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Hannover Von Eisfabriken und Meeresströmungen

Dass auf der Erde eins mit dem anderen zusammenhängt, gehört zu den immer wieder zu hörenden Binsenweisheiten. Forscher versuchen herauszufinden, was genau dies im Einzelnen bedeutet oder bedeuten könnte.
04.11.2016, 00:00 Uhr
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Von Eisfabriken und Meeresströmungen
Von Jürgen Wendler

Dass auf der Erde eins mit dem anderen zusammenhängt, gehört zu den immer wieder zu hörenden Binsenweisheiten. Forscher versuchen herauszufinden, was genau dies im Einzelnen bedeutet oder bedeuten könnte. Wissenschaftler des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts richten ihren Blick dabei unter anderem auf das Eis in den Polargebieten. Gründe dafür gibt es einige. So hat zum Beispiel das Verschwinden von Eis auf dem Meer zur Folge, dass das Wasser mehr Sonnenenergie aufnehmen kann. Es wird wärmer, und dies hat Auswirkungen auf das Wetter und langfristig auch auf die Entwicklung des Klimas. Auch für die Verteilung von Energie auf der Erde spielen die Temperaturen in den Meeren der Polargebiete eine Rolle. Wenn Wasser gefriert oder Eis schmilzt, hat dies einen Einfluss auf Meeresströmungen, mit denen Wärme in andere Gebiete befördert wird. Um solche Zusammenhänge ergründen zu können, müssen Forscher genaue Kenntnisse über das Eis sammeln. Dabei können Satellitendaten einen wichtigen Beitrag leisten, wie eine kürzlich im Fachjournal „Remote Sensing of Environment“ veröffentlichte Studie verdeutlicht. Autoren sind mit Thomas Hollands und Wolfgang Dierking zwei Wissenschaftler aus der Forschungsgruppe Erdbeobachtungssysteme des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts. Dierking ist außerdem als Professor für Meereisfernerkundung an der Arctic University of Norway in Tromsø tätig.

Forschung mit Satellitendaten

Hilfsmittel wie Kameras, Laser, Infrarotsensoren oder Radarinstrumente an Bord von Satelliten, Flugzeugen oder Hubschraubern eröffnen die Möglichkeit, die Erdoberfläche ohne direkten Kontakt zu untersuchen. So können beispielsweise Radarinstrumente elektromagnetische Strahlung in Form von Mikrowellen aussenden, die Wolken durchdringen können. Auch beim für Menschen sichtbaren Licht und der Infrarot- beziehungsweise Wärmestrahlung handelt es sich um elektromagnetische Strahlung. In ihrem Fall ist die Frequenz jedoch wesentlich höher, mit der Folge, dass Wolken kaum oder gar nicht durchdrungen werden.

Wenn Radarstrahlung ausgesandt wird und auf Eis trifft, dringt sie mehr oder weniger tief ein und wird reflektiert, das heißt: Ein Teil der abgestrahlten Energie gelangt wieder zum Instrument zurück. Aus ihm lassen sich Rückschlüsse auf Eigenschaften des Eises ziehen. In ihrer Studie zeigen Hollands und Dierking, dass sich mithilfe von Daten unterschiedlicher Instrumente, die unterschiedliche Bereiche des elektromagnetischen Spektrums abdecken, Informationen über die Eisbedeckung des Meeres und darüber gewinnen lassen, wie diese sich verändert. Auch Angaben zur Beschaffenheit des Eises lassen sich aus den Daten ableiten. Den Wissenschaftlern gelang es auf diese Weise, ein genaues Bild von den Verhältnissen in einem bestimmten Bereich des Rossmeers im Südlichen Ozean vor dem antarktischen Kontinent zu erhalten.

Das Rossmeer ist zuletzt auch ins Blickfeld der breiten Öffentlichkeit gerückt, nachdem sich zahlreiche Staaten darauf verständigt hatten, es zum weltweit größten Meeresschutzgebiet zu erklären. Nach Angaben des Umweltbundesamtes hat es eine Größe von 1,55 Millionen Quadratkilometern. Zum Vergleich: Die Gesamtfläche Deutschlands beträgt rund 357 000 Qua-dratkilometer. Die Fischerei soll in dem Randmeer stark eingeschränkt werden, um die empfindlichen antarktischen Ökosysteme zu schützen. Profitieren könnten davon laut Umweltbundesamt unter anderem Wale, Seevögel und Pinguine.

Die Bremerhavener Forscher befassen sich in ihrer Studie mit der Terra-Nova-Bucht-Polynja, die für die Bildung von Meereis eine wichtige Rolle spielt. Die Terra-Nova-Bucht im Rossmeer ist rund 64 Kilometer lang. Mit dem auf ein russisches Wort zurückgehenden Begriff Polynja bezeichnen Wissenschaftler offene Wasserflächen in von Meereis bedeckten Polargebieten. Dabei unterscheiden sie zwischen Polynjen fernab der Küsten, die an Stellen entstehen, an denen wärmeres Tiefenwasser an die Oberfläche dringt, und Polynjen an der Küste, das heißt zwischen dem Festland- und dem Packeis. Wie Hollands erklärt, entstehen Küstenpolynjen dadurch, dass ablandiger Wind neu entstandenes Eis von der Küste wegtreibt. Im offenen Bereich bilde sich wieder neues Eis. „Solche Polynjen sind Eisfabriken“, sagt der Geoökologe.

Tiere nutzen eisfreie Flächen

Dass Polynjen auch für Tiere und andere Lebewesen eine Rolle spielen, liegt auf der Hand. Säugetiere wie Wale und Robben benötigen Luft zum Atmen und sind deshalb darauf angewiesen, dass es innerhalb von großen eisbedeckten Flächen Bereiche gibt, in denen sie auftauchen können. Außerdem gedeihen in den offenen Bereichen Algen, die von Kleinkrebsen gefressen werden. Diese Krebse, die wiederum Walen als Nahrung dienen, werden als Krill bezeichnet. Der Ausdruck stammt aus dem Norwegischen, wo er ursprünglich allgemein für Walnahrung verwendet wurde.

Die Bedeutung von Polynjen für das regionale Wetter lässt bereits die Tatsache erahnen, dass in ihrem Bereich häufig als Seerauch bezeichneter Nebel aufsteigt. Dieser ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Ozean viel Wärme an die Atmosphäre abgibt. Die Vermutung, dass Polynjen einen Einfluss auf Meeresströmungen haben, ergibt sich aus dem, was bei der Bildung von Meereis geschieht.

Meerwasser hat im Schnitt einen Salzanteil von 3,5 Prozent. Wegen dieses Salzgehalts gefriert Meerwasser bei tieferen Temperaturen als Süßwasser, nämlich erst bei etwa minus 1,9 Grad Celsius. Wie Dierking erläutert, wird das Salz bei der Bildung von Meereis nicht in die Eiskristalle eingebaut, sondern ausgeschieden. Mit dem zusätzlichen Salz erhöhe sich die Dichte der oberen Wasserschicht, sodass diese absinke. Den gleichen Effekt haben niedrige Temperaturen, denn kaltes Wasser hat eine höhere Dichte als warmes und ist deshalb schwerer. In einem Fachbuch wird der Zusammenhang mit Zahlen veranschaulicht: Ein Kubikzentimeter salzarmes und warmes Wasser aus den Tropen wiege 1,003 Gramm, null Grad Celsius kaltes und salzreiches Wasser der Polarregionen hingegen 1,031 Gramm.

Umwälzbewegung im Ozean

Von den niederen zu den hohen Breiten nimmt die Dichte des Wassers mit abnehmender Temperatur zu, unter anderem mit der Folge, dass das mit dem Golf- und dem Nordatlantikstrom nach Norden beförderte Wasser in der Arktis absinkt und in der Tiefe zurück nach Süden strömt. Sprich: Es findet eine Umwälzbewegung statt. Der Fachausdruck für solche Vorgänge lautet thermohaline Zirkulation. Das Wort thermohalin enthält griechische Begriffe für Wärme und Salz. Küstenpolynjen können zwar viele Quadratkilometer groß sein, bedecken aber insgesamt eine vergleichsweise kleine Fläche. Dennoch messen Wissenschaftler manchen Küstenpolynjen im Umfeld des antarktischen Kontinents einen Einfluss auf die globale Ozeanzirkulation bei.

Das Entstehen von Meeresströmungen hängt nicht nur mit der unterschiedlichen Dichte von Meerwasser zusammen. Auch Wind, Wasser, das über Flüsse ins Meer gelangt, und die Anziehungskraft des Mondes, die die entscheidende Rolle bei der Entstehung der Gezeiten spielt, sorgen dafür, dass die Meeresoberfläche ständig in Bewegung ist und Wassermassen in unterschiedliche Richtungen befördert werden. Mit den Strömungen gelangen Nährstoffe und Wärme von einem Ort zum anderen. Das heißt: Sie haben einen Einfluss darauf, welches Klima in einem bestimmten Gebiet herrscht und welche Tiere und Pflanzen dort leben.

Riesiger Wärmespeicher

Die Meere, die 71 Prozent der Erdoberfläche bedecken, sind der größte Wärmespeicher des Planeten. Die meiste Energie, die mit der Sonnenstrahlung zur Erde gelangt, wird dort gespeichert. Am größten ist die Einstrahlung im Bereich des Äquators, weil die Sonne dort besonders hoch steht. Vergleichsweise wenig Energie gelangt hingegen in die Polargebiete. Die Folge sind große Temperaturunterschiede zwischen den tropischen Regionen am Äquator und den Polargebieten. Diese wiederum führen zu einer Ausgleichsbewegung: Meeresströmungen und Winde befördern Energie in Richtung Pole.

Aus europäischer Sicht ist der Golfstrom von besonderem Interesse. Genau genommen handelt es sich dabei um eine Strömung vor der amerikanischen Ostküste, die Teil eines großen Strömungssystems ist: des Nordatlantikstroms. Der Golfstrom wird häufig fälschlicherweise damit gleichgesetzt. Das Strömungssystem befördert Wärme in Richtung Nordosten. Ihm ist es zum Beispiel zu verdanken, dass in Irland und der Bretagne vergleichsweise milde Temperaturen herrschen. In der im Nordwesten Frankreichs gelegenen Bretagne ist es im Jahresmittel etwa 14 Grad Celsius warm. Auf der Insel Neufundland hingegen, die vor der Nordostküste Amerikas auf einer ähnlichen geografischen Breite liegt, ist es selbst im Sommer nur unwesentlich wärmer. Der aus dem Nordpolarmeer kommende Labradorstrom trägt kaltes Wasser in die Region.

Vor dem Hintergrund des Klimawandels beschäftigen sich Wissenschaftler seit Jahren auch mit der Frage, ob sich die Strömungsverhältnisse im Nordatlantik verändern könnten. Im vergangenen Jahr hat eine Forschergruppe um Achim Roessler und die Professorin Monika Rhein vom Institut für Umweltphysik der Universität Bremen im „Journal of Geophysical Research“ eine Studie veröffentlicht, nach der bislang kein Trend zur Abschwächung des Nordatlantikstroms erkennbar ist. Nach wie vor strömt vergleichsweise warmes Wasser nach Nordosten. Mitten im Atlantik erstreckt sich in nord-südlicher Richtung über mehr als 20 000 Kilometer der Mittelatlantische Rücken, ein Gebirgszug am Meeresgrund. Mithilfe von dort verankerten Geräten konnten die Forscher über Jahre Schwankungen bei der Stärke des Nordatlantikstroms ermitteln. Außerdem konnten sie auf Satellitenmessungen der Wasserbewegungen an der Meeresoberfläche zurückgreifen.

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