Sie schuften auf Baustellen, waschen Teller in Restaurants oder ernten Zuckerrohr auf den Feldern. Arbeiter aus Haiti halten große Teile der Ökonomie der Dominikanischen Republik am Laufen. Knapp zehn Prozent der dominikanischen Erwerbsbevölkerung sind Haitianer oder deren Nachfahren.
Doch damit könnte schon Anfang dieses Monats Schluss sein, sollte die Regierung in Santo Domingo wie angedroht massiv Haitianer ohne Aufenthaltstitel in die Heimat abschieben. Wobei Heimat nicht das richtige Wort ist, denn die meisten, die von der Deportation bedroht sind, wurden in der Dominikanischen Republik geboren und kennen Haiti nur aus Erzählungen ihrer Eltern.
Aber diese Menschen dürfen nach einem Urteil des Verfassungsgerichts von 2013 keine Dominikaner mehr sein. Das Urteil entzieht all denjenigen rückwirkend die Staatsbürgerschaft, die zwischen 1929 und 2010 von Eltern nicht-dominikanischer Abstammung geboren wurden. Bis zu dem Entscheid galt das „Ius soli“ als Staatsbürgerschaftsrecht: Dominikaner war, wer im Land geboren wurde. In der Dominikanischen Republik leben offiziell rund 460 000 Haitianer. Geschätzten 200 000 von ihnen droht nun die Staatenlosigkeit und zwischen beiden Staaten hin- und her geschubst zu werden, die gemeinsam die Insel Hispaniola bilden.
Das Urteil betrifft laut der katholischen Hilfsorganisation Misereor vor allem die Nachkommen von Haitianern, die im letzten Jahrhundert für gering bezahlte Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen angeworben wurden und in meist großer Armut leben. „Das Urteil stürzt Menschen, die in der Dominikanischen Republik geboren sind, jahrzehntelang dort gelebt und gearbeitet haben, in die Illegalität“, warnt Misereor-Länderreferentin Barbara Küpper.
Haitianer sind zwar unentbehrlich für die dominikanische Wirtschaft. Aber sie sind bestenfalls geduldet, werden ausgebeutet und sind Ziel rassistischer Attacken. Die dominikanische Regierung schürt Ressentiments gegen die Menschen aus dem Nachbarstaat, und in Wahlkampfzeiten werben Politiker gerne damit, die Einwanderung aus Haiti zu stoppen.
Zwischen der Dominikanischen Republik und dem Nachbarland gibt es ein großes Wohlstandsgefälle. Haiti ist das ärmste Land der westlichen Hemisphäre, während die Dominikanische Republik mit ihrer Tourismusindustrie und dem Lohnveredelungssektor zwischen zweiter und dritter Welt pendelt. Die Geldüberweisungen haitianischer Arbeiter in die Heimat sind nach Angaben der Vereinten Nationen die viertwichtigste Devisenquelle der Armenrepublik. Jedes Jahr senden die haitianischen Migranten 1,3 Milliarden Dollar auf die andere Seite der Insel.
Bis Mitte Juni haben 270 000 haitianische Migranten Einbürgerungsanträge gestellt, bisher sind aber erst einige Hundert Aufenthaltstitel vergeben worden. Und aus Angst vor der Zwangsdeportation haben Tausende Menschen bereits in vorauseilendem Gehorsam das Land Richtung Haiti verlassen.
Der Premierminister des Landes, Evans Paul, warnte Ende Juni vor einer „humanitären Krise“. In einer Woche seien 14 000 Menschen nach Haiti eingereist – teilweise ausgewiesen, teilweise auf freiwilliger Basis. Aber das Land verfügt nicht über die Möglichkeiten, die Menschen angemessen aufzunehmen. Weder gibt es Unterkünfte, noch Jobs, noch genügend zu essen oder ausreichend Trinkwasser.
Die kirchliche Organisation „Kommission Justitia et Pax“ berichtet bereits von vereinzelten Zwangsdeportationen. Hauptsächlich Frauen und Kinder seien auf der Straße aufgegriffen worden und – wenn sie sich nicht ausweisen konnten – in Bussen über die Grenze gebracht worden, sagt Jocelyne Colas Noel vom haitianischen Büro der Organisation. „Viele waren noch nie in Haiti und finden dort keinen Ort, der ihnen Zuflucht bietet.“
Menschenrechtsorganisationen, die Europäische Union, die Karibik-Gemeinschaft Caricom und vor allem die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) warnen die Regierung in Santo Domingo vor massiven Deportationen und rufen beide Staaten dazu auf, das Problem im Dialog zu lösen.