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Delmenhorst Azadzoy – afghanischer Volksheld

Im Grunde bietet die Geschichte besten Stoff für die große Leinwand. Da gibt es diesen jungen Fußballer, der davon träumt, für sein Heimatland zu spielen. Per E-Mail flattert eines Tages tatsächlich die Einladung vom Nationaltrainer ins Haus, das Debüt folgt wenig später. In kürzester Zeit wird der Neue zur festen Größe, schießt sein erstes Tor, gewinnt den ersten Titel. Zugegeben: Das Ganze klingt abgedroschen, hat sogar einen gewissen Hang zum Kitsch. Es ist nur so, dass der Afghane Mustafa Azadzoy aus Delmenhorst diese Geschichte im Jahr 2013 exakt so erlebt hat.
31.12.2013, 00:00 Uhr
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Von Daniel Cottäus

Im Grunde bietet die Geschichte besten Stoff für die große Leinwand. Da gibt es diesen jungen Fußballer, der davon träumt, für sein Heimatland zu spielen. Per E-Mail flattert eines Tages tatsächlich die Einladung vom Nationaltrainer ins Haus, das Debüt folgt wenig später. In kürzester Zeit wird der Neue zur festen Größe, schießt sein erstes Tor, gewinnt den ersten Titel. Zugegeben: Das Ganze klingt abgedroschen, hat sogar einen gewissen Hang zum Kitsch. Es ist nur so, dass der Afghane Mustafa Azadzoy aus Delmenhorst diese Geschichte im Jahr 2013 exakt so erlebt hat.

Es ist Ende Dezember, und im Hause Azadzoy läuft der Fernseher. Bunte Bilder flackern ins Wohnzimmer, der Ton ist leise gedreht. In diesem Augenblick gibt es schließlich Wichtigeres. Viel Wichtigeres. Mustafa Azadzoy sitzt neben seiner Mutter auf dem Sofa, und beide unterhalten sich. Reden über das, was dem Sohn im bald endenden Jahr 2013 alles widerfahren ist. Immer wieder schüttelt Mustafa dabei den Kopf. Lächelt. Es ist ein Moment, von dem der 21-Jährige später sagen wird, dass ihm dort auf der heimischen Couch etwas bewusst geworden ist: „Besser hätte es für mich nicht laufen können.“

Um es gleich vorweg zu nehmen: Mustafa Azadzoy ist im September 2013 mit der Fußball-Nationalmannschaft Afghanistans Südasienmeister geworden und genießt in der Heimat seitdem den Status eines Volkshelden. Erst im Februar hatte der Delmenhorster seine erste Nominierung erhalten, erst im März sein Debüt gefeiert. Was sagt es da über den Charakter eines jungen Menschen aus, wenn er, gefragt nach seinen größten Erfolgen im Jahr 2013, die Aufzählung mit dem bestandenen Führerschein und der Aufnahme an der Universität beginnt? Zumindest das: Mustafa Azadzoy ist bescheiden geblieben. Genauso bescheiden, wie er es schon im Februar war, als das öffentliche Interesse an ihm praktisch über Nacht geweckt wurde. Am Anfang dieser Geschichte steht zunächst aber eine E-Mail. Eine einfache E-Mail, die bereits im Sommer 2012 ihren Weg in das Postfach von Mustafa Azadzoy fand.

Eine E-Mail, die alles verändert

In äußerst schlicht gehaltenem Ton, so berichtete der Fußballer später, teilte ihm Mohommad Yousef Kargar damals mit, dass er ihn sehen will. Auf der Suche nach potenziellen Verstärkungen für die Nationalmannschaft Afghanistans war der Trainer auf Azadzoy aufmerksam geworden und lud ihn zum nächsten Lehrgang für Perspektivspieler in den amerikanischen Bundesstaat Virginia ein. Azadzoy flog hin und war am Ende einer von nur fünf Akteuren, die Kargar nachhaltig überzeugt hatten und zu einem zweiten Lehrgang nach Dubai gebeten wurden – womit wir im Februar 2013 angekommen wären: Bei der Rückkehr von seiner zweiten Reise hatte Azadzoy die offizielle Nominierung für sein erstes Länderspiel im Gepäck.

„Es ist mir eine Ehre, für mein Land Fußball spielen zu dürfen“, sagte er damals. Bruder Dariusch hatte die Öffentlichkeit auf den angehenden Nationalspieler aufmerksam gemacht, Mustafa selbst war in der Folge sehr daran gelegen, auf die schwierige Situation in seiner Heimat hinzuweisen. 1993 hatten die Azadzoys Afghanistans Hauptstadt Kabul verlassen und waren über die Station Hamburg nach Delmenhorst geflüchtet. Seit er sich erinnern kann, verfolgt der 21-Jährige die Situation in seinem Geburtsland. „Es ist sehr traurig, was dort passiert“, betonte er kurz nach seiner ersten Nominierung und berichtete von einer besonderen Begegnung während des Lehrgangs in Dubai. Salim Kohestani, der schnelle Linksaußen der Nationalmannschaft, hatte vor einigen Jahren vier Finger seiner linken Hand im Krieg verloren. „Trotzdem spielt er sehr gut Fußball“, sagte Azadzoy – und betonte: „Der Sport ist eine Chance, aus dem ganzen Schlamassel herauszukommen.“

Sein erstes Länderspiel bestritt der Delmenhorster Anfang März in Laos gegen Sri Lanka. Am 20. August stand er während des ersten Heimspiels der Afghanen seit über zehn Jahren in der Startelf und feierte mit seinem Land in Kabul einen 3:0-Erfolg über Pakistan. Kriegswirren und Terrorgefahr hatten zuvor Jahre lang dafür gesorgt, dass die Nationalelf praktisch heimatlos nur in der Fremde antreten konnte. „Der Sport gibt den Menschen Hoffnung. Wenn ich sehe, wie viel Leid im Land herrscht, motiviert mich das noch mehr, alles zu geben“, betonte Azadzoy, dessen größter Triumph im September erst noch folgen sollte. In der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu gewann Afghanistan erstmals die Südasienmeisterschaft. Das erste Tor während des 2:0-Finalsieges gegen Indien schoss: Mustafa Azadzoy. Bereits in der Vorrunde hatte er gegen Bhutan seinen ersten Treffer im Nationaldress erzielt. Nach dem Titelgewinn ging es nach Kabul, die Menschen feierten auf den Straßen, Präsident Hamid Karsai gratulierte persönlich.

All das lassen Mutter und Sohn im heimischen Wohnzimmer in Delmenhorst Revue passieren. Der Fernseher ist inzwischen lange ausgeschaltet.

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