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Werders Torwart Raphael Wolf im Interview "Unter Druck bin ich hellwach"

Bremen. Seit November vergangenen Jahres ist Raphael Wolf der Stammtorwart des Fußball-Bundesligisten Werder Bremen. Im WESER-KURIER-Interview erzählt Wolf, woher er seine Ruhe hat – und wie sehr sie ihm hilft.
07.05.2014, 21:40 Uhr
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Von Andreas Lesch

Seit November vergangenen Jahres ist Raphael Wolf der Stammtorwart des Fußball-Bundesligisten Werder Bremen. Von Anfang ist aufgefallen, wie ruhig er diesen Job erledigt hat. Im Interview mit Andreas Lesch erzählt Wolf, woher er diese Ruhe hat – und wie sehr sie ihm hilft.

Herr Wolf, wie wichtig ist das für einen Torwart: ruhig zu sein?

Raphael Wolf: Ein Torwart strahlt von hinten viel auf seine Vorderleute aus. Wenn er hibbelig ist und bei jeder Aktion unsicher, dann überträgt sich das auf die Mannschaft. Ich denke, mir gelingt es ganz gut, ruhig zu bleiben – auch wenn etwas mal nicht so läuft.

Wie schaffen Sie das: ruhig zu bleiben, wenn Sie zum Beispiel eine Flanke unterlaufen haben?

Die Frage ist ob man dann sagt: „Scheiße, jetzt bloß nicht noch mal eine Flanke unterlaufen!“ Oder ob man sagt: „Okay, ich kann das. Bei der nächsten Flanke komme ich raus, ich hol‘ sie mir.“ Ich fokussiere mich und denke an positive Aktionen von mir. Dann bin ich wieder im Spiel.

Konnten Sie schwierigen Situationen schon immer so positiv umgehen?

Ich war noch nie groß aufgeregt oder nervös im Spiel. Aber einiges habe ich mir auch antrainiert.

Wie haben Sie das gemacht?

Ich arbeite mit einem Mentaltrainer zusammen, seit ich 15 bin. Wenn ihm was einfällt oder auffällt, dann sagt er es mir; er guckt natürlich auch meine Spiele. Und wenn mir etwas am Herzen liegt, dann sage ich das. Dann telefonieren wir oder treffen uns.

Wie hat die Zusammenarbeit damals begonnen?

Über meinen damaligen Verein, den Hamburger SV. Ich war ja damals plötzlich weit von zu Hause weg. Ich musste lernen, selbstständig zu leben. Ich musste mich in einer ganz anderen Stadt zurechtfinden, mit ganz anderen Persönlichkeiten und einem ganz anderen Umfeld. Ich hatte damit nie Probleme, aber es gab damals das Angebot vom Verein, mit dem Mentaltraining zu beginnen – und für mich hat sich das sinnvoll angehört.

Warum?

Weil der Kopf eine große Rolle spielt im Fußball. Der Druck ist gewachsen! Aber wie geht man damit um? Wenn im Stadion 50 000 Menschen schreien, das ist schon eine Herausforderung. Da wären viele schon nervös, wenn sie nur einen Satz sagen müssten. Und wir bringen da unsere Leistung! Da ist es schon im wichtig, dass ich im Kopf klar bin. Ich bin so ruhig, weil ich mir sicher bin in dem, was ich mache.

Ist der Kopf für einen Torwart noch wichtiger als für die Feldspieler?

Ja. Gerade für einen Torwart ist die mentale Stärke sehr wichtig. Er ist viel mit sich beschäftigt, er trainiert auch hauptsächlich mit dem Torwarttrainer und erst am Ende mit den anderen Spielern. Und ein Torwart ist in einer speziellen Situation: Er entscheidet oft, ob man ein Spiel gewinnt oder nicht.

Wenn der Torwart einen Fehler macht…

… ist der Ball meistens drin. Und wenn er einen Fehler gemacht hat, dann sollte der Torwart trotzdem weiter ein gutes Spiel spielen können. Das ist wichtig!

Gelingt Ihnen das immer?

Ich hatte in meinen 20 Spielen in dieser Saison keine Situation, in der ich mich unsicher gefühlt habe auf dem Feld. Ich habe keine Situation in schlechter Erinnerung. Das passt alles.

Kürzlich haben Sie einen Elfmeter von Hoffenheims Sejad Salihovic pariert. Sind Sie in so einer Situation noch ruhiger als sonst?

Erst mal habe ich Richtung Trainerbank geguckt, ob die mir eine Ecke anzeigen.

Der Torwarttrainer zeigt Ihnen an, in welche Ecke der Schütze seiner Meinung nach schießen wird?

Ja, genau. Wir sprechen ja vorher darüber, was eintreffen könnte. Da muss ich ja vorbereitet sein. Mental stark sein heißt ja auch: vorbereitet sein. Ja, und dann war ich eigentlich ziemlich ruhig und hab‘ mich kurzfristig für die Ecke entschieden.

Das hat perfekt funktioniert.

Ja, aber danach war ich ziemlich gefasst und hab‘ probiert, ganz normal weiterzuspielen. Es geht eben nicht nur darum, man nach einem schlechten Erlebnis nicht durchzudrehen und hibbelig zu werden. Sondern es geht auch darum, nach einer richtig guten Aktion nicht zu denken, man muss jetzt alles zerreißen – denn dann geht was in die Hose. Ich gucke immer, dass ich fokussiert bleibe, dass ich mich wohlfühle.

Gehört es für Sie vor einem Elfmeter wie dem von Salihovic auch dazu, die zwei Elfmeter zu verdrängen, die er im Hinspiel gegen Sie verwandelt hat?

Ach, ich wusste schon: Da hab‘ ich zwei gekriegt. Ich kann nicht alles ausschalten. Aber gerade diese Aktionen haben mir geholfen. Ich habe mir bewusst gemacht: Okay, den ersten hat er in die rechte Ecke geschossen, von mir ausgesehen, und den anderen hat er in die Mitte gechippt. Er läuft jetzt wieder an, er guckt nur den Ball an, dann wählt er seine sichere Ecke. Da war natürlich auch viel Glück dabei, aber bei seinem Anlauf hatte ich schon ein kleines Déjà-vu.

Waren Sie eigentlich als Kind schon so ruhig wie heute?

Ganz ehrlich: Ich bin zwar ein ruhiger Typ, aber ich bin schon auch sehr agil und sehr lebensfroh. Ich habe viel Energie und mache gerne hier und da mal meinen Blödsinn. Aber ich weiß ganz genau, wann ich das machen kann und wann es nicht passt. In Drucksituationen und in emotionalen Situationen, da bin ich hellwach, und ich lasse mich nicht von irgendwelchen Einflüssen von außen oder von mir selber beeinflussen.

Sie sind also in Ihrer Rolle als Profifußballer anders, als Sie sonst sind?

Ja klar. Als Fußballer bin ich immer unter Spannung, und ich habe ein ganz anderes Körpergefühl, gerade am Spieltag. Da bin ich viel fokussierter. Die Sinne schärfen sich ja alle. Dann verändert sich natürlich auch so ein bisschen die Persönlichkeit. Da wird man laut, da wird man auch mal gegenüber einem Gegenspieler kritisch. Man spürt Emotionen, aber die muss man kontrollieren können. Und das ist das, was ich mir angeeignet habe.

Werden Sie in der Kabine auch mal laut?

In der Kabine hat der Trainer das Wort, aber wenn es auf dem Platz eine Ecke gegen uns gibt, probiere ich schon, die Leute zu stellen und zu pushen.

Müssten Sie Ihre Spieler mehr pushen?

Ich bin nicht der Torwarttyp, der ständig schreit. So etwas muss kommen, das kann ich nicht spielen. Ich bin kein Schauspieler auf dem Feld. Es gibt ja Charaktere, die denken, sie müssen sich unbedingt aufspielen – bei denen man aber sieht, das passt nicht zur Persönlichkeit.

Sich Lautstärke anzutrainieren, fänden Sie also falsch?

Man muss authentisch sein. Und ich finde: Es bringt nichts, wenn man Spieler, die einen Fehler machen, runtermacht oder anpöbelt. Vor 20 Jahren war es anscheinend noch wichtig, dass einer rauskommt und die Mitspieler geschubst hat. Heute sehe ich das nicht mehr, auch in der Champions League oder bei Weltmeisterschaften nicht. Die meisten Top-Torhüter sind alle ruhig und machen ihren Job. Und wenn sie sich ärgern, dann ärgern sie sich über sich selbst. Weil jeder weiß, was schlecht und was gut ist.

Dieses streng hierarchische Denken in den Mannschaften…

… das gibt‘s nicht mehr. Das sehe ich nirgendwo: bei Bayern nicht, bei Dortmund nicht, bei Schalke nicht. Viele Spieler, die so waren, wurden von ihren Teams verdrängt. Der heutige Fußball ist sehr schnell. Da bleibt nicht mehr viel Zeit, nach jedem Foul noch mal großartig mit seinen Mitspielern zu diskutieren.

Gibt es einen Torwart, den Sie für seine Ruhe bewundern?

Ich gucke mir viele Torhüter gerne an, ob es Gianluigi Buffon ist oder Gabor Kiraly in der Zweiten Liga. Aber eigentlich konzentriere ich mich auf mich und meine Qualitäten, aber natürlich gucke ich mir hier und da was ab. Ich habe mir Bayern gegen Real angeschaut, und den Iker Casillas, den habe ich nicht ein einziges Mal rufen hören. Aber die Mannschaft funktioniert.

Ruhe zahlt sich also offenbar aus. Sind Sie denn wirklich auch in Ihren ersten drei Spielen für Werder ruhig geblieben? Da haben Sie 14 Gegentore kassiert.

Ich habe danach immer in die Zukunft geschaut. Für mich war immer klar, dass ich weiterhin spielen will, dass ich das Beste gemacht habe, was ich konnte. Und dass irgendwann das Spiel kommt, in dem wir alle belohnt werden. Und das kam dann: beim 1:0 gegen Leverkusen.

Hat es Sie noch ruhiger gemacht, dass Werder Ihren Vertrag demnächst vorzeitig verlängern will?

Nein, ich habe noch einen Vertrag bis 2015, und ich bringe meine Leistung. Thomas Eichin hat angekündigt, dass er mit mir verlängern will. Ich lasse das auf mich zukommen. Aber ich bin jetzt nicht nervös deswegen. Ich muss nicht im Sommer unbedingt unterschreiben. Wenn er es erst nächstes Jahr machen will, dann machen wir es halt erst nächstes Jahr. Ich habe damit keinen Druck.

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