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Stolperstein für Christine Sauerbrey verlegt / Seelisch kranke Gröpelingerin 1941 von den Nazis ermordet „Das hätte meiner Oma bestimmt gefallen“

Der Künstler Gunter Demnig hat jetzt einen Stolperstein zum Andenken an Christine Sauerbrey verlegt. Das Opfer der „Euthanasie“ wurde in Hadamar ermordet. Viele Nachfahren waren dabei.
17.10.2013, 00:00 Uhr
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„Das hätte meiner Oma bestimmt gefallen“
Von Jan Raudszus

Der Künstler Gunter Demnig hat jetzt einen Stolperstein zum Andenken an Christine Sauerbrey verlegt. Das Opfer der „Euthanasie“ wurde in Hadamar ermordet. Viele Nachfahren waren dabei.

Ein Strauß Rosen begleitete jetzt die Verlegung einer kleinen Messingplatte vor dem Haus Nummer 15 an der Karl-Bröger-Straße in Gröpelingen. Hinter allen Stolpersteinen des Kölner Künstlers Gunter Demnig stehen dramatische Schicksale. Trotzdem ist der Stein etwas besonderes. Er erinnert an die in Hadamar ermordete Christine Sauerbrey.

Barbara Johr, die bei der Landeszentrale für politische Bildung das Projekt Stolpersteine leitet, war sichtlich beeindruckt von den vielen Menschen, die sich für die Verlegung des Steins versammelt hatten. Mehrfach versagte ihr die Stimme. „Das ist der erste Stein für ein Opfer der ,Euthanasie’, den wir verlegen, weil die Angehörigen das wollen“, sagte sie. Und das, obwohl es seit 2004 Stolpersteine in Bremen gibt. Für 409 Bremer „Euthanasieopfer“, die von den Nazis ermordet wurden, gibt es aber bisher gerade einmal 30 Stück. „Bei vielen Familien ist es immer noch ein Tabuthema, wenn ein Familienmitglied der ,Euthanasie’ im Dritten Reich zum Opfer gefallen ist“, sagte Barbara Johr.

Viele Nachfahren kamen

Anders die Verwandten von Christine Sauerbrey. Fast 20 Leute hatten sich eingefunden, um an ihre Vorfahrin zu erinnern. Eine Enkelin von Christine Sauerbrey, die in Essen lebende Traute Konietzko, trug die Lebensgeschichte ihrer Großmutter vor.

Christine Sauerbrey wurde in der „Tötungsanstalt Hadamar“ vermutlich am 16. Juni 1941 zusammen mit 120 anderen Menschen vergast. Die Einrichtung diente als Vernichtungsanlage der sogenannten „Aktion T4“, der Ermordung von mehr als 70000 Menschen mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen.

Christine Sauerbrey wurde am 24. September 1889 in Gröpelingen geboren. In ihrer Jugend erlebte sie die dramatischen Veränderungen im späteren Stadtteil von Bremen. Durch die Ansiedelung der AG Weser zogen viele Arbeiter in den Vorort und veränderten ihn grundlegend. Auch Christine Sauerbreys Mann, Johann Hermann Sauerbrey, den sie mit 18 heiratete, war Dreher auf der Werft. Das Paar bekam insgesamt vier Töchter.

Der Ehemann wurde für den Ersten Weltkrieg nicht eingezogen, da er für die AG Weser unentbehrlich war. Politisch links aktiv, wurde er nach der Niederschlagung der Räterepublik in Bremen von der Polizei gesucht und tauchte unter. Die Belastung durch polizeiliche Verfolgung, finanzielle Probleme, Unsicherheit durch die Abwesenheit des Ehemanns und die schwere Arbeit, die Christine Sauerbrey für den Unterhalt ihrer Familie auf der Werft leisten musste, ließen sie den Recherchen der Familie zufolge schließlich erkranken. Sie wurde depressiv, manchmal aggressiv und äußerte Wahnideen.

Anfang 1924 kam sie in eine Bremer Nervenklinik. Die Ärzte stellten die Diagnose Schizophrenie, ohne dass es dafür eine Behandlung gab. Ihr Mann ließ sich 1929 von ihr scheiden. Christine Sauerbrey wurde 1938 nach Lüneburg gebracht. Von dort ging es nach Anlaufen der „T4 Aktion“ in die „Landesheilanstalt Herborn“, einem sogenannten „Zwischenhalt“, und danach nach Hadamar. Die Familie erhielt eine Nachricht mit einem gefälschten Todesdatum und einer gefälschten Todesursache – Typhus. Bereits damals war die Familie misstrauisch. Die Krankenschwestern im Bremer Krankenhaus hatten eine Tochter gewarnt, es geschähen schlimme Dinge mit den Patienten. Sie solle ihre Mutter möglichst schnell nach Hause holen. Doch das war wegen der beengten Lebensumstände nicht mehr rechtzeitig möglich gewesen.

Es dauerte lange, bis die Familie erfuhr, was wirklich geschehen war. Traute Konietzko schilderte, wie ihre Mutter über das Schicksal der Großmutter kaum habe reden können. Den Stein ins Rollen gebracht hat eine Urenkelin, Heide Schnickmann aus Münster. Sie erkundigte sich bei der Gedenkstätte Hadamar, an welcher Krankheit Christine Sauerbrey gelitten hatte. Dort erfuhr sie, dass die Urgroßmutter ermordet worden war. Zusammen mit ihrem Mann recherchierte Traute Konietzko weiter. Sie besuchten alle Orte, an denen die Großmutter untergebracht war. „Als ich das erste Mal in Hadamar in dem Vergasungskeller war, musste ich rückwärts wieder rausgehen“, sagte Traute Konietzko, „aber beim zweiten Mal habe ich gedacht, das bin ich meiner Großmutter schuldig.“ Auf die Idee mit dem Stolperstein kam schließlich ihr Ehemann. Die beiden nahmen Kontakt mit Barbara Johr auf. Auch Heide Schnickmann fand die Idee gut: „Ich habe gedacht, das hätte meiner Oma bestimmt gefallen.“

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