Frau Champollion, Sie wollen als neue künstlerische Leiterin des Sendesaals ansprechbar sein, haben Sie erklärt. Was heißt das?
Elisabeth Champollion: Das ist tatsächlich ganz konkret gemeint. Ich spreche sehr viel mit den Konzertbesuchern. Vor dem Konzert erzähle ich auf der Bühne, was mich persönlich mit dem Ensemble oder dem Künstler verbindet. Außerdem interessiert mich, was unser Publikum empfindet, denkt, was die Musik bei den Einzelnen auslöst. In der Pause kommen immer Menschen auf mich zu und erzählen mir davon. Und dann frage ich nach, in welche Konzerte die Leute ansonsten gehen oder ob sie vorher schon mal im Sendesaal waren. Ich bin sehr viel in unserem Foyer unterwegs, das ist für mich der Fußweg zu den Leuten.
Und das beeinflusst dann die Programmgestaltung und mögliche neue Formate?
Auf jeden Fall. Bei einem Live-Konzert geht es ja um so viel mehr als nur um Musik. Es geht um Begegnungen. Was erzählt mir die Musik, wenn sie auf meine Seele trifft? Und es ist ja auch die Begegnung einer Gruppe von Gleichgesinnten. Dieses Miteinander ist ein existenzieller Teil eines Konzerts. Wenn es nur um Musik gehen würde, könnte ich mir auch zu Hause eine CD anhören. Aber bei einem Konzert musizieren Musiker für mich, und zwar exklusiv zu diesem speziellen Zeitpunkt. Als künstlerische Leiterin habe ich eine Brückenfunktion, um diese Begegnung so einfach wie möglich zu gestalten.
Ist sie denn so schwierig?
Als Zuhörerin fragt man vielleicht mal nach einem Autogramm, aber mehr traut man sich nicht. Ich möchte das persönlicher gestalten. Von daher frage ich die Künstler, ob sie nicht nach dem Konzert ins Foyer kommen und mit den Zuhörern plaudern oder ein Selfie machen wollen.
Es gibt auch introvertierte Künstler, die das vielleicht nicht möchten.
Ich schlage das vor und animiere die Künstler dazu, aber es wird selbstverständlich niemand verpflichtet. Und natürlich gibt es auch so etwas wie die Unnahbarkeit des Bühnenkünstlers, auch das hat ja eine Faszination. In diesen Fällen, wenn die Künstler nicht kommunizieren möchten, stelle ich mich zur Verfügung und beantworte Fragen zum Konzert.
Wird das Foyer des Sendesaals dazu noch umgestaltet? Im Moment ist es dort nicht so richtig lauschig.
Es wird sehr viel schöner werden! Es wird kein Theater-Foyer, aber wir werden mit wenigen Mitteln dafür sorgen, dass man seine Getränke im Sitzen oder im Stehen in Ruhe genießen kann. Für das Eröffnungskonzert habe ich schon eine große Foyer-Party angekündigt, bis dahin werden wir aus dem Gröbsten raus sein und beispielsweise auch für eine ansprechende Beleuchtung gesorgt haben. Die gesamte Atmosphäre im Foyer soll noch einladender werden als bisher.
Sie sind eigentlich Musikerin, spielen mit diversen Ensembles und sind jetzt außerdem künstlerische Leiterin eines Veranstaltungsortes. Wir schwierig ist für Sie der Wechsel zwischen diesen beiden Professionen?
Das befruchtet sich stark gegenseitig. Ich denke schon lange darüber nach, was genau eigentlich passiert, wenn ich als Musikerin auf der Bühne, als Zuhörerin im Saal oder als Vermittlerin dazwischen stehe. Und jetzt erlebe ich diese ständigen Perspektivwechsel. Wenn ich mit meinem Prisma-Ensemble auf der Bühne stehe und englische Barockmusik spiele, sage ich mir in diesem Moment: So, dich da unten im Saal will ich jetzt erreichen, dir dieses Juwel zeigen. Ich weiß dann sofort, auf was es ankommt. Wenn ich selbst Konzerte besuche, möchte ich diesen Anspruch, dass andere mir etwas nahe bringen, auch eingelöst bekommen. Ich gebe dafür zwei Stunden meiner Zeit her. Ich will, dass die Musiker es als kostbar wahrnehmen, dass sie diese Zeit von mir erhalten.
Sie mussten in eine ganz andere als die Ihnen vertraute Musikrichtung eintauchen: Jazz und Weltmusik machen einen großen Teil des Programms aus. Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich da eingefuchst hatten?
Das macht eine sehr spannende neue Phase in meinem Leben aus, die noch andauert. Ich habe festgestellt: Jazz ist eine Herangehensweise an Musik. Jazzmusiker spielen meistens ihre eigenen Kompositionen, und sie haben ein unglaublich starkes Bedürfnis, ihr Inneres nach außen zu tragen, sind sehr expressiv. In der Klassik spielen wir meistens Werke, die andere komponiert haben und machen sie uns zu eigen. Ich bin Übersetzerin einer Botschaft aus einer anderen Zeit. Daher habe ich mich gefragt: Wie erkenne ich eigentlich ein gutes Jazz-Konzert, das ich dem Sendesaal-Publikum anbieten kann? Ich habe viele Konzerte besucht und gemerkt: Es muss mich berühren. Wenn das passiert, bin ich genauso auf der sicheren Seite wie in der Klassik. Und dann kann ich eine persönliche Auswahl treffen, für die ich ja auch mit meinem Namen im Programmheft stehe.
Jazz hat Sie gepackt.
Absolut. Ich bin ganz fassungslos, dass ich so lange nicht in dieser Welt war. Jetzt könnte ich ohne sie nicht mehr auskommen. Ich traue mich jetzt auch in meinen eigenen Konzerten, stärker als vorher zu improvisieren, und wenn es nur ein einminütiges Präludium ist. Das ist dann für mich wie Jazz, weil ich das, was ich musiziere, in diesem Moment genauso meine. Ich hätte nicht gedacht, dass mich die Beschäftigung mit Jazz auch persönlich als Musikerin beeinflussen würde.
Das Programm im Sendesaal ist bereits gestartet, die große Eröffnung, "Türen auf!", gibt es erst am 16. September. Warum?
Für die offizielle Eröffnung unserer Saison wollte ich ein Wochenende, an dem der Sendesaal in der Musikstadt Bremen im Mittelpunkt steht. Das geht nur nach dem Musikfest, das am 9. September zu Ende geht. Am 16. September kann dann ganz Bremen auf uns blicken.
Das Gespräch führte Iris Hetscher.