeist?
Richtig. Ich bin davon überzeugt, dass man mit einem vorhandenen Teamgeist bessere Ergebnisse erzielen kann als ohne.
Wohin führt der Weg in dieser Saison?
Wir können auf das bisher Geleistete stolz sein. Entscheidend wird sein, wie wir aus der Winterpause starten. Gelingt es uns, ähnliche Leistungen wie in der Hinrunde abzurufen, werden wir nichts mit dem Abstiegskampf zu tun haben.
Das klingt sehr bescheiden, denn eigentlich sollte der VfB doch an der Spitze mitmischen. Aber käme ein Aufstieg in die 3. Liga angesichts des Oldenburger Umfelds – etwa einem Marschwegstadion ohne Flutlicht – überhaupt in Betracht?
Das ist – Gott sei Dank – nicht mein Aufgabenbereich. Diese Frage müssen Sie anderen Personen oder Einrichtungen stellen.
Und wie geht es mit Ihnen weiter? Ist auch eine Zukunft in Kabul denkbar?
Inzwischen kann ich mir alles vorstellen, wobei ich mich in Bremen und Oldenburg sehr wohl fühle und im Norden heimisch bin.