Diese Frau inszeniert sich als Kämpferin: Langer Mantel über lässigen Klamotten, dazu Knieschoner und Schuhe, in denen man rennen kann. Alles in tiefschwarz. Antigone ist auf dem Sprung, sie weiß, was richtig und was falsch ist, die Königstochter aus Theben ist bereit, dafür zum Äußersten zu gehen. Und sie ist wütend: Trotzig schleudert sie Freund und Feind ihre Sätze entgegen. Keinen Fußbreit irgendwem, der etwas anderes behauptet als sie.
Das ist in diesem Fall Kreon, der neuer Herrscher, ein Mann im Showmaster-Outfit mit strahlend weißem Hemd und glänzend schwarzer Hose, jovial inszeniert er seinen ersten Auftritt vor einem roten Theatervorhang. Doch hinter der Fassade verbirgt sich ein Autokrat: Nein, Antigones Bruder Polyneikes, dessen Leiche tot vor den Toren liegt, darf nicht bestattet werden. Polyneikes ist gegen Theben in den Krieg gezogen. Feinden des Staats gewährt Kreon nicht die Gnade eines Grabs. Auch Kreon setzt seine Meinung absolut, nicht nur optisch wählt er die Farben schwarz und weiß. Keinen Fußbreit irgendwem, der etwas anderes behauptet. Doch Antigone widersetzt sich und bestattet den Bruder. Dafür verurteilt Kreon sie zum Tod.
Am Theater Bremen brillieren Shirin Eissa als Antigone und Guido Gallmann als Kreon in Elsa-Sophie Jachs Inszenierung von "Antigone", uraufgeführt 442 v. Chr. und von der kanadischen Autorin Anne Carson sanft neu übersetzt (Dramaturgie: Theresa Schlesinger). Carson hat den beiden Hauptfiguren, die für den ewigen Widerstreit von Moral und Macht stehen, mehr emotionale Tiefe gegönnt, und sie hat die Sprache angenehm, aber nicht übertrieben, aktualisiert.
Viele Schauwerte
Elsa-Sophie Jach greift das geschickt auf und überzeugt mit einer von viel Popkultur durchmischten Inszenierung. Schon das abstrakte Bühnenbild von Marlene Lockemann ist ganz Kommentar: Wie ein Auge öffnet sich das Prospekt (oder schließt sich), und gibt die Sicht auf einen in der Hoffnungsfarbe blau gehaltenen Hintergrund frei. Antigone ist diejenige, die hier immer wieder das Zentrum beansprucht, sprich: die Sichtweise. Auf zwei Halbrunden weiter vorne geraten die Figuren derweil gerne mal ins Rutschen, wenn sie hochstürmen oder klettern. So, wie es ihnen auch mit ihren Standpunkten ergeht.
Packendes Schauspielertheater
"Antigone" ist packendes Schauspielertheater: Die Schwester Ismene, die von der Bestattung abrät, ist bei Lieke Hoppe nicht einfach der Gegenentwurf zur Heldin des Stücks, sondern vertritt ihre Position ("Mädchen können sich nicht durchsetzen gegen Männer") pragmatisch, aber keinesfalls schwach. Und Antigone? Wirkt dadurch weniger strahlend rebellisch denn vielmehr so rigoros und verhärtet wie ein Teenager – beide umtanzen sich schließlich, weil ihnen die Worte ausgehen; und Antigone attackiert die Schwester mit Hip-Hop-Kicks.
Doch sie kann auch anders. Immer wieder gönnt Eissa ihrer Figur Momente der Weichheit, der Unsicherheit; dann sind ihre Trauer und ihre in Todessehnsucht kippende Todesverachtung nicht nur Statement. Dann hat sie plötzlich wirklich Angst, kauert sich hin, macht sich klein, spricht leise und sanft. Doch aus der Selbstinszenierung als Märtyrerin wird unerbittlich Realität.
Zu spät für eine Umkehr ist es schließlich auch für Kreon, den Guido Gallmann hochfahrend und unerschütterlich selbstsicher gegen den zunehmenden Widerstand der Thebaner (als munterer Chor: Levin Hofmann, Karin Enzler, Irene Kleinschmidt, Lieke Hoppe) agieren lässt. Als er endlich, endlich einlenkt, sind alle tot. Die Zeit für Kompromisse ist abgelaufen. Die Verzweiflung in diesen finalen Szenen hätte man sich allerdings etwas ausgefeilter gespielt gewünscht.
Musik, Tanz, Video
Kommentiert wird die Handlung fast durchgehend musikalisch, auch, weil hier ja eine ein Bild von sich entwirft; heute wäre Antigone mit ihrer Mission durchgehend aktiv auf Social Media. Lena Geue und Philip Theurer steuern elektronische Klänge bei, die manchmal an Independent-Rock erinnern, manchmal, wenn das Ensemble Songs anstimmt, glaubt man sich in "Antigone – das Musical" wieder zu finden. Es wird getanzt und gepost, und immer wieder es gibt Video-Kommentare (Live-Kamera: Cantufan Klose).
Trotz der vielen Zutaten gelingt Elsa-Sophie Jach eine von großer Klarheit und Originalität getragene Interpretation dieses Klassikers, die über fast die gesamte Zeit nicht an Spannung verliert, was sicher auch daran liegt, das ohne Pause gespielt wird. Nur in den letzten Minuten versuppt das Ganze etwas, es entsteht der Eindruck, jetzt habe man irgendwie zum Schluss kommen müssen.