Es brodelt und zappelt in den weißen Plastikbottichen. Eine dunkle Masse schlangenartiger Tiere wirbelt herum, manche schaffen es gar, aus dem Eimer zu schnellen, auf den kalten Fliesen zu landen und sich blitzschnell davon zu machen. Aber da gibt es kein Entkommen. Zwischen den Gummistiefeln der Fischer kommt von oben eine Hand, die zupackt und die Flüchtigen wieder in den Eimer zurückwirft. „Ist eine sehr arbeitsintensive Sache hier“, ruft Steffen Göckemeyer durch den Lärm.
Der Geschäftsführer des Landesfischereiverbandes Niedersachsen hat seinen Büroarbeitsplatz heute getauscht und steht an der Waage, auf der die vollen Eimer mit den zappelnden Aalen gewogen werden, bevor sie ins nächste Becken kommen. Er ist einer der Männer, die an diesem grauen, kalten Sonntag im Fischereibetrieb Dobberschütz in Drakenburg bei Nienburg damit beschäftigt sind, Tausende von Aalen zu verladen, denn die Fische gehen per Lkw auf die Reise. Im Aaltaxi fahren sie nach Dedesdorf bei Loxstedt an der Unterweser. Diese Autofahrt rettet ihr Leben.
Die Aale sind geboren in der Sargassosee vor Mexiko und werden mit der Atlantikdrift als Larven und dann als winzige Glasaale zu den europäischen Küsten gespült. Dabei steht ihnen mit dem Wechsel vom Salz- ins Süßwasser ein gefahrvolles Leben bevor. Auf ihrem Weg in die Flüsse – und dort bis in deren Oberläufe – warten zahlreiche Wehre; Querverbaue, wie der Fachmann sagt, durch die die Aale in der weiteren Wanderung gehindert werden. Für die Weseraale beginnt diese Gefahr schon in Bremen am Weserwehr, und wenn es auch Hilfen wie die Wandertreppen gibt, „den natürlichen Weg in die Flüsse und später wieder hinaus, den gibt es leider nicht mehr“, sagt Göckemeyer.
Der Aal, ein sogenannter Langdistanzwanderfisch, bleibt bis zum Erreichen seiner Pubertät mit sechs bis 15 Jahren zwar in den Flüssen, muss dann aber zum Laichen zurück an seinen Geburtsort – und das meint das Überwinden einer Distanz von bis zu 5000 Kilometern. Dabei geht die größte Gefahr nicht von der langen Wanderung gegen die Atlantikströmung aus, sondern im Binnenland auch von den Turbinen der Wasserkraftwerke, in denen im Einzugsgebiet der Weser jedes Jahr mehrere Tonnen Aal ihr Leben lassen. Würde der Bestand nicht immer wieder durch sogenannte Aalbesatzmaßnahmen aufrechterhalten – wäre der Aal in unseren Gewässern schon vom Aussterben bedroht.
Und nun gibt es also auch noch das Aaltaxi. Seit bald fünf Jahren hat der Landesfischereiverband Niedersachsen zusammen mit den Berufsfischern von Ober- und Mittelweser, Rainer Kemna aus Heinsen, Alexander Meyer aus Hameln, Carsten Brauer aus Landesbergen, den Brüdern Dobberschütz aus Drakenburg und Kurt Janke aus Dörverden organisiert, dass die Aale gefahrlos in die Unterweser kommen.
Bevor sie in Dedesdorf in die Freiheit entlassen werden, haben sie eine aufregende Odyssee hinter sich. Zunächst gehen sie in die Netze der Fischereibetriebe. Je nach Fangmenge werden die Fische aus den Netzen in sogenannte Hälteranlagen umgesetzt; das sind Becken, die in der Weser schwimmen. Und der Fang, sagt Rolf Dobberschütz, könne schon bis zu 100 Kilogramm sein. Was sich einfach anhört, ist Schwerstarbeit: Alle zwei Stunden müssten die Männer – je nach Aalaufkommen – nach den Netzen schauen. „Zu voll dürfen die nicht werden, sonst zerdrücken die sich ja“, so Dobberschütz.
Die Hälterbecken werden von den Fischern den steilen Weserhang hinauf zum Fischereibetrieb geschleppt, die Aale kommen in größere Bassins, kommen in Wiegeeimer, kommen in die Becken auf dem Aaltaxi – das ein ganz normaler Lkw ist. Insgesamt 2190 Kilogramm Aale – das sind annähernd 4000 Tiere – werden an diesem Tag zwischen Heinsen und Dörverden gewogen, verladen und nach Dedesdorf kutschiert. Da heißt es dann: Klappen auf! Und es geht durch dicke weiße Schläuche in die Freiheit und auf die weite Reise zurück in die Sargassosee.