Wie kann man Tanz in einer virtuellen Welt zeigen? Diese Frage stellt sich nicht erst, seit die Kulturstätten monatelang geschlossen und öffentliche Aufführungen nicht möglich waren, sie beschäftigt Menschen aus verschiedenen Sparten, seit es technische Möglichkeiten wie die augmented reality und Virtuelle Realität gibt, also die erweiterten Möglichkeiten der Darstellung des Menschen in Bewegung. Zurzeit wird an einem solchen Projekt in Bremen gearbeitet – oder sollte man sagen geforscht?
Das Ensemble of Curious Nature, eine Gruppe von zehn Tänzern aus aller Welt, die unter der Leitung der Choreografen Helge Letonja und Felix Landerer tanzt, hat in Kooperation mit den Berliner VR-Regisseuren CyberRäuber die Förderung von Bundesministerium für Kultur und Medien (BKM) für eines von zwei Pilotprojekten im Modellprojekt „tanz digital“ erhalten, und nun wird in der Schwankhalle geprobt, oder „besser gesagt ausprobiert“, wie Helge Letonja findet. „Das Projekt wird den Tänzer virtuell darstellen und versucht, seine inneren Prozesse erfahrbar zu machen“, erklärt er, und dazu hat er eine Arbeitsweise entwickelt, die er somatisch basiert – also körperbezogen – nennt. Durch die Tätigkeit von Muskeln, Sehnen und Knochen, von Letonja als choreografische Werkzeuge benannt, sollen alle beim Tanz aktiven Körperteile technisch so umgesetzt werden, dass der Zuschauer die verschiedenen physischen Prozesse sehen kann. Dafür braucht es neben den Tänzern die Spezialisten im Bereich der Virtuellen Realität: Björn Lengers und Marcel Karnapke, die CyberRäuber, sorgen mit ihren Computern und Kameras für die virtuelle Umsetzung, und können den Avatar – die virtuelle Form des Tänzers – damit zum Leben erwecken.
„Wir haben verschiedene Systeme, um die Menschen darzustellen“, sagt Marcel Karnapke und deutet auf den Tänzer, der gerade in einem schwarzen Overall die Bühne der Schwankhalle betritt. Dieser „motion capture“-Anzug, der ausgestattet ist mit einer Vielzahl von Sensoren, kann 60 Bilder pro Sekunde übermitteln: „So können wir Bewegungssequenzen aufzeichnen und später wiedergeben“, erklärt Karnapke. Zwei solcher Anzüge stehen für das Projekt als Leihgabe des Technologie-Zentrums für Informatik und Informationstechnik (TZI) der Universität Bremen zur Verfügung. Auch eine 360 Grad-Kamera und eine 3D Kamera sind im Einsatz.
Die CyberRäuber und der Choreograf kommen angesichts dieser Möglichkeiten ins Schwärmen. „Wir können im digitalen Raum die Schwerkraft aufheben, die Tänzer schweben lassen“, freut sich Björn Lengers über den Zustand der Losgelöstheit, und Helge Letonja weist darauf hin, dass sich dem Zuschauer noch mehr Möglichkeiten eröffnen, wenn er nicht nur am Bildschirm zuschaut, sondern die virtuelle Brille nutzt. Dann kann er sogar eine visuelle Identität bekommen und mitmachen in der Choreografie der Avatare. Nicht nur neue räumliche Erfahrungen könne man mit der VR machen, freut sich der Choreograf; die digitale Plattform ermöglicht eine Teilhabe überall, an jedem Ort. „Ob man in Shanghai sitzt oder in der Bremer Neustadt – man ist mittendrin.“