Ursula Jaeger, Jahrgang 1935, in Schwerin geboren und nach einer langen Künstlerlaufbahn in Deutschland und den USA bis heute an ihren Webstühlen in ihrem Haus in Schwachhausen tätig, kann sich sehr ärgern, wenn der falsche Begriff von der Gobelinstickerei ins Spiel kommt: "Nein! Nein! Nein! Da hab ich mich schon immer aufgeregt!", ruft sie, und die Augen blitzen: "Das hat mit Sticken nichts zu tun, Gobelins sind gewebt! Der Name Gobelin kommt von einer französischen Familie, die Garne gefärbt hat." Ursula Jaeger nennt ihre Kunst Bildweberei, "das drückt es am besten aus", und ihre Werke bestehen häufig nicht nur aus Garn, sondern sind oft auch Verbindungen verschiedener Textilien.
Am Anfang steht bei ihr der Entwurf, den sie oft aus farbigem Papier zusammenstellt- und klebt. Diese Papiercollage überträgt sie, indem sie durch Transparentpapier die Konturen abzeichnet; diese Zeichnung lässt sie in der gewünschten Größe kopieren, und dieses Motiv kommt dann als sogenannter Karton hinter die Kette. Wenn dann auch noch die handwerklichen Vorbereitungen am Webstuhl getan sind, kann sie mit der Arbeit beginnen. "Früher hatte ich auch oft Aufträge für Kirchen", erzählt sie mit Blick auf die bunten Wollknäuel in den Borden: "Da habe ich Wolle benutzt, die schluckt den Schall besser."
Heute arbeitet sie lieber mit Leinengarnen; damit könne man feinere Linien weben, sagt sie, und feine Linien gibt es in den Motiven ihrer verschiedenen Werkreihen sehr häufig. Ob das biblische Geschichten sind, ob Werke zu den Themen Spielart, Klangstücke, Text und Textil oder die Motive zu koptischer Kunst sind – ihre zu unterschiedlichen Motiven gewebten Bilder sind vielfältig, und vielfältig sind auch ihre Werkstoffe, denn nicht nur Leinen ist verarbeitet.
Ursula Jaeger arbeitet mit bemaltem Furnierholz, das sie in die Kette einlegt und damit den Stoff unterbricht; sie arbeitet mit Aquarellzeichnungen, die im Stoff verarbeitet sind, oder eben auch mit Papierstücken. Eine klassische Ausbildung hat sie in der Meisterschule für Kunsthandwerk in Berlin erhalten; das Studienprinzip angelehnt an das der Bauhausschule. Und dieses Credo, dass Handwerk und Kunst in eine Hand gehören, das hat Ursula Jaeger verinnerlicht.
"Ich will eben nicht einfach Malerei in Weberei umsetzen", erklärt sie ihre Vorgehensweise. "Ich lasse mich von allem inspirieren." Sie ist viel gereist, in Ägypten, in Russland, in Afrika – und ob das auf dem Teppich ausgeschüttete Spielsachen ihrer Enkelkinder waren, deren zufällige Anordnung sie fotografiert und dann in eine Collage übertragen hat, oder das Notenblatt zu technischer Musik eines befreundeten Musikers: "Einfälle gibt es genug", sagt sie. Besonders anregend seien biblische Geschichten, die sie auf die Gegenwart überträgt: Eines der Werke, "Babel", zeigt kippende und umstürzende Häuser: "Alles muss immer größer werden, alle wollen immer mehr, alles kommt ins Rutschen in unserer Welt – da kommt doch Angst auf", sagt sie eindringlich. Viele Gedanken sind in ihre Werke eingewebt; die Arbeit an einem Stück dauert schließlich mehrere Wochen. "Wenn alle anderen Vorbereitungen gemacht sind und ich mich an den Webstuhl setze, dann brauche ich für einen Quadratmeter ungefähr drei Monate", sagt sie, manche der Vorbereitungen am Webstuhl kann die mittlerweile 86-Jährige auch nicht mehr allein schaffen. Die Augen sind nicht mehr so gut, zwei helle Scheinwerfer beleuchten den Arbeitsplatz.
Ja, es gebe ein Generationenproblem in ihrer Kunst, denn "es gibt kaum Jüngere unter den Bildwebern", bedauert Jaeger. Noch ist sie zusammen mit fünf anderen Künstlern aus Kiel, Hamburg, Schwerin und Stade in der Norddeutschen Bildwebergruppe zusammen, aber "wir werden ja nicht jünger", und auch das Material wie zum Beispiel die Leinengarne, die aus Schweden und Norwegen kommen – "da gibt es auch immer weniger Lieferanten".
Eine bedauerliche Entwicklung, aber Ursula Jaegers Schaffenskraft ist trotzdem ungebrochen. Sie hat noch viele Ideen und freut sich "auf Ausstellungen, die hoffentlich bald wieder möglich sind".