Frank Barufke stellt sich noch mal hinten genau zwischen die Lautsprechertürme, DJ Mauro Basso dreht am Regler und die Lautstärke weit nach oben. Freiheit für den Bass. Die Tür zur Küche scheppert, der ganze Raum inklusive allem, was drin ist, beginnt zu vibrieren. Barufke nickt. Der Technikspezialist und Mitveranstalter scheint zufrieden. Alles hat seine Richtigkeit, Soundcheck bestanden.

Nussstücke, Donauwelle und Apfeltorte – Kaffee und Kuchen gehören beim Tanz am Sonntagnachmittag dazu.
Apfelkuchen, Donauwellen und Nusstorte
Die Szene, der schwarze Raum, die Schwaden künstlichen Nebels, die über den Fußboden wabern und jedes Zucken und Flattern der Stroboskope und Laser noch intensiver machen – alles wie in einem ganz normalen Klub. Alles, bis auf die drei Bierzelttische gleich vor der Eingangstür. "Kaffee, Tee, Kuchen – 2,50 Euro" steht auf einer Tafel zwischen vollen Backblechen mit Apfelkuchen, Donauwelle und Nusstorte. Hinter einer Batterie von Thermoskannen hat Uli Baumann schon Position bezogen. Die Mitveranstalterin des "Café Elektrik" in der Schaulust muss nicht lange auf die ersten Kaffeesierer waren. Die Tür geht auf, kurz fällt helles Licht durch den Türrahmen. Es ist Sonntag, punkt 3 – nachmittags.
Der dritte Sonntag im Monat: Technozeit in der Schaulust. So etwas wie ein Neustart nach gut zwei Jahren Corona-Zwangspause. Im Oktober vergangenen Jahres haben Baumann und Barufke die Anfang 2019 gestartete Tanzreihe für Menschen mit Faible für treibende Beats wieder aufleben lassen, "doch die Leute sind noch etwas reserviert", hat Frank Barufke beobachtet.
Davon ist an diesem Nachmittag hinterm Güterbahnhof wenig zu spüren. Schon wenige Minuten, nachdem der DJ die ersten Techno-Tracks über die Anlage geschickt hat, füllt sich die Tanzfläche. Erst wippen nur die Füße, dann kann er die Arme nicht mehr still halten, am Ende ist der ganze Mann in Bewegung. Er ist geschätzt Anfang 20 – und damit hier in der Minderheit. Der vor etwa vier Jahren als Versuchsballon gestartete Sonntagsnachmittag-Rave kam auf Anhieb gut an, vor allem bei den etwas fortgeschrittenen Semestern. Bei jenen, die mit Kraftwerk oder Techno-Ikonen wie Marusha (inzwischen auch 56) oder Sven Väth (58) groß und älter geworden sind, keinen Bock auf Tanztee-Musik, aber dennoch Lust auf Party haben. "Die schätzen, dass alles hier etwas gediegener ist. Hier kannst du nachmittags den Alltag mal zur Seite schieben und abtanzen und trotzdem abends pünktlich zum Tatort wieder zu Hause sein", bringt es Barufke auf den Punkt.

Die gute alte Discokugel sorgt im Zusammenspiel mit Lasern und anderem modernen Equipment für perfekte Klubatmosphäre.
Mit Rad zum Abzappeln
So wie Heinz-Johann Warlies. Der Waller, den hier alle nur als "Yogi" kennen, ist mit elektronischer Musik aufgewachsen, das ist genau "sein Ding". Aber: Die Nächte will sich der mittlerweile 73-Jährige dafür auch nicht mehr um die Ohren schlagen. "Wenn ich woanders auf 'ne Technoparty will und da um Mitternacht aufkreuze, bin ich ja der Erste." Zum "Abzappeln" in der Schaulust habe er es mit dem Rad zudem nur 20 Minuten, sagt Yogi, bevor er sich umdreht und schnell wieder unter die Tanzenden mischt.
Micha, 44, der seinen Nachnamen nicht verraten will, muss darauf noch ein wenig warten. Vor der Garderobe hat sich eine Schlange gebildet, das Nachmittagsangebot scheint sich rumgesprochen zu haben. "Das ist hier ein total entspanntes Publikum", lobt der Bremer. Was er außerdem gut findet: "Hier muss ich nichts trinken, kann einfach durchtanzen. Und am Ende zeigt mein Schrittzähler dann 20.000 Schritte". Was das Publikum betrifft, pflichtet ihm Max bei, der draußen eine Zigarette raucht. Und Max muss es wissen: Der 30-Jährige kommt aus der Hauptstadt der Klubgänger und Raver – aus Berlin. Gerade hat er sich mit André Baustian unterhalten. Der 67-jährige Gröpelinger ist nicht nur wegen der Musik gekommen, er mag vor allem auch den Kuchen, der hier aufgetischt wird. Doch da muss er sich langsam sputen: "Um 6 gibts nichts mehr", weiß er von vorherigen Besuchen.

DJ Mauro Basso und zwei Kollegen beschallen die Party vor allem mit gut tanzbaren Melodic Techno- und Progressive House-Beats.
Meistens drei DJs
In der Tat: Drinnen weist das Kuchenbüffet bereits deutliche Lücken auf, dafür ist die Temperatur inzwischen um gefühlt 15 Grad gestiegen. Drei DJs heizen an diesem Nachmittag ein, jeder zwei Stunden. Nach Mauro Basso übernimmt Janosch Kurzrock das Mischpult, dann kommt Needles Musik, bürgerlich Tobias Jodeit, alle drei aus Bremen und Profis der Szene. "Melodic Techno und Progressive House", zählt Jodeit auf, was in der Schaulust vor allem auf den Plattenteller kommt, der heute selbstredend digital befüllt wird. Geöffnet ist die Techno-Küche bei entsprechender Stimmung denn auch schon mal bis 22 Uhr oder länger.

Yvonne Gnutzmann findet das Konzept der Party am Sonntagnachmittag zukunftsweisend und hat sich mit ein paar Leuten via Instagram in der Schaulust verabredet.
Auch ein Sicherheitsaspekt
Es ist mittlerweile richtig eng geworden auf der Tanzfläche. Zu denen, die sich am Rand platziert haben, gehört Yvonne Gnutzmann. An ihr fallen als Erstes ihre Schuhe ins Auge: Sie hat sich neongrün leuchtende Glowsticks in die Schnürsenkel ihrer Sneaker gebunden. Sehr praktisch in der Dunkelheit. Via Instagram hat sich die 42-Jährige in der Schaulust mit ein paar Leuten verabredet, hat auch nach eigenem Bekunden "schon ordentlich Werbung" für die Veranstaltung gemacht. "Zukunftsweisend" findet sie die – "wir werden ja schließlich alle älter". Nach zehn Stunden Normal-Party am Wochenende mit allem Drum, Dran und Alkohol sei der nächste Tag ja auch immer im Eimer. "Und so gehst du um 19 Uhr gut gelaunt nach Hause und am Tag darauf ausgeruht zur Arbeit." Für Frauen habe das Format ohnehin einen besonderen positiven Effekt, findet Gnutzmann. "Der Heimweg findet meistens noch bei Tageslicht statt." Wenigstens im Frühling, wenn die Tage schon wieder länger sind. Und das sei doch in puncto Sicherheit auch nicht schlecht.