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Bremen Pop ohne Verschweigen

Die Sterne sind mit Pathos immer ironisch gebrochen umgegangen. Existieren bei Ihnen anlässlich des 25-jährigen Bandbestehens nostalgische Gefühle?Frank Spilker: Aus protestantischer Sicht sind wir ja eigentlich höchst emotional! Immer schon gewesen. Andererseits: Unser Jubiläum ist auch so ein bisschen beliebig, das haben wir uns jetzt so ausgedacht und gesagt: Die erste Maxi nehmen wir.
22.01.2017, 00:00 Uhr
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Die Sterne sind mit Pathos immer ironisch gebrochen umgegangen. Existieren bei
Ihnen anlässlich des 25-jährigen Bandbestehens nostalgische Gefühle?

Frank Spilker: Aus protestantischer Sicht sind wir ja eigentlich höchst emotional! Immer schon gewesen. Andererseits: Unser Jubiläum ist auch so ein bisschen beliebig, das haben wir uns jetzt so ausgedacht und gesagt: Die erste Maxi nehmen wir. Irgendwann‚ 1991 oder 1992 haben wir uns gegründet – natürlich löst das nostalgische Gefühle aus.

Der Titel Ihres Jubiläumssamplers lautet „Mach‘s besser“. Dachten Sie bei mancher Version der covernden Kollegen: Die ist tatsächlich besser als unser Original?

Klar. Natürlich nicht ohne Augenzwinkern – es geht ja nicht ums Bessermachen. Kunst ist kein Wettrennen, das einer gewinnen kann – auch wenn das einem durch Systeme wie die Charts nahegelegt wird. Tatsächlich geht es aber ums Andersmachen. Das ist die Herausforderung: für Überraschung zu sorgen. Erst Unterhaltung schaffen, dann kann man auch eine Mission unterbringen.

Ähnlich lautete ja auch der Anspruch der Hamburger Schule. Ist dieser Popdiskurs der 90er-Jahre endgültig vorbei?

Die Themen sind alles andere als vorbei. Wir erleben gerade die Rückkehr in den Nationalismus, in die Abschottung – und den Verlust sicher geglaubter Fortschritte gesellschaftlicher Art.

Sie spielen auf AfD, Trump und Co. an …

Ja, obwohl ich nicht glaube, dass es eine große Rolle spielt, wie viele Leute in diesem Jahr die AfD wählen, weil die ohnehin schon diese Meinung haben. Das macht keinen Unterschied hinsichtlich der Haltung, die man überall hört und spürt. Anders ist, dass die Menschen am rechten Rand immer weniger außerhalb der Gesellschaft stehen. Das ist die Gefahr.

Und diese muss künstlerisch kommentiert werden?

Ich mache keinen Unterschied zwischen mir als Mensch und mir als Künstler, das lässt sich nicht trennen. Ich bin ja kein Politiker. Alle, die ich kenne, arbeiten gerade in irgendeiner Weise daran. Der Diskurs verschiebt sich allmählich nach rechts – ich hab mich auch schon Merkel verteidigen gehört auf Familientreffen. Viele Positionen in der bürgerlichen Gesellschaft sind inzwischen weit rechts davon.

Manche sagen, das ist gut für die Kunst …

Das ist ziemlich fatalistisch und zynisch. Den Leuten, die davon betroffen sind, ist die Kunst scheißegal. Erst kommt das Fressen, dann Moral, dann Kunst. Und wir ändern unsere Einstellung ja nicht – die historische Entwicklung gibt uns eher Recht in dem, was wir immer schon sagten. Gut ist höchstens, dass sich Bündnisse formieren, die es vorher nicht gegeben hätte. Das war ja bei der Hamburger Schule schon so, nach den Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991 etwa. Vorher hat man über ästhetische Differenzen diskutiert, danach ging es darum, wie man unbeschadet nach Ostdeutschland fahren kann, um dort Musik zu machen.

Und heute?

Die Grundsatzdiskussion ist nicht vorüber – nur die künstlerische Umsetzung ist eine andere. Muss sie aber auch sein, denn niemand hat Lust, sich über 30 Jahre lang dieselben Kommunikationsstrategien anzuhören. Ich würde für mich behaupten: Ich arbeite noch genauso, ich suche nur nach anderen Mitteln. Es gibt jede Menge Inspiration von Leuten, die sich politischer Themen auf eine künstlerische Weise annehmen, wie das die Hamburger Linken von damals nie gemacht haben.

Haben sich Die Sterne je als Vermittler
gesehen?

In unserer besten Zeit haben wir es mit der „Themenläden“-Platte 1997 wirklich geschafft, bestimmte Zeitgefühlthemen in den Mainstream zu bringen. Ich würde nicht „eingeschmuggelt“ sagen, wir sind ja keine Guerillas. Aber das war leicht konsumierbar und gleichzeitig inhaltlich wichtig. Auch „Universal Tellerwäscher“ war 1994 zugleich poppig, ohne zu verschweigen.

Mit dem Millennium fand Deutschpop wieder den Weg in die Charts. Wollten Sie jemals auf diesen Zug aufspringen?

Sie meinen: Wollten wir gerne Wir sind
Helden sein? Wir forcierten da nichts. Ich glaube sogar, wir taten viel, um das zu verhindern. Die Leute sind, wie sie sind. Und wenn die eigene künstlerische Vision kompatibel ist mit dem Massengeschmack einer Zeit – was man ja auch nicht erzwingen kann –, dann ist das natürlich praktisch. Dann kann man seine Rechnungen bezahlen – eine Existenz darauf aufbauen. Das kann man nicht so gut, wenn man einen Weg
konsequent einschlägt, von dem man weiß, dass er kein Geld abwerfen wird. Ich glaube aber, die Gesellschaft ist reich und
offengenug, um unterschiedliche Karrierewege zu ermöglichen. Wir müssen uns in unserem Nicht-Mainstream-Nebenbühnen-Dasein nicht unbedingt Sorgen
machen.

Die radikale Wandlung des Musikmarktes beeinflusst sicher einiges – welche Rolle spielte das in Ihrer Bandgeschichte?

Die goldenen 90er spielten für uns die größte Rolle. Da konnten auch abwegige Randgruppenprojekte wie Die Sterne kommerziell interessant werden. Plötzlich war auch dafür Geld da - und nicht nur für den ganzen anderen Kack. Heute ist das schwierig, das kann man nicht vergleichen. Mit einer kleinen Auflage rechnet sich nichts mehr. Das hat mit der Digitalisierung zu tun - ähnlich wie bei Independent-Filmen. Nur was ganz groß wird, rechnet sich noch. Insgesamt ist das eine künstlerisch schlechte Entwicklung.

Was kritisieren Sie am meisten?

Es geht mir nicht um die Einzelschicksale – das ist wieder Jammern auf hohem Niveau. Was wirklich leidet, ist die Vielfalt in der Kunst.

Liegt das an allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen?

Liegt es ja immer. Da hängt viel von wirtschaftlichen Verhältnissen ab. Die Zeit ist auch speziell: Im Urheberrecht hat man beispielsweise jahrelang Wilden Westen gehabt, und so langsam konsolidiert sich das jetzt. Man kann Youtube ansprechen, ob das nicht eventuell auch okay wäre, für die Inhalte zu bezahlen. Das ist spannend. In dieser Zeit wird über die Zukunft entschieden. Aber vieles ging auch schon den Bach runter; eben weil die Legislative oft zu langsam ist, während die wirtschaftlichen Fakten längst geschaffen wurden.

Was sind denn heute wirtschaftlich die größten Unterschiede für eine alternative Band im Vergleich zu den 90ern?

Natürlich die Digitalisierung. Aber auch, dass heute ein impulsgebendes überregionales Radio- oder gar TV-Medium fehlt. Damals war das VIVA 2. Nur das Überregionale kann diese Nischen abbilden und relevant machen. Überall hat man nur den regionalisierten Mainstream in klein. Es gibt keinen Verstärkereffekt. In den 90-ern gab es über das Nischenprogramm eine Gleichzeitigkeit – und eben auch einen Markt.

Wünschen Sie sich diese Art Bündelung zurück?

Ja! Ich würde dafür kämpfen!

Entdecken trotz oder aufgrund des modernen Musikmarktes auch jüngere Genera-
tionen Die Sterne?

Wir sind eigentlich ziemlich gut darin, nicht zu veralten und uns neu zu erfinden. Trotzdem hat man ja ein gewisses Lebensalter. Ich kann mich an ein einschneidendes Erlebnis erinnern, bei dem ich dachte: Jetzt werden wir alt! Da haben wir zu „Räuber und Gedärm“ Konzerte gespielt, ein Album, das bei den jungen Leuten extrem gut ankam. Und dann sah man, wie diese Trupps von jungen Menschen reinkamen, sich umguckten und dachten: Was ist denn hier los? Hier sind ja nur alte Säcke! Das muss man berücksichtigen, dass es bei der Jugend ein Bedürfnis gibt, unter sich zu sein. Damit muss man dealen. Wir sind die aus den 90-ern.

Apropos: Gibt es zwischen Ihnen und den damals oft in einem Atemzug genannten Bands wie Blumfeld und Tocotronic noch einen Austausch?

Es gibt keine Telefonkonferenzen, aber wenn man sich trifft, kommt man wieder schnell ins Gespräch. Diesen medial oft behaupteten und kurzzeitig auch existenten Austausch in der Hamburger Szene gibt es jedoch nicht mehr, weil diese Szene einfach nicht mehr existiert.

Das Gespräch führte Maximilian Haase.

Die Sterne treten anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens am Donnerstag, 9. Februar, ab 20 Uhr im Lagerhaus auf. Support leisten Isolation Berlin – die Indierock-Entdeckung aus der Hauptstadt.

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