Im Bundestag streiten die Parteien über eine Wahlrechtsreform. Diese könnte sich auch auf die Wahlkreise im Umland von Bremen auswirken. Diskutiert wird eine Reduzierung und damit eine Vergrößerung der Wahlkreise. Die WÜMME-ZEITUNG hat bei den Bundestagsabgeordneten in der Region nachgefragt, was sie von der Reform halten.
Politiker aus Bremen und der Region Was die Wahlrechtsreform für Bundestagsabgeordnete bedeutet
Im Bundestag streiten die Parteien über eine Wahlrechtsreform. Diese könnte sich auch auf die Wahlkreise im Bremer Umland auswirken. Was die Bundestagsabgeordneten in der Region davon halten? Ein Überblick.
Lars Klingbeil (SPD)
Wahlkreis Rotenburg I – Heidekreis
Lars Klingbeil ist nicht nur Bundestagsabgeordneter, sondern auch Generalsekretär der SPD. Neben seinem eigenen Wahlkreis Rotenburg I – Heidekreis, der sich allein schon über eine Fläche von 2725 Quadratkilometern erstreckt und mit über 215 000 Einwohnern sowie 168 000 Wahlberechtigten nicht eben klein ist, ist Klingbeil auch für die Bundestagswahlkreise Stade-Rotenburg und Verden-Osterholz zuständig, da aus diesen Wahlkreisen keine SPD-Abgeordnete oder kein SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag vertreten ist. Klingbeil drängt auf eine schnelle Einigung bei der Wahlrechtsreform, denn "bei uns im ländlichen Raum sind die Wahlkreise teilweise schon sehr groß." Bei noch größeren Wahlkreisen, so Klingbeil, sei der Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern noch schwieriger als jetzt. Die SPD-Fraktion habe bereits im März einen konkreten Vorschlag für eine Wahlrechtsreform vorgelegt. Klingbeil: "Unser Ziel ist, dass der Bundestag sich nicht weiter vergrößert, dafür muss dringend gehandelt werden." Für die kommende Wahl soll demnach die Anzahl der Mandate auf 690 begrenzt werden, eine Obergrenze von 750 Mandaten, wie sie die CDU vorgeschlagen hatte, hält er für zu hoch. "Wenn wir jetzt schnell zu einer guten Lösung kommen", so Klingbeil, könne die Reform noch vor der nächsten Bundestagswahl greifen.

Enak Ferlemann (CDU)
Wahlkreis Cuxhaven – Stade II
Von seiner Heimatstadt Cuxhaven bis an den südlichsten Zipfel seines Wahlkreises im Landkreis Cuxhaven fährt Enak Ferlemann (CDU) über eine Stunde mit dem Auto. Um den Kontakt zu den Wählerinnen und Wählern zu halten, hat der CDU-Bundestagsabgeordnete und Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium drei Abgeordnetenbüros – in Berlin, Cuxhaven und Stade. Enak Ferlemann spricht sich denn auch „gegen eine Vergrößerung der Wahlkreiszuschnitte aus, weil hierdurch insbesondere der ländliche Raum geschwächt werden würde.“
Er hält es für sinnvoll, die Listenmandate zu begrenzen, damit der Bundestag in einer arbeitsfähigen Größe bleibt. „Es wäre optimal, wenn 299 Bewerber per Direktmandat und die gleiche Anzahl als Listenmandat sowie die jeweiligen Überhangmandate ohne Ausgleich gewählt werden würden“, so Ferlemann. Die Auswirkungen der Wahlkreisreform könnten für seinen Wahlkreis Cuxhaven – Stade II „von gravierend bis geringfügig“ ausfallen, je nach Beschlusslage. Eine Wahlrechtsreform noch vor der nächsten Bundestagswahl ist aus seiner Sicht jedoch unrealistisch.

Astrid Grotelüschen (CDU)
Wahlkreis Delmenhorst – Wesermarsch – Oldenburg-Land
Astrid Grotelüschen ist Abgeordnete für den Wahlkreis Delmenhorst – Wesermarsch – Oldenburg-Land. Die CDU-Politikerin steht für eine Verkleinerung des Bundestages. Sie hält den Vorschlag des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble für einen "guten Kompromiss". Die aus ihrer Sicht "sehr einseitigen Vorschläge" der anderen Parteien gingen zulasten der Direktmandate und bedeuteten eine Reduzierung der 299 Wahlkreise. "Für mich ist das Direktmandat das demokratisch stärkste, es abzuerkennen ist völlig absurd", so Grotelüschen, und betont: "Gerade unsere ländlichen Regionen sind unterrepräsentiert, die Präsenz bei noch größeren Wahlkreisen eine Herausforderung." Sie sieht in dem CDU-Vorschlag einen "sinnvollen Mittelweg", der eine Reduzierung auf 280 Wahlkreise und eine begrenzte Nichtzuteilung von Überhang- beziehungsweise Ausgleichsmandaten zum Jahr 2025 vorsieht. Um die Änderungen schon für die Wahl 2021 umzusetzen, sei die Zeit jedoch knapp, meint sie.

Sarah Ryglewski (SPD)
Wahlkreis Bremen I
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Sarah Ryglewski plädiert „für einen breiteren Diskurs, der seinen Blick nicht nur auf die Größe des Bundestags beschränkt, sondern die Qualität der Vertretung der Bürgerinnen und Bürger verbessern will. Das erreichen wir zum Beispiel dann, wenn die Abgeordneten leichter erreichbar sind.“ Mit einer Verringerung der Wahlkreise, wie es die Union vorschlage, hätten die Bürgerinnen und Bürger aber seltener die Gelegenheit zu einem Austausch mit den Abgeordneten. Außerdem müsse das Wahlrecht vereinfacht werden, meint die SPD-Politikerin, denn für viele Wählerinnen und Wähler sei bereits heute nicht mehr ohne Weiteres nachvollziehbar, wie sich ihre Stimme auf die Zusammensetzung des Bundestags auswirke. „Um den historisch niedrigen Frauenanteil im Parlament zu erhöhen, sollte zudem mit der Reform eine paritätische Besetzung des Bundestags mit Frauen und Männern erreicht werden“, betont die direkt gewählte Bundestagsabgeordnete.

Elisabeth Motschmann (CDU)
Wahlkreis Bremen I
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann aus Bremen meint: „Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf eine Wahlrechtsreform. Es ist nicht vermittelbar, dass der Deutsche Bundestag, ohne eine entsprechende Reform des Bundeswahlgesetzes, bei der nächsten Wahl auf weit über 800 Mandate anwachsen könnte." Ein solches Szenario sei weder finanziell zu verantworten noch würde es der politischen Arbeit in Berlin dienen. "Wichtig ist nun, eine Lösung zu finden, die sowohl die Direkt- als auch die Listenmandate gleichermaßen berücksichtigt", so Motschmann, die selbst über die Liste ins Parlament eingezogen ist. Der Grundsatz einer personalisierten Verhältniswahl dürfe durch die Reform nicht angetastet werden. Der Vorschlag einer Obergrenze von 750 Abgeordneten sei sinnvoll und sorge für einen vernünftigen Kompromiss, so Motschmann. Die Reform treffe alle Parteien gleichermaßen und sollte noch in diesem Sommer beschlossen werden", findet die CDU-Politikerin.

Gero Hocker (FDP)
Wahlkreis Osterholz-Verden
Durch Überhang- und Ausgleichsmandate drohe im nächsten Jahr ein XXL-Bundestag mit mehr als 800 Abgeordneten, was die parlamentarische Arbeit erschwere und gleichzeitig für den Steuerzahler extrem teuer wäre, meint der FDP-Bundestagsabgeordnete Gero Hocker und betont: "Es bedarf unbedingt einer Reduzierung der Wahlkreise – das wäre effizient und es würde Wettbewerbsgleichheit für alle Parteien bedeuten." Die Große Koalition blockiere diesen Vorschlag und präsentiere nur Ideen zum eigenen Vorteil, beispielsweise durch unausgeglichene Überhangmandate. Auf einen diskussionsfähigen Gesetzentwurf warte man vergeblich. Die Große Koalition müsse endlich einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen, über den das Parlament noch in der Sommerpause beraten könne.
Ansonsten drohe eine "Blamage der Politik, die immer wieder Reformen fordert, aber offenbar nicht zu Reformen in der Lage ist, wenn sie selber betroffen ist." Wenn dies einen Neuzuschnitt seines Wahlkreises Osterholz – Verden bedeuten würde, könnte er gut damit leben, meint Hocker.

Andreas Mattfeldt (CDU)
Wahlkreis Osterholz – Verden
Andreas Mattfeldt hat gleich drei Abgeordnetenbüros, um den Kontakt zu seinen Wählerinnen und Wählern zu halten – in Berlin sowie in seinem Wahlkreis in Osterholz und Verden. Er meint: „709 Abgeordnete sind zu viel. Dabei ist nicht die Anzahl der Abgeordneten das Problem, die als direkt gewählte Parlamentarier aus ihren Wahlkreisen entsendet werden. Dies sind lediglich 299 Abgeordnete. Seit Jahren werden die Abgeordneten, die durch die Listen der Parteien entsendet werden, immer mehr. Derzeit sind dies 410 Abgeordnete, die über die Ausgleichs- und Überhangmandate durch die Parteien entsendet werden. Damit wir zu einer richtigen Verkleinerung des Bundestages kommen, unterstütze ich mit vielen Kollegen die Einführung eines echten Zweistimmenwahlrechts.“ Dazu, so Andreas Mattfeldt, solle das Wahlrecht so geändert werden, dass der Bundestag die aktuell vorgesehene Größe von maximal 598 Abgeordneten erreicht.
299 Abgeordnete sollen demnach direkt über die Erststimme in den Wahlkreisen gewählt werden, die anderen 299 Abgeordneten über die Zweitstimme über die Listen der Parteien. Veränderungen der Wahlkreiszuschnitte seien dann nicht erforderlich, sodass die Änderung schon zur Wahl 2021 umgesetzt werden könnte. Dies entspreche einer gleichen Gewichtung von Erst- und Zweitstimme und sei somit grundgesetzkonform, meint Mattfeldt. Das derzeitige Wahlrecht begünstige die Parteifunktionäre, die sich über die Liste absichern lassen, kritisiert der CDU-Politiker aus Langwedel.