Vom Dorfverein zum Branchenführer und zurück: Die Hannover Scorpions haben diesen schmerzhaften Weg bestritten. Es ist nicht ganz fünf Jahre her, dass die Mannschaft Meister der DEL wurde, heute spielt das Team wieder in der Oberliga-Nord. Es ist die Geschichte eines gescheiterten Projekts.
Das Jubeln nach den vielen Siegen hat auch seine Tücken. Andreas Morczinietz ist ein durchaus erfahrener Eishockeyprofi, der es zu besseren Zeiten schon bis in die Nationalmannschaft gebracht hat. Als aktueller Kapitän der Hannover Scorpions steht er aber regelmäßig vor der Frage, wie man eine sinnvolle Ehrenrunde durch ein klitzekleines Eisstadion dreht, das nur auf einer Seite eine Zuschauertribüne hat.
Der Torjäger hat es in der Oberliga-Nord mit den üblichen Tücken der Puck-Provinz zu tun. Vor knapp fünf Jahren waren die Scorpions noch Meister der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) und damit an der Spitze des deutschen Eishockeys. Mittlerweile glänzen sie nur noch an der Nahtstelle zwischen Amateur- und Profisport. „Wir sind hier zurück an der Basis“, sagt Len Soccio, wie Morczinietz ein früherer DEL-Könner. Er ist Cheftrainer eines Klubs, dessen bundesweiter Ruhm erschreckend schnell in Vergessenheit geraten ist.
Das kleine Stadion in Langenhagen bei Hannover ist schick. Wenn die Scorpions dort Derbys gegen ihren früheren Stammverein ESC Wedemark oder den ungeliebten Lokalrivalen Hannover Indians bestreiten, lebt die Euphorie für das niedersächsische Eishockey wieder auf. Aber der Wettstreit der drei Klubs auf drittklassigem Niveau ist im Grunde auch ein Trauerspiel: Keiner von ihnen hat es geschafft, über seinen Schatten zu springen.
Als die finanzielle Not der defizitären Scorpions 2013 zu groß geworden war und ihre DEL-Lizenz zum Verkauf stand, mochte niemand aus dem Trio einer Zusammenarbeit zustimmen. Selbst das Gedankenmodell, als Eishockey-Abteilung unter der Dachmarke Hannover 96 die Kräfte zu bündeln, konnte sich nicht durchsetzen. Die Folge ist: Man klaut sich seitdem gegenseitig gute Spieler, Zuschauer und Sponsoren. Genügend Geld, um in der nächsthöheren Liga für Furore zu sorgen, besitzt keiner von ihnen.
Der Blick zurück in die Vereinsvitrine erinnert auf schmerzliche Weise daran: Die bestaunten Scorpions waren zwar einst vom Dorfverein im beschaulichen Mellendorf zum Spitzenklub in Hannover aufgestiegen. Aber sie hatten sich dabei in zu große Abhängigkeit von einem Hauptsponsor begeben – und zielstrebig einer Insolvenz angenähert. Unter der Regie von Bauunternehmer Günter Papenburg sind bis zu fünf Millionen Euro pro Saison investiert worden. Doch defizitäre Spielzeiten in Serie, der mangelnde Zuschauerzuspruch und die hohen Prämienausschüttungen im Meisterjahr 2010 brachten das Projekt mit den Scorpions zum Scheitern. Statt in der riesigen TUI-Arena, die bis zu 10 500 Zuschauer fasst, spielen sie heute an guten Tagen nur noch vor rund 1000 Fans. Ihre Geldgeber kommen aus dem Mittelstand; selbst ein professioneller Tauben-Verscheucher gehört dazu.
„Was uns fehlt, sind mehrere Investoren, die auch die nötige Begeisterung für das Eishockey mitbringen“, erklärt der wehmütige Marco Stichnoth. Der alte und neue Geschäftsführer der Scorpions macht kein Geheimnis daraus, dass der Absturz des Vereins keine schöne Erfahrung für ihn ist. Statt wie früher Profis aus aller Welt einzukaufen, muss er heute mit einem Etat von gerade einmal 220 000 Euro versuchen, um Soccio und Morczinietz herum ein ambitioniertes Nachwuchsteam zu basteln. Ob es jemals wieder dazu reicht, in die DEL oder deren Unterbau zurückzukehren, bleibt mehr als fraglich.
Das Schöne am Dilemma der Scorpions bleibt: Die Nostalgiker unter ihren Fans freuen sich, dass es in der Oberliga wieder um das Ursprüngliche am Eishockey geht. Der Glühwein kostet nur zwei Euro, auf den wenigen VIP-Plätzen im Stadion, die sogar mit beheizbaren Trennwänden versehen sind, weht der gastronomische Duft von Pizza und Pommes aufdringlich vorbei. Und mit den frisch geduschten Spielern kann man nach erfreulichen Partien ausgiebig plaudern. Dass es der Torjäger Morczinietz meist eilig hat, nach Hause zu kommen, liegt an seinen anderen Verpflichtungen: Im richtigen Leben abseits der Oberliga ist der 36-Jährige Lehramtsstudent und bereitet sich auf eine zweite Laufbahn vor.
Sie dürfte ihn endlich unabhängig von launigen Sponsoren und drohenden Insolvenzen machen.