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Kunsthalle Bremen Museum zeigt beeindruckende Kirchner-Ausstellung mit modernen Bezügen

"Kirchner Holzschnitte. Benjamin Badock, Gabriela Jolowicz und Thomas Kilpper" heißt die Ausstellung in der Kunsthalle Bremen, die Ernst Ludwig Kirchner zu aktueller Kunst in Bezug setzt. Lohnt der Besuch?
07.11.2024, 18:01 Uhr
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Museum zeigt beeindruckende Kirchner-Ausstellung mit modernen Bezügen
Von Alexandra Knief

Knapp 180 Werke des Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner hat die Kunsthalle für ihre neue Ausstellung aus der eigenen und einer privaten Sammlung zusammentragen. Viele davon sind druckgrafische Unikate. Das muss man erst mal sacken lassen. Und – so viel vorweg – Zeit mitbringen, wenn man einen Besuch in "Kirchner Holzschnitte. Benjamin Badock, Gabriela Jolowicz und Thomas Kilpper" plant.

Denn die Ausstellung nimmt ihre Besucher nicht nur mit auf eine Zeitreise durch Kirchners grafisches Schaffen, sondern stellt diesem auch noch drei beeindruckende zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen gegenüber, die ebenfalls mit Holzschnitten arbeiten und sich mit Kirchners Werken auseinandergesetzt haben. Doch wer war Ernst Ludwig Kirchner? Was gibt es in der Ausstellung zu sehen? Und wer sind die drei Künstler, die mit ihm in den Dialog treten?

Wer war Ernst Ludwig Kirchner? Ernst Ludwig Kirchner lebte von 1880 bis 1938 und ist einer der wichtigsten Vertreter des Expressionismus. 1905 gründete er in Dresden mit anderen Studenten (Kirchner studierte Architektur) die Künstlergruppe Brücke, die auch das Handwerk des Holzschnittes wiederbelebte. Verschiedene Lebensphasen und gesellschaftliche Ereignisse prägten seine Kunst, insbesondere der Erste Weltkrieg, der den hypersensiblen Künstler nachhaltig traumatisierte, obwohl er selbst nicht kämpfte. Als er nach Jahren, in denen er recht zurückgezogen in der Schweiz lebte, ein wenig in Vergessenheit geriet und seine Werke von den Nationalsozialisten in vielen Museen als "Entartete Kunst" entfernt wurden, nahm sich Kirchner das Leben.

So beeindruckend seine Kunst auch ist, so sehr wird die Person Kirchner in der Kunstgeschichte auch als unangenehmer Mensch – egomanisch, misstrauisch, drogenabhängig – beschrieben.

Was ist in der Ausstellung zu sehen? Die Ausstellung nimmt die Besucher mit auf eine chronologische Reise durch Kirchners Leben und Schaffen, beginnend mit sehr frühen in Dresden, an den Moritzburger Teichen und auf Fehmarn entstandenen Arbeiten. Hier sind es vor allem nackte, sich bewegende Körper, die seine Bilder dominieren, Badeszenen, Natur und Freizeit. Nachdem er 1911 nach Berlin ging, waren seine Arbeiten vom Treiben und den Gesichtern der Großstadt geprägt. Nach dem Ersten Weltkrieg begannen schwierige Jahre, in denen der psychisch angeschlagene Kirchner viel Zeit in Sanatorien verbrachte, in der aber auch einige seiner wohl stärksten Holzschnitt-Porträts entstanden. 1917 zieht er nach Davos, in die Schweizer Berglandschaft. Seine Kunst ist nicht mehr dieselbe – nicht nur inhaltlich. Kirchner versucht erneut, sich neu zu erfinden, mit eigenwilligen Farbgebungen und neuen Figurenkonstellationen. Seine nun von lokaler Kultur und Landschaft geprägten Bilder sprechen noch einmal eine ganz neue Bildsprache.

Welche anderen Künstler sind ausgestellt? Die erste Künstlerin, die sich mit Kirchners Arbeiten auseinandergesetzt hat, ist Gabriela Jolowicz. Ihre Holzschnitte bilden zusammen mit frühen Arbeiten Kirchners eine Art szenische Erzählung, die man fast wie eine Graphic Novel lesen kann und die einen Übergang schafft von Kirchners frühen Werken zu ersten Hauptstadteindrücken. Jolowicz’ detailverliebte Schwarz-weiß-Holzschnitte ergänzen Kirchners Werke zu einer logischen Bildfolge, ihre Aktualität bildet aber gleichzeitig einen starken Kontrast. In weiteren Arbeiten lässt Jolowicz die Grenzen dann ganz verschwimmen, indem sie Porträts Kirchners in moderne Stadtszenen einfügt. So sitzt ein Selbstbildnis Kirchners plötzlich bei Mc Donald’s oder die von ihm verewigte Widerstandskämpferin, Bühnen- und Kostümbildnerin Dorothea „Mopsa“ Sternheim mit einem Dackel in einem Café. Großartig!

Ein absoluter Höhepunkt der Schau ist die Arbeit "Woodcut Maelstrom" von Thomas Kilpper. Er hat einen rund 100 Quadratmeter großen Druckstock geschaffen, der den Boden eines gesamten Ausstellungsraumes ausfüllt und in Abdrücken an den Wänden und von der Decke widerhallt. Der Besucher darf seine Arbeit betreten und steht dann mittendrin in dieser bildgewaltigen Rauminstallation. Sie versammelt Abbilder unterschiedlicher Persönlichkeiten, von Kirchner selbst über zum Beispiel Paula Modersohn-Becker, Ausstellungskuratorin Annett Reckert oder Pianist Igor Levit, die verschiedene Holzschnitte präsentieren und zu Themen unserer Zeit – Klimawandel, Rassismus, Nationalismus, Krieg – Stellung nehmen. Allein in diesem Raum könnte man Stunden verbringen.

Benjamin Badock schließlich widmet sich den späten Holzschnitten Kirchners und insbesondere dem Wildbodenhaus in den Alpen, wo er später lebte. Badocks farbgewaltige Bilder entstehen stets durch das Zusammensetzen verschiedener geometrischer Formen, die an Piktogramme und pixelige Mindcraft-Grafiken erinnern. Mit dieser Technik schafft er eine Art paradiesische Kirchner-Homestory mit Kuhstall, Weiden, Bergen, blauem Himmel, fröhlich Badenden und allem, was dazugehört.

Was gibt es sonst noch zu entdecken? Bei dieser Ausstellung gibt es nicht nur viel zu sehen – unter anderem auch noch einen 15-minütigen Film über die Entstehung der Ausstellung – man kann auch selbst kreativ werden. Am Ende des Rundganges findet sich ein Raum, in dem Besucher sich an einem großen Tisch selbst am Holzschnitt versuchen können. Ebenso gibt es Stempel- und Zeichen-Stationen, Druck-Workshops sowie eine Leseecke. Künstler Benjamin Badock lädt zudem noch zu einem Gewinnspiel: Über die App Dreibunteck können Teilnehmer ein eigenes Kunstwerk erstellen. Unter den Einsendungen wählt der Künstler eine Arbeit aus, die als Holzdruck umgesetzt wird.

Info

Die Ausstellung ist ab Sonnabend und dann bis zum 9. März 2025 in der Kunsthalle zu sehen.
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