Beim Spiel Bayern München gegen Mainz 05 treffen in Pep Guardiola und Thomas Tuchel zwei Trainer aufeinander, die sich einander sehr ähneln: in der Art und Weise zu arbeiten und Fußball zu leben und in der Art wie emotional sie am Spielfeldrand agieren.
Er arbeitet als Fußball-Lehrer, aber Thomas Tuchel hat nie aufgehört, sich als Schüler zu betrachten. Er will immer mehr lernen. Er tauscht sich mit Hirnforschern genauso aus wie mit den Taktikfreaks, die hobbymäßig die Internetseite „spielverlagerung.de“ betreiben. Im Trainingslager mit dem FSV Mainz 05 vor zwei Jahren in Barcelona leuchtete Tuchels Gesicht, als er unter vier Augen verriet, er habe eine zusätzliche Theoriestunde vereinbart. „Morgen“, sagte er, „habe ich endlich mein Treffen mit Guardiola.“
Am Ende fiel der Austausch unter Kollegen dann kurzfristig aus, Terminschwierigkeiten, er bedauere, ließ Pep Guardiola ausrichten, der damals als Trainer des FC Barcelona die prächtigste Elf einer Epoche schuf. So treffen sich Guardiola und Tuchel heute zum ersten Mal. Beim Bundesligaspiel ihrer Mannschaften Bayern München gegen Mainz wird keine Zeit für eine rege Fachdiskussion sein. Nur das Publikum kann beim Blick auf sie und ihre Mannschaften erahnen, wie ähnlich sie sind. Thomas Tuchel ist der deutsche Trainer, der dem umschwärmten Vorbild Guardiola am nächsten kommt: Beide verstehen sich als Fußballforscher, die ihre Arbeit permanent mit innovativen Details zu erneuern versuchen. Und beide füllen ihren Job hochemotional aus. Weil sie jedem einzelnen Pass grundsätzliche Wichtigkeit geben, reicht auch ein einziger Fehlpass, um sie an der Seitenlinie zum Toben zu bringen.
Fußballforscher und Taktiker
Natürlich hat Tuchel, der Forscher, sofort mit brennender Neugierde hingeschaut, wie Guardiola in seinen ersten Monaten in München den Champions-League-Sieger verändert hat. Besonders interessant findet Tuchel, dass unter Guardiola die Außenverteidiger David Alaba und Rafinha nicht wie üblich über die Flügel nach vorne stoßen, sondern beim Vorrücken ins Zentrum des Mittelfelds drängen. Es ist Guardiolas neuste Innovation, um sein immer währendes Grundgesetz umzusetzen: Seine Elf soll im zentralen Mittelfeld stets in Überzahl sein.
Auf eine Art ist es enttäuschend, dass Guardiola den Bayern im großen Ganzen einfach sein in Barcelona bewährtes Konzept vom totalen Passspiel überstülpte; wie ein Unternehmensberater, der für jede Firma dasselbe Rezept parat hat, egal ob sie Schuhe oder Autos herstellt. Auf andere Art ist es überwältigend: zu sehen, wie schnell die Bayern-Profis das für sie neue Spiel vom ständigen Passen perfektioniert haben. Beim jüngsten Bundesligaspiel spielte der FC Bayern 554 Pässe und der Gegner Leverkusen 107. Dabei passten die Münchener nicht nur kurz hin und her, sondern plötzlich auch einmal diagonal und weit. „Bayern spielt noch flexibler als Barcelona damals“, sagte Tuchel der Bild-Zeitung.
Wie Guardiola hat er es zu seiner Besessenheit gemacht, die Taktik in jeder Partie in Nuancen zu variieren, je nach Spielart des Gegners. „Vielleicht werfen wir unseren taktischen Ansatz für das eine Spiel in München komplett um“, sagt Tuchel. Mit dieser Tüftelei hat er in seinen acht Spielen gegen Bayern dreimal gewonnen und ein Unentschieden erzielt. Welcher Trainer kann eine bessere Bilanz vorweisen? „Meine deutschen Assistenztrainer haben mir viel von Tuchel erzählt“, sagt Guardiola. „Ich glaube, er ist ein sehr schlauer Trainer.“ Doch die jüngste Serie von fünf Mainzer Niederlagen war eine Warnung für Tuchel. Er läuft Gefahr, sich angesichts der begrenzten Mainzer Möglichkeiten zu verschleißen. Kein Trainer kann eine kleine Elf ewig über ihren Verhältnissen platzieren.
Vielleicht kann ihm Guardiola helfen, ohne es zu wollen. Die Zweifel, ob Tuchel einen Spitzenklub trainieren könne, erwachen stets, wenn er in der Hitze des Spiels die Kontrolle über sich selbst verliert und herumtobt. Nun aber kann jeder in Deutschland sehen, dass der große Guardiola seine Wut und Verzweiflung ähnlich wild auslebt, wenngleich nicht so aggressiv gegen andere wie Tuchel. Nun, da sie bemerken, Guardiola gebärdet sich genauso, verstehen vielleicht mehr, dass Tuchel kein Choleriker ist, sondern Deutschlands talentiertester Trainer, der das Spiel zwangsläufig zu intensiv lebt.
Als Guardiola das erste Mal in München an der Seitenlinie tanzte und tobte, wunderte sich mancher. Warum Guardiola mit all seinen Erfolgen im Rücken nicht gelassener sei, fragte im vertrauten Kreis auch Thomas Tuchel. Niemand traute sich zu antworten: Das fragst ausgerechnet du?
Tuchel und sein Vorbild: Der Mainzer Trainer begreift Fußball ähnlich wie Pep Guardiola (r.) F. : DPA