Frau Steyer, Herr Strasser, hier im Geschichtenhaus hätte eigentlich am 11. April die Doppel-Ausstellung Natur - Kunst - Landschaft eröffnen sollen. Was ist das für ein Gefühl für Sie jetzt unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszustellen?
Christine Steyer: Ich denke so an die Zeit davor, als wir die Ausstellung geplant haben. Da sah es noch so aus, als könnte sie eröffnet werden. Und die Aufregung war eigentlich eher die, diesen wunderbaren Raum zu bespielen und wie wir das lösen können, unsere beiden Arbeiten oder unsere beiden verschiedenen Herangehensweisen unter dieses Balkendach und in diesem Raum unterzubringen. Und jetzt sehe ich die Ausstellung mit Abstand und denke 'Ach, das sieht aber schön aus.' Und so wird es dann sein, wenn es dann eröffnet wird. Und darauf freue ich mich.
In der Ausstellung sind Ihre Eisenblaudrucke, Frau Steyer, und bearbeitete Fotografien von Jürgen Strasser zu sehen. Mögen Sie uns erklären, was sich hinter Ihren Eisenblaudrucken, Cyanotypien, verbirgt?
Christine Steyer: Ja, gern. Eisenblauducke oder Cyanotypien - also Cyan blau - ist ein Verfahren aus der Pionierzeit der Fotografie. So um 1840/42 wurde das entdeckt, als man probiert hat, Bilder zu fixieren. Man hat entdeckt, dass ein normales Papier, das mit einer Lösung aus zwei verschiedenen Eisensalzen eingestrichen wird, lichtempfindlich wird. Und wenn dieses Papier in der Sonne belichtet wird und anschließend gewässert wird, entsteht ein festes Bild, das aber immer blau ist, je nach Intensität des Lichts. Da, wo ein Gegenstand den Lichteinfall verhindert hat oder nur leicht durchlässig gemacht hat, bleibt das Papier weiß oder hellblau.

Christine Steyer vor einer ihrer Cyanotypien im alten Speicher.
Herr Strasser, die Eisenblaudrucke sind gestochen scharf, ihre Bilder sind unscharf und viel farbiger. Bei Ihnen vermischt sich Fotografie und Malerei, und Sie geben sich nicht mit Blättern und Blüten zufrieden, sondern verwandeln ganze Landschaften in abstrakte Kompositionen. Wie entsteht Ihre Kunst?
Jürgen Strasser: Ich nenne sie Photographic, einfach aus dem Grund, weil das Ausgangsmaterial eine digitale Fotografie ist, die dann am Computer bearbeitet wird. Vieles könnte man auch direkt fotografisch lösen, aber mit deutlich mehr Aufwand. Aber ich mache es mir etwas leichter. Die Idee zu meiner Fotokunst entstand anlässlich einer Ausstellung, die es 2014 in Worpswede zu 125 Jahren Künstlerkolonie gab. Damals wurden die Fotografen des Ortes aufgerufen, Landschaft neu zu interpretieren. Die Landschaften, die ich hier zeige sind unscharf, sie sind eine Abstraktion dessen, was man konkret eigentlich sieht. Man hat das Gefühl, man fährt schnell mit dem Zug vorbei.
Ich weiß, dass Sie auch privat ein Paar sind, das im ständigen Austausch über die Kunst steht. Was ist für Sie das Besondere an den Werken Ihrer Frau, Herr Strasser?
Jürgen Strasser: Einmal natürlich die Farbe Blau, die mir einfach gut gefällt. Dann ist es der Prozess, der ganz anders als meiner ist. Ihre Cyanotypien sind nicht einfach blaue Fotos, sondern es kommen immer Poesie und eine zeitlose Patina hinzu. Damit erhalten die Bilder immer eine zweite Ebene.
Was ist sehenswert an den Werken von Herrn Strasser?
Christine Steyer: Es gefällt mir, dass er den Überblick bewahrt und die Abstraktion findet, wo ich das Detail sehe. Und ihm gelingt es, ein gleiches Bild immer wieder neu zu zeigen, ohne das große Ganze zu verändern. Das finde ich ganz spannend.

Jürgen Strasser vor seinen Werken im Geschichtenhaus.
Inspirieren Sie sich gegenseitig? Könnte die eine Arbeit ohne die andere entstehen?
Jürgen Strasser: ja, sicherlich. Christine macht die Cyanotopien ja schon seit 20 Jahren, und ich habe mit dieser Art von Fotografie 2012/2013 begonnen. Also es funktioniert schon parallel. Aber natürlich entstehen bestimmte Bildwelten aus einem Gespräch heraus. Und wir sind auch unsere härtesten Kritiker. Das ist auch nicht immer einfach.
Wie können wir uns Ihren Künstleralltag vorstellen? Sie leben in Wiesbaden und in Worpswede. Gehen Sie zusammen auf Motivsuche? Haben Sie vielleicht sogar Lieblingsplätze in der Region?
Jürgen Strasser: Es gibt natürlich bestimmte Gegenden, die uns einfach anziehen, weil sie halt eine Vielfalt bieten. Aber wir gehen mal hier spazieren, gehen mal dort spazieren. Also das ist jetzt nicht so, dass wir von morgens bis abends zusammen sitzen und uns etwas gemeinsam ausdenken, sondern jeder hat seine Bildwelten im Kopf, denen er nachgeht. Aber dann am Ende des Tages wird drüber gesprochen. Was hältst du davon? Das ist dann der Austausch. Ja, und das ist natürlich eine wunderbare Geschichte. Und das zweite ist die Tatsache, dass wir gern gemeinsam ausstellen, wobei jeder von uns auch seine Einzelausstellungen hat.
Ich weiß, dass Sie, Frau Steyer, in Tokio ausgestellt haben, in Frankreich, im Schweriner Dom. Warum fiel ihre Wahl jetzt auf das Vegesacker Geschichtenhaus im alten Speicher?

Christine Steyers Eisenblaudrucke zeigen Blätter und Blüten.
Christine Steyer: Das hat sich durch Kontakte gefügt, wie das ja oft so ist.
Jürgen Strasser: Es war natürlich schon ganz toll, dass sie uns gefragt haben, ob wir Lust hätten, hier auszustellen. Wir haben auch sofort Ja gesagt. Also einfach, da der Raum und die Bilder einfach miteinander sprechen. Wir können nicht beeinflussen, wie viel Arbeiten wir pro Ausstellung verkaufen. Aber wir können beeinflussen, wo wir ausstellen. Und das ist, glaube ich, für uns viel wichtiger. Dass wir wegkommen von der klassischen Galerie, von der klassischen Hängung, alles auf einer Höhe, und hier einfach die Möglichkeit haben, mit den Formaten zu spielen.
Die Vernissage wurde Pandemie bedingt verschoben. Wissen Sie, wie lange die Bilder noch hängen?
Christine Steyer: Soweit ich weiß, wird es über den Juni hinausgehen können. Ich glaube, die Hoffnung ist berechtigt.