Mehrere Zehntausend Bundesbürger sind nicht krankenversichert, darunter laut „Deutschem Ärzteblatt“ viele Selbstständige. Ein prominenter Fall scheint nach einer Privatinsolvenz der Schauspieler Heinz Hoenig zu sein. Ende April wurde er mit einer Herzattacke per Rettungshubschrauber in ein Berliner Krankenhaus gebracht. Bei Notfällen wird zwar erst einmal ohne Versicherungsnachweis behandelt, aber am Ende wird abgerechnet. Bei Hoenig stehen laut dem Magazin „Stern“ für eine notwendige zweite Operation 90.000 Euro im Raum. Andere Prominente wie Til Schweiger und Ralph Siegel sammeln Spenden.
Auch in Bremen werden Jahr für Jahr Tausende Menschen behandelt, die nicht krankenversichert sind. Eine Schlüsselrolle spielt dabei ein Modellprojekt des Gesundheitsressorts, das im Sommer 2022 gestartet wurde. In diesem und im kommenden Jahr soll es weiterhin mit jeweils 1,2 Millionen Euro gefördert werden – dafür entfällt die „Humanitäre Sprechstunde“ des Gesundheitsamtes.
Einen entsprechenden Beschluss hatte der Senat Anfang November gefasst. Anders als bisher und anders als beschlossen kann das Geld nicht mehr aus dem Bremen-Fonds zur Beseitigung der Corona-Folgen fließen: Das Bundesverfassungsgericht hat den Rückgriff in solche kreditfinanzierten Krisentöpfe zur Deckung gewöhnlicher Haushalte untersagt.
„Ganz sicher können wir sagen, dass im Verlauf unseres Projektes bereits mehr als 1200 Personen ohne Nachweis einer Absicherung im Krankheitsfall bei uns vorgesprochen haben“, sagt Holger Dieckmann. Er managt den Verein zur Förderung der medizinischen und gesundheitlichen Versorgung von nicht versicherten und papierlosen Menschen in Bremen (MVP), der sich im Auftrag des Gesundheitsressorts um diese Klientel kümmert. „Wir müssen davon ausgehen, dass wir nur einen Bruchteil der Betroffenen erreicht haben, die Gesamtzahl also wesentlich höher ist“, gibt Dieckmann zu bedenken.
Ganz genaue Zahlen kann auch das Statistische Landesamt nicht liefern, da der alle vier Jahre stattfindende Mikrozensus immer in Tausenderschritten ausgewertet wird. „Bei einer Gesamtbevölkerungszahl im Land Bremen von rund 676.000 haben 2019 hochgerechnet zwischen 500 und 1499 Personen angegeben, ohne Krankenversicherungsschutz zu leben“, erläutert Statistiker Sebastian Klinke. „Das entspricht einem relativen Anteil von 0,07 bis 0,22 Prozent.“ Die meisten dieser Menschen seien weiblich, nicht erwerbstätig, zwischen 20 und 30 Jahre alt und ohne deutschen Pass.
Fast 3000 Behandlungsscheine wurden laut Gesundheitsressort von Juli 2022 bis Jahresende 2023 über den MVP ausgegeben. „In der Zahl enthalten sind die Behandlungsscheine für Ärzte und Krankenhäuser sowie Apotheker und Sanitätshäuser“, sagt Behördensprecherin Diana Schlee. MVP-Manager Dieckmann ergänzt, dass manche Scheine nur für eine einzige Abrechnung und andere für ein ganzes Quartal genutzt würden. Die Scheine ermöglichen den Nichtversicherten einen ganz regulären Zugang zu Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten. Ärzte und Apotheken rechnen dann direkt mit dem MVP ab. Der Verein führt auch selbst Untersuchungen und Behandlungen in seinen Räumen Außer der Schleifmühle 80 durch: Rund 1200 waren es bis Ende vorigen Jahres.
Hinzu kamen etwa 1500 Beratungen. Hier geht es darum, Nichtversicherte wieder in die Regelversorgung aufzunehmen. Unter Umständen ist das der Übergang in die Sozialhilfe, die dann wieder medizinische Leistungen bezahlt. Grundsätzlich dürfen die Krankenkassen seit Einführung der allgemeinen Krankenversicherungspflicht 2009 niemandem mehr kündigen. Damit bleibt auch versichert, wer seine Beiträge nicht zahlt oder nicht bezahlen kann. Die Leistungen werden dann aber eingeschränkt.
Zudem haben ehemalige Versicherte das Recht, von ihrer früheren Kasse wieder aufgenommen zu werden. Das gilt auch für Ex-Privatversicherte, ihnen muss zumindest Schutz zum Basistarif angeboten werden. Durch die Maschen des sozialen Netzes fallen jedoch erst einmal Menschen, die sich nie versichert haben oder dies nie konnten. Neben abgelehnten Asylbewerbern und Obdachlosen können dies auch selbstständige Erwerbstätige sein, die entweder vor 2009 zu wenig verdient oder sich nicht um ihren Schutz im Krankheitsfall gekümmert haben.
Wer anders als Heinz Hoenig keine reichen Freunde, ja nicht einmal eine Wohnung hat, kann in Bremen neben dem MVP auf den Verein zur Förderung der medizinischen Versorgung Obdachloser hoffen. Ehrenamtlich helfen acht Ärztinnen und Ärzte seit 1997 an drei Standorten in medizinischen Notlagen. Der Senat unterstützt das seit März 2022 mit bis zu 50.000 Euro im Jahr.